Morning Briefing Aufbruch: „Sleepy Joe“ als „Speedy Joe“
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
einen starken Auftritt hatte US-Präsident Joe Biden in der Nacht vor dem Kongress in Washington, eingerahmt von zwei Frauen: Vizepräsidentin Kamala Harris und Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses. Biden wies zum Auftakt seiner Rede auf die historische Bedeutung hin: „Frau Vizepräsidentin. Kein Präsident hat das jemals an dieser Stelle gesagt – und es ist an der Zeit.“

Er kündigte mutige Reformpläne für die Familienpolitik an, deren Kosten von 1,8 Billionen Dollar durch höhere Steuern für Reiche finanziert werden sollen. Mit dem „American Families Plan“ bekämen die USA etwa eine Art Kindergeld.
Biden habe sich in den ersten 100 Tagen extrem zurückgenommen, urteilt unsere Korrespondentin Annett Meiritz, ein „krasser Kontrast“ zu Donald Trump, „der vier Jahre lang auf allen Kanälen sendete“. Der aktuelle Präsident lasse politische Ziele sprechen – es geht auch ohne Brüllen, Skandale und Hire & Fire. „America First“ heißt es auch bei „Speedy Joe“, doch sein Kampf gegen Klimawandel und Ungleichheit verbreitet den Charme des Wandels. Hier gilt Mark Twain: „Ein Mann mit einer neuen Idee ist ein Narr – so lange, bis die Idee sich durchgesetzt hat.“
Ende einer Dienstfahrt: Das Vergnügen oder der Stress – je nachdem – mit auswärtigen Business-Terminen ist weitgehend eine Sache der Vergangenheit. Vorbei ist das Sammeln von „Meilen“ oder Speed Dating in fremden Städten. Unsere Umfrage unter den 30 Dax-Konzernen ergibt, dass sie dauerhaft mit weniger Geschäftsreisen planen. Bayer will sie um die Hälfte reduzieren, Deutsche Wohnen um 30 Prozent. Bei Allianz sollen für Meetings mit Personen an anderen Standorten „virtuelle Lösungen zum Standard werden und Geschäftsreisen die Ausnahme“.
Die neue Abstinenz in der Pandemie ist gut für die Ökobilanz, womöglich aber schlecht für die Kommunikationskultur, findet Arbeitspsychologe Hannes Zacher: „Studien zeigen, dass persönliche Treffen mit höherer Kreativität und Teamleistung einhergehen als Onlinemeetings. Per Videokonferenzen lassen sich auch Konflikte nur unzureichend lösen.“
- In Brüssel zeichnet sich eine Verschärfung des EU-Kartellverfahrens gegen den US-Giganten Apple ab. Der Konzern gehört zu den Türwächtern im digitalen Kapitalismus, deren Macht die EU-Kommission dauerhaft beschneiden will – mit neuen Gesetzen, aber eben auch mit rasiermesserscharfer Aufsicht. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager stört sich an gleich zwei Dingen:
- Über den App Store soll Apple Konkurrenten behindern, wie das schwedische Unternehmen Spotify beklagt. Der Musikstreaming-Dienst hat Apple zum direkten Konkurrenten. CEO Daniel Ek spricht von einer „Apple-Steuer“, weil er den Amerikanern für Verkäufe im App Store 15 bis 30 Prozent Provision zahlen muss. Der Manager ist aktuell übrigens auch im Scheinwerferlicht, weil er dem US-Clan Kroenke deren Fußballklub Arsenal London abkaufen will.
Ein zweites Verfahren dreht sich um den Bezahldienst Apple Pay. Hier moniert die EU-Kommission, dass der Äpfelchen-Konzern beim iPhone kontaktloses Bezahlen nur mit Apple Pay ermöglicht, nicht aber mit anderen Angeboten. Das ist bei Google oder Samsung kein Problem.
Zumindest im Spotify-Fall dürfte Brüssel nun die Beschwerdepunkte nennen. Die nächste Stufe sind Kartellbußen und Auflagen. Europa wehrt sich gegen die neuen Hegemone – die dessen ungeachtet immer besser verdienen. Apple meldet aktuell fürs erste Vierteljahr 89,6 Milliarden Dollar Umsatz, 54 Prozent mehr. Und der Nettogewinn explodierte sogar um 110 Prozent auf 23,6 Milliarden. Das Publikum hält 5G-fähige iPhones offenbar für Pflichtgeräte.
Im digitalen Milliardenspiel fällt ein neues Manöver des US-Telekommunikationsriesen Verizon auf. Hatte man einst noch von der Verbindung von Inhalten und Vertrieb geschwärmt wie von der Apollo-11-Mondfahrt, so ist nun das Gegenteil richtig. Teuer akquirierte Medienfirmen wie AOL oder Yahoo – die alle ihre Glanzzeiten lange hinter sich haben – sollen verkauft werden, wie das „Wall Street Journal“ meldet. Bis zu fünf Milliarden Dollar sollen so in die Kasse kommen. Unter den möglichen Käufern sind Privat-Equity-Firmen wie Apollo. Derzeit ist so viel Geld im Markt, dass sich auch für Restposten aus der ersten Phase der Internet-Ära ein Deal findet.
Wenn es gut läuft, ist Airbus aus Toulouse ein Musterbeispiel für deutsch-französische Zusammenarbeit. Derzeit aber läuft es nicht gut. Die Töchter Stelia in Frankreich und Premium Aerotec (PAG) in Deutschland, in die der Bau großer Flugzeugteile wie Rumpf und Türen ausgelagert wurde, sollen wieder in den Konzern integriert werden. Bei PAG aber wird ein Teil, „Detail Parts“ für Komponentenfertigung, künftig nicht mehr zu Airbus gehören. Daraus soll ein Global Player werden, der alle möglichen Flugzeugbauer beliefert.
Betriebsräte, Gewerkschafter und Politiker fürchten einen massiven Jobverlust in Deutschland, während in Frankreich die Arbeitsplätze weitgehend sicher sind. Gerüchteweise interessieren sich auch chinesische Investoren für das, was nicht mehr Airbus sein darf.
Der Tod des südkoreanischen Samsung-Moguls Lee Kun-hee im Oktober 2020 führt jetzt zu einem Erbschaftssteuer-Weltrekord. Seine Familie bestätigt, fast 9 Milliarden Euro zu zahlen – das Land liegt mit einem Steuersatz von 60 Prozent global an der Spitze. Die Zahlung von Lee sei drei bis vier Mal so hoch wie die gesamten Einnahmen der Regierung aus dieser Steuer in 2020, erklären die Erben.
Lees Kunstdepot mit 23.000 Werken – darunter Salvador Dalí, Claude Monet und Pablo Picasso – soll an Museen gehen. Auch sind hohe Spenden, etwa für Medizinleistungen, geplant, auf dass sich das eigene Image bessert: Lee Jae-yong, Sohn des verstorbenen Patriarchen, musste wegen schwerer Bestechungsdelikte ins Gefängnis. „Je korrupter der Staat, desto mehr Gesetze braucht er“, befand Tacitus.

Und dann ist da noch Linda Zervakis, die man bisher meist als Nachrichtensprecherin, also gewissermaßen als „Dame ohne Unterleib“, in der ARD „Tagesschau“ sah. Auch in der ARD, aber bei Sport-Events, war Matthias Opdenhövel zu erleben. Nun wechseln die beiden als neues Traumpaar des Privatsenders Pro Sieben nach München, wo ihre Info-Show an einem Werktag zwischen 20.15 und 22.15 Uhr ausgestrahlt werden soll. In der Münchener TV-Station erinnert man sich daran, dass Fernsehen in Netflix-Zeiten wohl kaum eine Wiederaufbereitungsanlage für Filmkonserven aller Art sein kann, sondern mit Journalismus zu tun haben könnte.
Zervakis bekannte, eine Viertelstunde zu können und beweisen zu müssen, „dass ich eindreiviertel Stunden dranhängen kann“. Ihr größter Wunschgast für „Zervakis & Opdenhövel. Live“, eine politische Rentnerin namens Angela Merkel kurz vor Weihnachten, ist allerdings so originell wie Spekulatius neben der Teetasse.
Ich wünsche Ihnen einen humorvollen Tag.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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