Morning Briefing Börsenangst vor Evergrande aus China
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
der Name „Evergrande“ war manchem im Westen bisher nur durch den globalisierten Fußballkapitalismus geläufig. Mit einem Haufen Geld und internationalen Stars hatte der chinesische Immobilienkonzern kurzerhand seinen Klub Guangzhou zum Meister der Chinese Super League gemacht. Jetzt kennen viele in der Welt Evergrande als ein mit 300 Milliarden Dollar verschuldetes Unternehmen, das gegen die Pleite kämpft. Das Wort vom „asiatischen Lehman-Moment“ macht die Runde.
Wenn der Koloss kollabieren würde, hätte dies auch Auswirkungen auf den Westen, da sich die betroffenen Gläubiger mit Geschäften einschränken müssten. Angstwort der Stunde: Kettengeschäfte. Kein Wunder, dass der neu formierte Dax 40 gleich am ersten Tag um 2,3 Prozent auf 15.132 Zähler abrauschte.
In den USA verloren die Aktienindizes S&P 500 und Nasdaq zum Handelsschluss jeweils 1,70 Prozent und 2,10 Prozent. Der Dow Jones knickte am Ende um 1,78 Prozent ein – nachdem er im Handelsverlauf kurz auf den tiefsten Stand seit Ende Juni abgesackt war.
Der nächste Schock ist im Energiemarkt zu beobachten. Dort sehen sich Industrie und Verbraucher mit einem Problem konfrontiert: Noch nie war Erdgas so teuer. Aktuell liegt der Preis pro Megawattstunde bei 65 Euro – das langjährige Mittel zwischen 15 und 20 Euro. „So stark steigende Gaspreise über einen so langen Zeitraum gab es noch nie“, sagte Experte Fabian Huneke von der Beratungsfirma Energy Brainpool in unserer Titelgeschichte.
Besserung ist nicht in Sicht, Erdgas aus der Gazprom-Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 wird noch etwas auf sich warten lassen. In Großbritannien mussten aufgrund des Gaspreisschocks bereits vier kleine Versorger den Handel einstellen – die Regierung will der Branche mit Krediten helfen.
Interview Nummer eins zur Klimafrage kommt von EnBW-Chef Frank Mastiaux. Er fordert von der künftigen Bundesregierung mehr Power bei der Energiewende. Der eigene Energiekonzern will seinen Besitz an Wind- und Solaranlagen bis 2026 verdoppeln sowie Wasserstoff in die Gasleitungen bringen.
- Zum Klimaschutz sagt Mastiaux: „Wir müssen unser Tempo in Deutschland mindestens verdreifachen. Wir haben bis 2030 de facto neun Jahre Zeit, um einen jetzt schon erheblichen Rückstand aufzuholen.“
- Auch Konzentrationen im Markt erwartet er: „In der Energiebranche haben Übernahmen bei Veränderungen des Marktes Tradition. Es würde mich nicht überraschen, wenn sich die Ölunternehmen die Konzerne im Strombereich genauer anschauen.“
Interview Nummer zwei steuert Christian Mumenthaler bei, Chef des Rückversicherers Swiss Re. Er befürchtet, beim Klimawandel könnte „plötzlich etwas kippen“.
- Zur Lage erklärt der Manager: „In der Wissenschaft besteht Konsens, das als Folge des Klimawandels die sogenannten sekundären Schäden zugenommen haben, also zum Beispiel Dürre, Hagel, Waldbrände oder Fluten.“ Die Schadenssummen für solche Sekundärereignisse lagen 2020 bei rund 60 Milliarden Dollar.
- Die Notwendigkeit von Versicherungen erklärt Mumenthaler so: „Wenn die Menschen nicht versichert sind, aber erwarten, dass der Staat einspringt, passiert oft das Gleiche: Im Katastrophenfall braucht der Staat Zeit, hat das Geld nicht parat, oft fehlt ein Mechanismus, mit dem das Geld verteilt wird. Darum sind Systeme, in die Versicherungen früh eingebunden sind, im Vorteil.“
Mit den Worten vom Schriftsteller Max Frisch machen wir uns heute Hoffnung: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack von der Katastrophe nehmen.“

Im Endspurt des Bundestagswahlkampfs spürt Umfragen-Primus Olaf Scholz von der SPD auf einmal den Atem von Armin Laschet: Dessen Union kommt nach letzten Umfragen auf drei Prozentpunkte heran. Am gestrigen Montag im Finanzausschuss blieb der Finanzminister beim Narrativ, seine Behörde hätte wirklich alles getan, die umstrittene Anti-Geldwäsche-Einheit FIU zu stärken.
Damit wäre der Verdacht hinfällig, Scholz sei verantwortlich, dass von der FIU kaum gelöste Fälle kamen. Zur Selbstpreisung passt nicht, dass der Vizekanzler einräumen musste, die Behörde in seiner Amtszeit noch nie besucht zu haben und ihrem Leiter Christof Schulte nie persönlich begegnet zu sein.
Zur Bundestagswahl möchten wir, kurz vor dem Finale, etwas von Ihnen wissen: Welcher Partei, welchem Kandidaten oder welcher Kandidatin sprechen Sie die meiste Wirtschaftskompetenz zu – und warum? Schreiben Sie uns Ihre Meinung in fünf Sätzen an [email protected] Ausgewählte Beiträge veröffentlichen wir mit Namensnennung am Donnerstag im Handelsblatt-Forum, gedruckt und online.
Eine Idee, die Schule machen könnte, kommt aus Tübingen. Dort forciert der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer, oft Schlagzeilenkönig wider den tierischen Ernst seiner Partei, einen spektakulären Plan gegen die Besitzer von SUVs mit einem Gewicht von mehr als 1,8 Tonnen (Verbrenner) und zwei Tonnen (E-Variante): Sie sollen künftig jährlich 180 Euro fürs Anwohnerparken bezahlen, die anderen Autohalter 120 Euro.
Das sieht ein Kompromiss im Stadtparlament vor. Palmer wollte ursprünglich 360 Euro: „Es soll einen spürbaren Unterschied geben zwischen kleinen Stadtfahrzeugen und großen Geländewagen, die eigentlich in der Stadt nicht zwingend benötigt werden.“
Warum eigentlich sollten in Klimafragen immer die üblichen Lobbyisten agieren, fragten sich die professoralen Nachhaltigkeitskoryphäen Maja Göpel und Martin Stuchtey. Kurzerhand gründeten sie mit Wirtschaftsgrößen und anderen Professoren die Initiative „Kompass für Deutschland“. Mit dabei sind etwa HypoVereinsbank-Chef Michael Diederich und Multiaufsichtsrätin Simone Menne.
Es geht etwa um steuerliche Anreize für mehr Umweltschutz oder eine ethisch verantwortbare Aktienrente. Entscheidend sei, „dass nicht nur Besitzstandswahrer und organisierte Interessensvertretungen in der Diskussion angehört werden, sondern dass Pionierinnen und Pioniere als die Wirtschaft der Zukunft auftreten“, sagt Göpel im „Tagesspiegel“. Wenn sich mehr und mehr Führungspersönlichkeiten anschlössen, werde es immer schwieriger, zu sagen: „Die“ Wirtschaft werde darunter leiden.

Und dann ist da noch die Universal Music Group, die mit Rechten an Altware der Beatles, von Abba oder Stevie Wonder sowie mit Neuproduktionen von Taylor Swift bis Billie Eilish die weltgrößte Musikfirma ist.
An diesem Dienstag überträgt Konzernmutter Vivendi mit Großaktionär Vincent Bolloré 60 Prozent der Aktien den eigenen Aktionären – die ihre Papiere dann an den Börsen versilbern können. Marktbewertung: mindestens 33 Milliarden Euro.
Solche Perspektiven locken Bolloré, zumal seine anderen Aktivitäten – Canal plus (TV), Prisma Media (Presse), Havas (Werbung), Gameloft (Spiele), Editis (Buch) – die Anleger kalt lassen. Für den in Santa Monica domizilierenden Universal-Music-Chef Lucian Grainge sind schon mal 150 Millionen Dollar Bonus avisiert. Die Beatles gratulieren: „Baby you’re a rich man, too / You keep all your money in a big brown bag inside a zoo.“
Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag, mit Pause für Musik.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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