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Morning Briefing Bühne frei für den Gruppen-Egoisten Weselsky

11.08.2021 - 06:00 Uhr Kommentieren

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

der Klassenkampf sächselt wieder. Jene TV-Bilder sind zurück, die einen bärbeißigen, spruchsicheren Claus Weselsky zeigen: Der in Dresden geborene Chef der Lokführergewerkschaft GDL will – wie schon 2015 – per Streik mehr Geld für seine Klientel herausholen. Zwei schöne Druckpunkte glaubt der seniorige Arbeiterführer, 62, bedienen zu können: Ferienzeit ist Reisezeit, und wer heute Morgen vergeblich auf den Fernzug nach Wien oder Zürich wartet, wird sich nachhaltig an den Weselsky-Sound erinnern.

Zweitens scheint die durch Corona betriebswirtschaftlich noch mehr als üblich geschädigte Deutsche Bahn (DB) leicht unter Druck zu setzen zu sein. Denn die Staatsfirma kann sich weitere ökonomische Flops nicht leisten. Niemand im Management kann dem von sich selbst überzeugten, vielleicht auch berauschten GDL-Chef so etwas wie Charme entgegensetzen. Irgendjemand wird dem in der DDR aufgewachsenen Lokomotiv-Helden eine einfache Wahrheit beibringen müssen: Gruppenegoismus hat mit Solidarität so viel zu tun wie DB mit Pünktlichkeit.

In der Riege der großen Corona-Wortführer war ein Mann aus Bayern wieder einmal Trendsetter. Es war natürlich CSU-Chef Markus Söder, der auf dem gestrigen Corona-Krisengipfel in Berlin vor einer „Pandemie der Ungeimpften“ warnte. Von seinem härteren Kurs gegen Impfunwillige ist allerdings nicht viel zu spüren. Dass die kostenlosen Tests auslaufen, darf als äußerste Maßnahme gewertet werden. Ab einem Inzidenzwert von 35 gilt nun Testpflicht.

Von „3G“ (geimpft, genesen, getestet) ausgehend konnte sich Angela Merkels Ministerpräsidentenrunde insgesamt nicht auf „2G“ einigen (geimpft, genesen). Erbauliches kam zum Schluss von Gesundheitsminister Jens Spahn: „Für diese drei von vier Erwachsenen, die sich haben impfen lassen, wird es keinen erneuten Lockdown geben.“

Das Lieblingsthema deutscher Banken heißt seit einiger Zeit „Nachhaltigkeit“. Man wäscht porentief rein, reiner geht`s nicht. Nachhaltig ist aber auch der Ärger, den eine Datensammlung der Umwelt-Organisation Urgewald macht. Danach haben zwischen Oktober 2018 und Oktober 2020 sechs der großen deutschen Geldinstitute zusammen mindestens acht Milliarden Euro Kredit an Firmen gegeben, die einen erheblichen Teil ihres Gewinnes mit Kohle machen – Deutsche Bank und Commerzbank vorneweg.

Quelle: imago images/photothek
Deutsche Banken haben immer noch Milliardendarlehen an Energie- und Rohstoffkonzerne mit Kohlegeschäft in ihren Büchern stehen.
(Foto: imago images/photothek)

Die Geldhäuser weisen die Kritik empört zurück. Sie wollten die eigenen Kunden zu mehr Nachhaltigkeit begleiten und so den Umbruch vorantreiben. Die Liste der Öko-Sünden ist lang, hier vier Beispiele.

  • Die Deutsche Bank ist mit 4,8 Milliarden Dollar bei Investmentbank-Services und mit drei Milliarden an Krediten bei Energie- und Rohstoffkonzernen, die im Kohlegeschäft aktiv sind, dabei.
  • Bei der Commerzbank fallen die Kohlefinanzierungen mit 6,6 Milliarden Dollar fast so hoch aus wie bei der klar größeren Deutschen Bank. Man will im Frankfurter Commerzbank-Tower nun die Kohlerichtlinie verschärfen.
  • DZ Bank: Nur drei Kunden – Glencore, EnBW und RWE – sind im System der Finanz-Genossen für 1,1 Milliarden Dollar im Kohle-Business verantwortlich.
  • Die Landesbank Baden-Württemberg finanziert neuerdings keine Firmen mehr, die Kohlekraftwerke bauen – doch im Alt-Kohlegeschäft liegt das Volumen des Instituts noch bei 735 Millionen Euro.

Es kommentiert Karl Kraus: „Tugend und Laster sind verwandt wie Kohle und Diamant.“

In der ersten industriellen Revolution war Deutschland ein Land der Gründer. Nun, in der dritten industriellen Revolution, ist es ein Land der Grübler. Wenn es um Start-ups geht, sind wir im internationalen Vergleich stolzer Besitzer von Roten Laternen, die allen signalisieren: Da ist wirklich noch jemand. Tatsächlich ergibt sich aus dem „Global Entrepreneurship Monitor“ des RKW-Kompetenzzentrums und der Leibniz-Universität in Hannover, dass Deutschland im Ranking der höchsten Gründungquoten auf Rang 41 von 43 Staaten liegt.

Nur 4,8 Prozent der 18- bis 64-Jährigen in Deutschland waren als Start-up-Strategen unterwegs, nur Italien und Polen lieferten noch schlechtere Ergebnisse ab. Immerhin haben fast so viele deutsche Frauen wie Männer Firmen gegründet. In Sachen Start-up-Schwäche geht es gendergerecht zu.

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An die berühmte 1997er Ruckrede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog erinnert Jutta Allmendinger im Handelsblatt-Gastkommentar: „Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“ Bildung müsse zum „Megathema der Gesellschaft werden“, forderte Herzog damals, doch „mega“ ist offenbar nur der Dauerschlaf bei diesem Thema. Kitas und Schulen wurden in der Pandemie ruckzuck geschlossen, ganz anders als in vielen anderen Ländern.

Die Professorin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung beklagt die Rückschrittlichkeit in der sozialen Infrastruktur, unzureichende Personalstrukturen sowie mangelhafte Gestaltungschancen für Schulleiter – und sieht ein „Drama“ für den Nachwuchs. Ihre Bilanz zu Corona: „Man ließ die Kinder regelrecht ins offene Messer laufen.“ Die „Refeudalisierung“ der deutschen Gesellschaft, so Allmendinger, sei im vollen Gange. „Was die Fürsten geigen, müssen die Untertanen tanzen“, teilt das deutsche Sprichwort dazu mit.

Bei seiner Imagepflege kann Österreichs junger Kanzler Sebastian Kurz von 2022 an auf prominente Hilfe hoffen. Vor allem mit den Stimmen von Mitgliedern seiner ÖVP wurde Roland Weißmann zum neuen Generaldirektor des öffentlich-rechtlichen Sendermolochs ORF gewählt. Seit 2012 ist Weißmann Chefproducer der Fernsehsparte, seit 2017 auch stellvertretender Finanzchef. Seine Mission: „Der ORF braucht dringend mehr digitale Bewegungsfreiheit, damit wir den Anschluss nicht verpassen.“

Vielleicht sehnt er sich bald auch nach etwas mehr Beinfreiheit, um Ansprüchen eines unabhängigen Journalismus zu genügen. Die Grünen, Regierungspartner der ÖVP, haben bei diesem Postenschacher die Murmeltierrolle gespielt: Bei Gefahr bitte verschwinden im unterirdischen Gangsystem.

Quelle: dpa
Altkanzler Schröder erhält auf der Volkswagen-Betriebsversammlung Curry-Würste in einem schwarzen Beutel.

Und dann ist da noch Altkanzler Gerhard Schröder, der auf das Ende der Currywurst in der Kantine des Wolfsburger VW-Markenhochhauses mit einer Leidenschaft reagiert, die an den Einsatz von Bernhard Grzimek für bedrohte Tiere in Afrika („Serengeti darf nicht sterben“) erinnert. „Wenn ich noch im Aufsichtsrat von VW säße, hätte es so etwas nicht gegeben“, schreibt Schröder. Er selbst halte es phasenweise ja auch mit vegetarischer Ernährung, aber: „Grundsätzlich keine Currywurst? Nein!“

Es handele sich ja um einen der „Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion“, lobt Schröder – und setzt den Hashtag „#rettetdieCurrywurst“. Herbert Grönemeyer wird sich der sozialpolitischen Initiative sicherlich sofort anschließen, hat der Bochumer doch schon 1982 im Song „Currywurst“ alles Wichtige formuliert: „Gehste inne Stadt/ Wat macht dich da satt?/ 'Ne Currywurst.“ Titel des Albums übrigens: „Total egal“.

Ich wünsche Ihnen einen gastronomisch zufriedenstellenden Tag, notfalls mit „Rot-Weiß“.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor

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