Morning Briefing CDU: Sendestörung auf Kurz-Welle
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
von „Postheroismus“ hielt die Union nie besonders viel. Sie war dem „Heroismus des Wahltags“ verpflichtet, huldigte also Angela Merkel, als sie noch Stimmenkönigin war. Mit ihrem Abgang als Parteichefin begann die Suche nach „Präheroismus“, nach neuen Helden, doch sie sind der CDU/CSU abhanden gekommen. Nun fällt als Idol auch noch Österreichs Sebastian Kurz aus, der nach schmierigen Korruptionsvorgängen rund um die offenbar korrumpierbare Zeitung „Österreich“ vom Kanzlerjob zurücktrat, aber ÖVP-Boss und „Nebenkanzler“ bleibt.
Der Wiener Populist hat die Sehnsüchte vieler in der Union geweckt: seine Jugendlichkeit, sein Schneid, sein Ehrgeiz (den manche Gewissenslosigkeit nennen). Einen „deutschen Sebastian Kurz“ forderte erst jüngst Tilman Kuban, Chef der Jungen Union. Der Kubanismus dieser Welt sah in Markus Söder die Inkarnation dieses Politiker-Typus. Und nicht wenige raunten, eine „Liste Markus Söder“ analog „Liste Sebastian Kurz“ wäre doch was. Und jetzt? Nach dieser Kurz-und-klein-Aktion kann man nur den Spruch bemühen: „Wohin du blickst, dorthin wirst du auch fliegen.“

In Wien bleibt die konservative ÖVP, jetzt mit Alexander Schallenberg, weiter Kanzlerpartei, weil die um höhere Ethik bemühten Grünen in der niederen Ebene der Alltagspolitik alles mitmachen. Selbst juristische Ermittlungen gegen die einstige Leitfigur Kurz erträgt man hier tapfer. Es dient ja dem als „Verantwortung“ kaschierten Machterhalt. „Die Regierungskrise ist beendet“, verkündet der grüne Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Und jetzt bitte keine Widerworte.
Auf solche Flexibilität baut bei der CDU der Kandidaten-Flop Armin Laschet bei „Jamaika“ mit den Grünen. Aber das wird ihm heute im CDU-Präsidium nichts nutzen. Alle Anwärter auf seinen Chefposten laufen sich warm, von Jens Spahn über Norbert Röttgen bis Friedrich Merz. Und Veteran Wolfgang Schäuble warnt schon mal davor, die Mitglieder zu befragen. Fazit: Zu viel Demokratie kann offenbar zu Verwirrung führen. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
Eine Zeitlang sprach man in Deutschland von einer „Saarland-Welle“, weil wichtige Bundesminister aus dem kleinen, schönen Bundesland stammten. Doch für Verteidigungsexpertin Annegret Kramp-Karrenbauer, 59, die Bundeskanzlerin hätte werden können, und für Peter Altmaier, 63, der zuletzt als Wirtschaftszuständiger vergeblich „erhardisierte“, ist jetzt Schluss. Die beiden verzichten auf ihre Bundestagsmandate, was junge Talente wie die Digitalexpertin Nadine Schön nachrücken lässt.
Dieses Nachrück-Problem hat die wiedererwachte SPD nicht. Hier ist eine Hundertschaft Young Professionals mit dem Scholz-Zug in den Bundestag gekommen. Alles in allem schwächt das die Hoffnung, der als Außenminister darbende Heiko Maas – der dritte Saarländer im Spiel – würde auch auf sein Abgeordneten-Mandat verzichten. Soviel ist klar: In den „West Wing“ der Macht kommt Maas nicht mehr.
In die heutigen Verhandlungen von SPD, Grünen und FDP über eine „Ampel-Koalition“ funken die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sowie Andreas Kuhlmann, Chef der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena), mit ihren Erwartungen für die Klimaschutzpolitik. Die beiden bringen die Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ der Dena voran, auch mit einem großen Handelsblatt-Gespräch.
- Die nächste Bundesregierung müsse „entschiedener und schneller“ agieren, sagt Grimm: „Zu den ersten Maßnahmen sollte gehören, die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) komplett zu streichen.“
- Die Wirtschaftsweise setzt auf ein generelles Umdenken in der Politik: „Wir müssen zu einem System kommen, das den Emissionshandel in den Mittelpunkt stellt.“
- Kuhlmann wiederum verweist auf die 84 Handlungsempfehlungen der Studie. Es brauche einen „klaren Fokus auf den ökonomischen Rahmen“, bei Fördermitteln müsse man mehr auf die Effizienz achten. Am Ende, so Kuhlmann, werde „man auf dem Weg zur Klimaneutralität auch um Gebote und Verbote nicht herumkommen.“
- Kreative Konzepte vor Ort fordert der Dena-Chef: „Wir sollten etwa über City-Maut-Systeme nachdenken und natürlich über den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, vor allem im ländlichen Raum.“ Wenn wir nur auf E-Mobilitätsprämien setzten, würde das in erster Linie denjenigen helfen, die Autos verkaufen.
Wie auch immer: „Der Anfang ist der wichtigste Teil der Arbeit“, befand schon Platon.
Eine kleine Rolle mag sie gespielt haben, die jüngste Enthüllungsaffäre des Andrej Babiš, 67. An ungeeigneter Stelle, in den „Pandora Papers“, tauchte der Name des tschechischen Premiers auf. Er soll 2009 über dubiose Briefkastenfirmen Immobilien in Frankreich gekauft haben. Das ist misslich für einen, der im Blütenweiß-Gewand des Korruptionsbekämpfers daher wandelt. Jedenfalls verlor der Unternehmer zusammen mit seiner ANO am Wochenende überraschend die Parlamentswahl: Mit nur 27,2 Prozent wurde man nur Zweiter. Stimmensieger wurde das Mitte-Rechts-Bündnis Spolu („Gemeinsam“) mit 27,7 Prozent. Auf dem dritten Platz liegt mit 15,5 Prozent die Allianz von Piraten- und Bürgermeisterpartei. Die Babiš-Gegner könnten koalieren.
Wen aber Staatspräsident Milos Zeman mit der Regierungsbildung beauftragt, ist unklar. Der 77-Jährige wurde am Sonntag nach einem ersten Treffen mit Babiš ins Zentrale Militärkrankenhaus von Prag eingeliefert. Dort liegt er auf der Intensivstation.
An den USA soll die globale Mindeststeuer von 15 Prozent nicht scheitern, auf die sich 136 Staaten geeinigt haben. Das jedenfalls ist die aktuelle Nachricht von US-Finanzministerin Janet Yellen. Auch zum Streit über die öffentlichen Finanzen in den USA äußert sie sich. Nachdem Kongress und Regierung über die Ausgabenpläne und die Steuerkonzepte entschieden haben, sei es ihre Verantwortung, festzulegen, wer die Rechnung begleicht. Das sei für einen Haushalt eine Routinearbeit, so Yellen, „wir sollten über die Fiskalpolitik der Regierung reden.“

Und dann ist da noch Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der im Handelsblatt-Gastkommentar die „grüne Inflation“ lobt. Er sorgt sich in seinem Stück um zerbrochene Lieferketten und Rohstoff-Engpässe, aber nicht um die höhere Inflation: „Sie ist willkommen und notwendig für die Transformation der deutschen Wirtschaft.“ Alle wollten mehr Klimaschutz, so Fratzscher, deshalb könne man nicht gleichzeitig darüber klagen, wenn höhere Preise das schädliche Verhalten von Menschen und Firmen besser widerspiegeln.
Wenn, wie vielfach berechnet, die CO2-Bepreisung zu einer um 0,5 Punkte höheren Inflationsrate führe, sei das mittelfristig mit 1,9 Prozent unproblematisch. Die größte Bedrohung seien der Klimawandel an sich sowie „auch durch ihn ausgelöste globale Handelskonflikte“. Fazit: Wie schreibt Kurt Tucholsky so schön: „Erfahrungen vererben sich nicht – jeder muss sie allein machen.“
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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