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Morning Briefing Chaos-Union: Provision als Vision

08.03.2021 - 06:00 Uhr Kommentieren

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

wir beginnen diese Woche mit dem Evergreen-Thema „Wirtschaft und Politik“. Wie oft war zu hören, dass im Parlament hauptsächlich Berufspolitiker säßen, die vom Business wenig Ahnung haben. Und nun? Stellt sich in der Coronakrise heraus, dass zwei Bundestagsabgeordnete der Union offenbar geschäftstüchtiger sind als der Ethik-Konvent erlaubt und mit ihren privaten Beratungsfirmen im Frühjahr 2020 an Maskendeals gut verdient haben. Weil dies wenige Tage vor zwei Landtagswahlen wirkt wie ein Eimer Glyphosat im Feldsalatbeet, überschlagen sich CDU-CSU-Leader mit Forderungen nach sofortigem Rücktritt. Allen voran CDU-Chef Armin Laschet, möglicher Kanzlerkandidat: „Wer Geschäfte macht mit diesem Schutz, wer sich daran persönlich bereichert, der ist kein Volksvertreter.“ In der Politik gilt: Provision ist nie Vision.

Quelle: dpa
Nikolas Löbel gibt an, seine Mitgliedschaft in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sofort zu beenden.

Fall I: Der 34-jährige Nikolas Löbel, Mannheimer CDU-Abgeordneter für den Bundestag. Er gesteht ein, mit seiner GmbH rund 250.000 Euro für die Vermittlung von Verträgen zwischen zwei Privatfirmen und einem baden-württembergischen Lieferanten verdient zu haben. Er übernehme die Verantwortung, sagt er. Die „notwendigen politischen Konsequenzen“ sehen allerdings so aus, dass er sich zunächst nur aus dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestags und der Fraktion entfernt. Sein Bundestagsmandat will Löbel erst im August niederlegen, ein einsamer Beschluss der Renitenz.

Fall II: Der vom Wahlkreis Neu-Ulm geschickte CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein, ein Jurist, der einst für die Münchener Privatbank Reuschel arbeitete und im Aufsichtsrat von Verona Pooths Kosmetikfirma „Verona’s Dreams“ saß. Nüßlein also soll bis zu 660.000 Euro für Maskenvermittlung über seine Tectum Holding kassiert haben. Er trat zwar sofort aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus, da er „jeglichen politischen Nachteil“ von den Parteifreunden fernhalten wolle. Aber am Bundestagsmandat will auch der 51-jährige Ex-Fraktionsvizechef festhalten – bis September.

Je größer der politische Schaden, desto stärker der Drang nach persönlicher Vermögensoptimierung. Dagegen können nur härtere Regeln für Abgeordnete mit mehr Transparenz helfen. Kurt Tucholsky: „Wer in der Öffentlichkeit Kegel schiebt, muss sich gefallen lassen, dass nachgezählt wird, wie viel er getroffen hat.“

Die Reihe der negativen Nachrichten für die Union komplettiert ein weiterer Skandal. Dabei wird gegen den Karlsruher CDU-Bundestagsabgeordneten Axel Fischer wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit ermittelt. Es geht um Mitglieder des Bundestags, die der Parlamentarischen Versammlung des Europarats angehörten, und zwischen 2008 und 2016 über britische Briefkastengesellschaften mit baltischen Konten unter anderem Gelder aus Aserbaidschan erhalten haben.

All diese Skandale treffen die Union, die laut neuesten Umfragen nur noch auf 32 Prozent kommt. Und sie treffen die Demokratie: am ärgsten all jene Parlamentarier und Politiker, die sich fürs Gemeinwesen aufreiben. Und nicht res publica mit res pecunia verwechseln.

Quelle: AFP
Angela Merkel und Olaf Scholz: Projekte, die bisher noch nicht im Bundeskabinett beschlossen wurden, haben kaum noch eine Chance darauf, realisiert zu werden.
(Foto: AFP)

Vom heutigen Montag an soll jeder und jede im Land einmal in der Woche kostenlose Corona-Schnelltests erhalten. Doch die vollmundige Ankündigung des Gesundheitsministers Jens Spahn besteht wohl den Praxistest nicht. Es fehlt an Koordination zwischen Bund und Ländern sowie mit Apothekern, Ärzten und Testzentren. Details sollen in der „Bundestestverordnung“ stehen, die jedoch erst für heute erwartet wird. Was alles sonst noch in der Regierungsarbeit der Großen Koalition unerledigt ist, hat unser Politikressort kompiliert:

  • Abgeltungssteuer: Es bleibt bei der Peer-Steinbrück-Devise „Besser 25 Prozent von X als nix“. Kapitalerträge werden weiter per Pauschalsatz besteuert und nicht wie früher als normales Einkommen bis zu 42 Prozent, obwohl der SPD eine Reform so dringend erforderlich schien.
  • Altersvorsorgepflicht für Selbständige: Die Pandemie zeigt, wie wichtig diese Maßnahme wäre, etwa für Ärzte und Anwälte. Aber der Durchbruch kommt nicht.
  • Arbeitszeitgesetz: Es müsste an das digitale Zeitalter angepasst werden, doch hier bremst die SPD. Sie will dazu ein System zur Zeiterfassung einrichten, wogegen wiederum Union und Wirtschaft Sturm laufen.
  • Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft: Es kam über Ankündigungen drastischer Bußgelder für Firmen mit Korruption, Umweltdelikten und Betrug nicht hinaus. Länder und Wirtschaft protestierten, seitdem ist es bei diesem Thema absolut windstill geworden.

Unterm Strich: Wir müssen uns damit abfinden, dass die Regatta von Union und SPD in einer Flaute endet.

Über neue Partnerschaften zwischen Big Tech und Big Oil berichten wir in einem großen Report. Jüngst schlossen BP und Amazon beispielsweise eine Allianz: Der Ölkonzern liefert Strom, der E-Commerce-Riese Daten und Cloud-Services. Bedingt durch Corona setzen die Großen der Ölbranche immer stärker auf Big Data, Künstliche Intelligenz und Internet of Things. Dabei arbeiten sie mit „digitalen Zwillingen“, Computer-Kopien realer Anlagen. Auf diese Weise kooperiert etwa auch Microsoft mit Exxon Mobil, Chevron und Petrobas sowie Google mit Total.

Das Potenzial gilt als groß, bis 2025 will die Branche dank Datentechnologie bis zu 425 Milliarden Dollar einsparen. Die größten Kritiker der Deals sitzen aber in den Tech-Konzernen selbst. So bezeichnen ökobewusste Microsoft-Angestellte den Schulterschluss mit der Ölbranche bereits als „Komplizenschaft in der Klimakrise“.

Die Schieflage der britisch-australischen Finanzgruppe Greensill Capital hat die Europäische Zentralbank in Aktion gebracht. Sie befragt Kreditgeber über ihre Verbindungen zu dem Geldkonzern, dessen allzu bester Kunde der Unternehmer Sanjeev Gupta war. In Deutschland hat die Aufsichtsbehörde Bafin die Bremer Tochter geschlossen und wegen Bilanzmanipulation belangt.

Rund 50 deutsche Kommunen wie Osnabrück, Bad Dürrheim oder Monheim haben in Festgeldkonten der Privatbank investiert. Manche Einlagen-Million dürfte verloren sein – „à fonds perdu“. Für den Kauf von Greensill-Anteilen will, so die „Financial Times“, die Private-Equity-Firma Apollo rund 100 Millionen Dollar zahlen. „Donner ist gut und eindrucksvoll“, wusste Mark Twain, „aber die Arbeit erledigt der Blitz“.

Quelle: dpa
Für ein Zwei-Stunden-Interview mit Prinz Harry und seiner Frau Meghan erhielt Oprah Winfrey mehr als sieben Millionen Dollar.

„The Crown“ ist eine erfolgreiche fiktionale Netflix-Serie über die britische Königsfamilie, die in dieser Nacht in die Realität verlängert wurde. Da strahlte das US-Network CBS, nach allerlei Marketing-Brimborium, das Zwei-Stunden-Interview mit Prinz Harry und seiner Frau Meghan aus. Star-Interviewerin Oprah Winfrey und ihre Produktionsfirma erhielten mehr als sieben Millionen Dollar dafür, Werbekunden und globale Abnehmer sorgten dennoch für einen hohen CBS-Gewinn.

In Deutschland bringt die RTL Group das Dreier-Gespräch und damit die Monarchie in den Alltag. Tenor: Die vom unterkühlten Königshaus verstoßenen Liebenden, die in Los Angeles von Aufträgen für Netflix leben, schlagen zurück. Sie kämpfen wie einst Harrys Mutter Lady Diana um Ruf und Menschlichkeit. Das Gegen-Narrativ der Royals im transatlantischen PR-Krieg: Die gelernte Schauspielerin Meghan habe am Hofe Bedienstete gemobbt.

Queen Elizabeth II. hatte den Rückzug von den königlichen Pflichten des Paares vorzeitig perfekt gemacht. Am Sonntag hielt sie zum „Commonwealth Day“ eine strategische Rede: „Kontakte mit Familie und Freunden sind in der Coronakrise besonders wichtig.“ Und es gebe „eine Hingabe zur Pflicht“.

Im CBS-Interview schmeichelt die US-Schauspielerin Meghan der Queen und schmäht „The Firm“, den Buckingham Palace und seine PR-Büchsenspanner. Sie hätte durch den Stress dort alles verloren: ihren Vater, ein Baby und fast den guten Ruf. Die Bekenntnisse aus dem Tränenpalast gipfelten im Rassismus-Vorwurf: Ein Familienmitglied habe tatsächlich darüber räsoniert, welche Hautfarbe ihr Baby wohl haben werde. Und dann sagte man ihr plötzlich, dass Baby Archie kein Prinz werde. Die wenigen Hof-Jahre mit permanenten Zurückweisungen, so Meghans Story aus einer Luxus-Wohnanlage in Santa Barbara, hätten sie an Selbstmord denken lassen: „Ich wollte nicht mehr leben.“

Psychologische Hilfe aber sei aus Angst vor Presseberichten abgelehnt worden – offenbar von Prinz Charles. Prinz Harry, dem schließlich auch der Personenschutz entzogen wurde, zeigt sich froh, nicht mehr in der „Falle des Systems“ gefangen zu sein. Man habe ihm immer nur gesagt: „It is as it is.“ Es sei wie bei seiner Mutter Lady Di gewesen. Ein Drehbuch für „The Crown“ könnte besser nicht sein.

Und dann ist da noch der französische Industrielle Olivier Dassault, dessen Tod die „Grande Nation“ schockiert. Der 69-Jährige war am Sonntag auf dem Rückweg von Deauville nach Paris, wo er ein Haus besaß, mit dem Helikopter abgestürzt. Auch der Pilot starb. Das Vermögen Dassaults wird auf rund sieben Milliarden Euro geschätzt. Zum Besitz gehören die Mediengruppe rund um die Zeitung „Le Figaro“ und der Rüstungskonzern Dassault Aviation. Der älteste Sohn des 2018 gestorbenen Magnaten Serge Dassault saß für die Republikanische Partei seit 33 Jahren in der Nationalversammlung. Staatspräsident Emmanuel Macron würdigt: „Während seines Lebens hat er nie aufgehört, unserem Land zu dienen. Sein plötzlicher Tod ist ein enormer Verlust.“

Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche, vielleicht haben Sie Schnelltest-Glück.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr

Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor

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