Morning Briefing Das „Bermuda-Dreieck“ der Union
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
wer hat eigentlich die Macht in diesem Land? Ist es noch die seit 2005 amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im Corona-Management äußerste Härte, aber auch bedenkliche operative Schwächen zeigt? Ist es der von ihr gescholtene NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der geradezu anti-merkelianisch für konditionierte Öffnungen im Lockdown eintritt und als CDU-Chef im September Kanzler werden will? Oder doch der in Bayern regierende CSU-Chef Markus Söder, ein Wotan der Warnungen in der Pandemie, der die Christdemokratin im Bundeskanzleramt mit eisernen Ratschlägen noch zu übertrumpfen scheint? Was wir hier erleben, ist das „Bermuda-Dreieck“ der Union, in dem erst die Parteieinheit, dann der Ruf und schließlich der Wahlerfolg zu verschwinden droht.
Folglich kommt eine Debatte in der beim Publikum jäh abgestürzten Union in Gang. Aus der zweiten Reihe rufen all jene, die Friedrich Merz wollten, nach Söder, dem Umfragekönig. Die Jungen in der CDU wiederum wollen möglichst bald eine Entscheidung, wer Kanzlerkandidat wird. Eine Merkel-Vertraute bringt eine Mitgliederbefragung ins Spiel.
Gefragt ist jetzt Laschet, der natürliche Favorit in der K-Frage. Alles ganz einfach: Er muss zeigen, dass er die Nummer eins ist. Gestern retournierte er auf Merkels Kritik an angeblich viel zu laxen Ministerpräsidenten, dass es auch darum gehe, „raus aus der Lockdown-Logik“ zu kommen: „Die Lage ist ernst, wir alle nehmen sie ernst.“ Am heutigen Dienstag will Laschet den „Beteiligungsprozess“ am CDU-Wahlprogramm eröffnen, auch Experten und gesellschaftliche Gruppen sind gefragt.
Fazit: Weder wird Laschet im Schlafwagen zur Macht kommen, noch Merkel im flaggengeschmückten Sonderzug aus Berlin zurück in die Uckermark fahren. Dafür liegen die Nerven derzeit zu blank.

Die Älteren von uns erinnern sich vielleicht noch an den Hedgefonds Long-Term Capital Management (LTCM). Die von namhaften Ökonomen und ihren Rechenmodellen getragene Firma verursachte 1998 mit ihrer Fast-Pleite eine veritable Weltfinanzkrise, die nur durch ein Rettungspaket der Banken über 3,6 Milliarden Dollar beigelegt wurde. Nun, 23 Jahre später, scheinen sich die Ereignisse zu wiederholen.
Wieder reißt die Schieflage eines Hedgefonds Banken in den Strudel, nur dass diesmal nicht Professoren der Wirtschaftswissenschaften zu Werke waren, sondern ein windiger Fondsmanager namens Bill Hwang, der 2012 Betrug im Handel mit chinesischen Wertpapieren eingeräumt hat. Diesmal hatte Hwangs Archegos Capital – aufgesetzt als Family Office – stark mit den Medienaktien Viacom CBS und Discovery gezockt, deren Kurse aber vorige Woche verfielen. Irgendwann konnte Archegos Nachschussforderungen der Kreditbanken nicht nachkommen, worauf diese in einem Notverkauf („Firesale“) chinesische und amerikanische Aktien im Wert von 30 Milliarden Dollar losschlugen.
Die Credit Suisse selbst spricht von einer „hoch bedeutsamen und materiellen“ Wirkung auf den Gewinn, sogar drei Milliarden Dollar minus sind möglich. Die japanische Investmentbank Nomura wiederum fürchtet, der Gewinn eines halben Jahres werde verschwinden, es könnten zwei Milliarden Dollar Schaden entstanden sein. Die Aktien beider Unternehmen sackten gestern um 14 beziehungsweise 16 Prozent ab. Eine Vielzahl anderer Finanzhäuser waren ebenfalls in den Fall Archegos involviert, auch die Deutsche Bank, allerdings mit kleineren Summen. Am besten geht es der Phalanx jener Banken, die nach dem 2012er Skandal den Hasardeur Hwang ganz mieden, zumal er an der Börse in Hongkong Spielverbot bekam.

Ein bisschen zu viel Investmentbank und noch zu wenig Unternehmerbank ist das größte heimische Geldinstitut. Aber nun bekommt CEO Christian Sewing bei der Deutschen Bank fünf Jahre mehr für die nächste Stufe des Umbaus, sein Vertrag wird bis 2026 verlängert. Die zuletzt rentierliche, aber auch riskante Investmentsparte, die Sewing in Personalunion sogar mitbetreute, fällt an den bisherigen Transformationsvorstand Fabrizio Campelli, der wiederum durch Rebecca Short aus der zweiten Reihe ersetzt wird. Es handelt sich um eine Alle-werden-glücklich-Lösung aus der Werkstatt des Aufsichtsratschefs Paul Achleitner:
- die Bafin ist happy, dass der CEO nicht auch noch ein anderes sehr konfliktträchtiges Ressort leitet;
- Sewing wiederum freut sich, dass er mehr Luft für den Ehrenposten des deutschen Bankenverbandspräsidenten hat und
- eine Frau zieht auch wieder in den Vorstand ein.
Jetzt muss sich nach dem großen Shake-up bei der Bank, die wohl 18.000 Stellen streicht, nur noch das große Gewinnversprechen erfüllen: Acht Prozent Rendite auf das materielle Eigenkapital sollen es Ende 2022 schon sein.

Und er bewegt sich doch, jener Frachter „Ever Given“, der im Suezkanal liegengeblieben war. Aber mit der Bergung am gestrigen Nachmittag ist die Suezkrise noch nicht vorbei. Als außerordentlich schwierig erweist es sich, den Stau der Schiffe aufzulösen, der sich wegen der Blockade der Wasserstraße gebildet hat. Die handelsökonomischen Auswirkungen wiederum werden erst Mitte dieser Woche in nordeuropäischen Häfen wie Hamburg, Rotterdam oder Antwerpen zu spüren sein.
Dann fehlt die Ware, die wegen „Ever Given“ lahmgelegt war. Zwei Wochen danach ist dann mit Überlastungen wegen des Wiederhochlaufens zu rechnen, es dürfte an Containern fehlen. Perikles fällt einem ein: „Kummer empfindet man nicht so sehr wegen des Mangels dessen, was wir nie gekannt haben, als wegen des Verlusts dessen, an das wir uns lange gewöhnt haben.“
Harmonie hatten die Verantwortlichen des finnischen Energiekonzerns Fortum und deren deutsche Tochter Uniper vorgespielt. Nun zeigt sich, dass es damit nicht weit her war – und dass die Finnen nach jahrelangem Übernahmekampf den Düsseldorfer Stromproduzenten endgültig unter ihre Kontrolle bringen. CEO Andreas Schierenbeck und Finanzvorstand Sascha Bibert müssen „mit sofortiger Wirkung“ gehen, sie galten in Helsinki als zu selbständig.
Den Willen des Eigentümers erfüllt nun der Berater und frühere Eon-Manager Klaus-Dieter Maubach. Er hat bisher den Aufsichtsrat geleitet. Finanzchefin wird Tiina Tuomela. Die Skepsis der Arbeitnehmervertreter von Uniper gegenüber den Finnen dürfte neue Nahrung bekommen haben.
Und dann ist da noch Nico Hofmann, Chef der Bertelsmann-Filmtochter Ufa, der weitaus schneller als der Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal ist. Schon am morgigen Mittwoch bringt er im konzerneigenen Streamingdienst TV Now das Werk „Der große Fake – die Wirecard-Story“. Es ist einerseits fiktiv wie die Bilanzen des untergegangenen Dax-Konzerns, andererseits halb dokumentarisch. In der CEO-Rolle des Doktor Markus Braun – der Steve Jobs nachgespielt hat – ist Christoph Maria Herbst zu sehen. Den geheimnisvollen Finanzvorstand Jan Marsalek gibt Franz Hartwig.
Hofmann scheint künstlerisch ein Faible für Blender auf der Kippe zwischen Genie und Gaunerei zu haben: Er verfilmt auch die „Spiegel“-Affäre rund um Reportagefälscher Claas Relotius. Wie sagt es der Produzent im Handelsblatt-Interview so schön: „In beiden Fällen wurden mit viel Energie Potemkin‘sche Dörfer aufgebaut, von denen sich die Öffentlichkeit lange blenden ließ.“
Ich wünsche Ihnen einen täuschungsfreien Tag.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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Offensichtlich haben Medien und Bürger ein großes Problem mit föderalen Strukturen. Natürlich ist es einfacher, wenn man wie in Frankreich eine Person für alles verantwortlich machen kann. Dem Ringen nach besten Lösungen nutzt es aber nicht.