Morning Briefing: Das ungelöste Rätsel der Pipelinesprengung
Guten Morgen, sehr geehrte Leserinnen und Leser,
sind Solarzellen das neue Pipelinegas? „Es gibt eine nicht wegzudiskutierende Abhängigkeit im höchsten Maße von China. Und die ist deutlich größer als die Abhängigkeit beim Thema Gas von Russland“, sagte ein hochrangiger Manager aus der Solarbranche dem Handelsblatt. Kein übertriebener Vergleich – mehr als 80 Prozent der globalen Produktionskapazitäten für Solarenergie befinden sich in China. Per Pipeline aus Russland kam bis Anfang 2022 hingegen nur gut die Hälfte des in Deutschland benötigten Erdgases.
In einem Schreiben an das Bundeswirtschaftsministerium haben nun 24 Unternehmen aus der Branche einen Plan entworfen, um die europäische Solarindustrie zu neuem Leben zu erwecken. Zu den Unterzeichnern gehören Energiekonzerne wie Eon und Solargrößen wie Wacker Chemie. Sie fordern ein Eingreifen des Staates. Deutschland brauche mehr Solarenergie und damit auch mehr Produktion von Solartechnologie. Erforderlich sei eine „planbare finanzielle Unterstützung in Bezug auf Investitionen, zum Beispiel über die staatliche Entwicklungsbank KfW“.
Auch in einer Analyse der Deutschen Energieagentur (Dena) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums, über die wir gestern im Morning Briefing berichtet hatten, heißt es: Die Bundesregierung solle „mindestens für die erfolgreiche Wiederbelebung einer europäischen Photovoltaik-Industrie die ausreichende Verfügbarkeit von Kapital sicherstellen“.
Noch sympathischer wären mir die Forderungen der Solarbranche, würde sie in ihrem Brief betonen: „Keine Sorge, die Investitionen schaffen wir aus eigener Kraft. Was wir dringend brauchen sind faire Marktbedingungen, Planungssicherheit in der Energiepolitik, schnelle Genehmigungsverfahren und ausreichend Fachkräfte.“

Eine Fachkraft weniger hat demnächst die Weltbank. Der Präsident der Entwicklungsbank der Vereinten Nationen, David Malpass, kündigte überraschend seinen Rücktritt für Ende Juni an. Er wolle sich nach „vielen Fortschritten und reiflicher Überlegung neuen Herausforderungen stellen“, hieß es in einer Mitteilung der Weltbank.
Was man so sagt, wenn man sich um Kopf und Kragen geredet hat. Im September war der US-Ökonom Fragen ausgewichen, ob die Verbrennung fossiler Brennstoffe zur globalen Erwärmung beitrage. Stattdessen hatte Malpass gesagt: „Ich bin kein Wissenschaftler.“ Später bemühte er sich um Schadensbegrenzung und sagte, er bedauere seine Wortwahl. Malpass war 2019 in der Amtszeit des früheren US-Präsidenten Donald Trump auf dessen Vorschlag hin ins Amt gekommen.
Wir bleiben in der Abteilung „brisante Äußerungen mit schwacher Beleglage“. In der vergangenen Woche hat ein Onlineartikel des umstrittenen US-Journalisten Seymour Hersh Aufsehen erregt. Hersh behauptet unter Berufung auf eine anonyme Quelle, die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines gehe auf das Konto der US-Regierung, die insbesondere Nord Stream 2 politisch erbittert bekämpft hatte.
Allerdings sprechen so manche Anhaltspunkte gegen Hershs These. Da gibt es kleine Details, die unser Brüsseler Büroleiter Moritz Koch zusammengetragen hat. Etwa, dass der Flugzeugtyp, der laut Hersh den Zündmechanismus für die Sprengung während eines Routineflugs abgeworfen haben soll, zum fraglichen Zeitpunkt nicht über der Ostsee im Einsatz war. Und es gibt große Fragezeichen – vor allem die nach dem Motiv: Warum sollten die USA die Pipeline zu einem Zeitpunkt sprengen lassen, zu dem Deutschland bereits beschlossen hatte, die russischen Gaslieferungen auslaufen zu lassen?
Russland hingegen hatte ein Motiv: Die Tatsache, dass nur ein Nord-Stream-2-Rohr unbeschädigt blieb, hätte es Moskau bei einem Energienotstand ermöglicht, Deutschland rettende Gaslieferungen anzubieten und womöglich so die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu erzwingen.
Fazit: Es bleibt bei Hypothesen. Was wirklich helfen würde: Wenn Schweden und Dänemark die Geheimhaltung ihrer Ermittlungsergebnisse zur Pipelinesprengung aufheben würden. Bis dahin bleibt der Fall ein ungelöstes Rätsel – mit reichlich politischem Sprengstoff.
Eine systemrelevante Großbank, die Milliardenverluste schreibt. Kunden, die mit ihrem Vermögen Reißaus nehmen. Ein Aktienkurs und Ratings im Sinkflug. Die Rede ist nicht von der Deutschen Bank im Jahr 2016. Die Rede ist von der Credit Suisse hier und heute. Wie prekär die Lage der Schweizer Großbank ist, zeigt ein Vergleich unserer Bankenreporterin Yasmin Osman.
Ähnlich wie einst bei der Deutschen Bank beschädigen Skandale das Geschäft der Credit Suisse. Die herabgestuften Ratings und die hohen Risikoprämien für Kreditderivate sind schlecht für das Investmentbanking und für die Vermögensverwaltung. Die Risikoprämien der Credit Suisse liegen um ein Vielfaches höher als bei ihren Konkurrenten.
Bei der Deutschen Bank zogen Kunden in Reaktion auf die damalige Unsicherheit eine zweistellige Milliardensumme ab. Den Schweizern ergeht es nun ähnlich. Und auch beim Aktienkurs seit der Finanzkrise zeigt sich eine erschreckende Parallele: Die Credit Suisse hat 95 Prozent ihres Börsenwerts verloren, die Deutsche Bank 86 Prozent. Erst der letzte Abschnitt des Kursverlaufs zeigt den Unterschied: Die Deutsche Bank scheint den größten Schlamassel überstanden zu haben, die Credit Suisse steckt noch mittendrin.
Sollten die Vereinten Nationen jemals einen Welttag der Berufshaftpflichtversicherung planen, drängt sich fortan der Valentinstag als Datum geradezu auf. Zumindest können wir nur hoffen, dass die Bauarbeiter gut versichert waren, die am Dienstagabend mit einem Betonbohrer ein unterirdisches Glasfaserkabel durchtrennten. Was unter anderem ein Rechenzentrum der Lufthansa lahmlegte. Was wiederum am Mittwoch zum Ausfall von Hunderten von Flügen führte.
IT-Experten lässt der Fall ratlos zurück. Bei kritischen Infrastrukturen seien Anbindungen von drei unabhängigen Netzbetreibern üblich, sagte etwa Andreas Weiss vom Eco, dem Verband der deutschen Internetwirtschaft: „Normal ist es nicht möglich, dass bei der Durchtrennung eines einzelnen Kabels alle Systeme lahmgelegt werden.“
Immerhin, am späten Mittwochnachmittag twitterte die Lufthansa: „Für Donnerstag weitestgehend planmäßiger Flugbetrieb erwartet.“
Eine Mitteilung, die in dieser Woche tatsächlich Nachrichtenwert besitzt. Denn am Freitag wird ein Verdi-Warnstreik den Flugbetrieb in Deutschland erneut weitgehend lahmlegen.
Ich wünsche Ihnen einen Tag, an dem Sie kurz darüber nachdenken, ob Sie eine Berufshaftpflicht brauchen, und wenn ja, ob Sie eine haben.






Herzliche Grüße
Ihr Christian Rickens
Textchef Handelsblatt





