Morning Briefing Das war’s wirklich, Mister President
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
heute ist tatsächlich der letzte Arbeitstag von Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten. Ein Amt, für das ihm jegliche sittliche Eignung fehlte, nicht aber ein Twitter-Account. An diesem Dienstag will Trump offenbar, in seinen letzten White-House-Stunden, mehr als 100 Personen begnadigen, oft Freunde und Weggefährten. Ein Pardon hatte es schon vorher für 94 Personen gegeben.

Die Rede ist nun von Anwalt Rudy Giuliani, Stratege Steve Bannon oder dem wegen Betrugs einsitzenden Palm-Beach-Augenarzt Salomon Melgen. Sich selbst will der Regierungschef auf Abruf jedoch nicht begnadigen, da dies einem Schuldeingeständnis gleichkäme, wie Nahestehende warnten. Und das wiederum wäre schlecht für seine Aussichten im laufenden Impeachment des Kongresses sowie bei den Ermittlungen der New Yorker Staatsanwaltschaft gegen Trumps Firmenimperium wegen vermuteten Betrugs. „The real Donald“ wird von den ersten Seiten der Zeitungen in die hinteren Ecken der Wirtschafsteile wandern.
Und noch eine Maßnahme wird Trumps Regierung kurz vor dem Schlussgong verhängen: Sanktionen in der Causa „Nord Stream 2“ gegen das russische Verlegeschiff „Fortuna“ und ihren Eigner, die russische Firma KVT-RUS. Das erfuhren meine Kollegen Moritz Koch und Klaus Stratmann. Die Bundesregierung und andere europäische Partner seien gestern vorinformiert worden. Bislang hatten es die Geopolitiker aus Washington bei wüsten Drohungen belassen, nun handeln sie tatsächlich auf Basis des „Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act“. Ganz offenbar soll der neue Präsident Joe Biden mit einem Dilemma beginnen: Einerseits lehnt er „Nord Stream 2“ ab, andererseits will er das transatlantische Verhältnis beleben. So wie es aussieht, wird eine solche Partnerschaft schnell zur Keule, mit der man den anderen erschlägt.
Wir starren auf die Infektionszahlen wie früher auf die Kugeln mit den Lottozahlen, die aus einer riesigen Glastrommel fielen. Nun sind die Pandemie-Werte zwar gesunken, doch die Wissenschaftler, die gestern drei Stunden lang Deutschlands Top-Corona-Politiker berieten, beruhigt das überhaupt nicht. Sie befürchten eine „dritte Welle“ wie in Irland und ein Ausbreiten der modifizierten Viren. Die Virologin Melanie Brinkmann etwa befand: „Je eher wir handeln, umso weniger Schaden werden wir anrichten.“
Bei weiterem Ausbruch der „Mutanten“ helfe nur „ein kompletter Shutdown der Gesellschaft“, warnte auch Professor Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. So zeichnen sich einige Maßnahmen für die heutige Bund-Länder-Konferenz mit Kanzlerin Angela Merkel ab.
- Der aktuelle Lockdown wird um weitere drei Wochen verlängert.
- Im öffentlichen Nahverkehr und im Einzelhandel soll das Tragen von FFP2-Masken und OP-Masken Pflicht werden.
- Arbeitgeber müssen begründen, warum sie ihre Beschäftigten nicht im Homeoffice arbeiten lassen.
Um ein Herunterdrehen der Wirtschaft, das auch schon im Gespräch war, scheint das Land aber noch einmal herumzukommen.
Kurz vor Heiligabend, kurz vor dem Absingen von „O du fröhliche“, schien in Sachen „Brexit“ alles klar zu sein. Von einem „Deal“ war die Rede, der alles in allem für einen friktionsarmen Handel zwischen dem abtrünnig gewordenen Großbritannien und der Europäischen Union sorgt. Doch nun zeigt sich, dass eine überbordende Bürokratie und allerlei Zollformalitäten den Grenzverkehr stark ins Stocken bringen – und dass immer mehr Onlineversender und Transportkonzerne aus dem UK-Geschäft aussteigen, wie unsere Titelgeschichte analysiert.
Zu den neuen Verweigerern zählt der Paketdienst DPD, der nichts mehr von der Insel aufs Festland liefert. Auch die Bahntochter DB Schenker lässt den Verkehr zwischen Großbritannien und der EU ruhen. Ein Firmensprecher: „Lediglich rund zehn Prozent der beauftragten Sendungen sind mit vollständigen und korrekten Papieren versehen.“ Das Schlamassel kostet jährlich sieben Milliarden Pfund, so viel hatte das von Boris Johnson regierte Land bislang netto in die EU-Kasse gezahlt. Ex-Schatzkanzler Philip Hammond: „Erstmal muss es schlimmer werden, damit die Leute verstehen, was die Probleme sind.“

Die tschechische Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jourova ist ein Fan ihres großen Landsmanns Vaclav Havel, vor dessen Bild sie uns ein Interview gab. Darin fordert sie Ethikregeln für Programmierer, bisher hätten sich die Digitalkonzerne „für Geld und Technologie interessiert, nicht für Gesetze“. Im Einzelnen sagt Jourova über…
- …das Internet: „Die Menschen haben ihr Leben immer mehr ins Netz verlagert, und sie haben von diesen neuen Möglichkeiten enorm profitiert. Aber das Problem ist: Die Bürger genießen im Netz nicht die Rechte, die ihnen offline zustehen.“
- …eigene Gesetze: „Die Zeiten des Online-Wildwest sind vorbei. Wir wollen, dass die Unternehmen Verantwortung für Inhalte auf ihren Plattformen übernehmen müssen. Die reine Selbstverpflichtung reicht nicht mehr aus.“
- …Maßnahmen gegen Fake News und Pöbeleien im Netz: „Wir wollen die Transparenz der Algorithmen erhöhen, die entscheiden, wer welche Videos oder Posts zu sehen bekommt. Heute ist das eine Blackbox.“
- …Macht: „Wir müssen nach der Pandemie wieder zu einem Gleichgewicht zwischen Politik und Big Tech kommen. Die EU wird bei der Regulierung voranschreiten, und ich hoffe, dass die USA uns auf diesem Weg folgen werden.“
Vielleicht hilft uns allen eine Erkenntnis des Schriftstellers und Staatspräsidenten Havel: „Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen: Politik ist nicht die Kunst des Möglichen, sondern des Unmöglichen!“
Alexander Lukaschenko ist begeisterter Eishockey-Fan – der Diktator von Belarus zeigt sich gern selbst im Spiel-Dress auf dem Eis. Nun aber hat der Eishockey-Weltverband IIHF seinem Lieblingsprojekt nach vielen Windungen wegen „Sicherheitsbedenken“ doch noch eine Absage erteilt: Die Weltmeisterschaft wird vom 21. Mai bis 6. Juni nicht im belarussischen Minsk stattfinden. Sponsoren haben auf diesen überfälligen Akt von „Cancel culture“ gedrungen, Lukaschenko hat seit der ganz offensichtlich gefälschten Präsidentenwahl 30.000 Bürger verhaften lassen, es gab hunderte Verletzte und etliche Tote. IIHF-Präsident René Fasel, lange Zeit auf Lukaschenko-Kurs, nennt den WM-Entzug „bedauerlich, aber unvermeidlich“.

Und dann ist da noch die US-Schriftstellerin Patricia Highsmith, ein Longseller der Buchindustrie. Weil sie an diesem Dienstag 100 Jahre alt geworden wäre, erinnern viele Feuilletons an ihr Werk. Es wird geprägt von psychologischen Kriminalromanen und sinistren Figuren wie Tom Ripley. Das Böse siegt hier über das Gute, so wie es auch manchmal im Leben von Patricia Highsmith geschah, die der Legende nach Schnecken mehr liebte als Menschen. Für Beziehungen hatte sie auch Rat parat: „Am wichtigsten ist es für Paare, die Kunst der Kriegsführung zu erlernen. Das bisschen Liebe ergibt sich schon nebenbei.“
Ich wünsche Ihnen weniger Kriegsführung und mehr Liebe an diesem Tag.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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