Morning Briefing De Maizière für Dauer-Krisenstab
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
jetzt, wo die angeblichen Weltspiele des Friedens in Tokio vorbei sind, jenes Geister-Olympia in der Blase, fällt der Blick auf die Rechnung. Experten kalkulieren mit mindestens 30 Milliarden Dollar für die japanischen Organisatoren, deren Land als Dritter des Medaillenspiegels mit 27 mal Gold endete. Deutschland fährt das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung ein: Einer halben Milliarde Euro Sportförderung stehen 37 Medaillen gegenüber. Man ist Neunter, hinter Frankreich.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) wiederum redete in Gestalt von Präsident Thomas Bach von „Hoffnung“. Bach dachte dabei aber wohl an den hoffnungsvoll stimmenden Erlös von sechs Milliarden Euro aus Tokio und aus Korea 2018. Nach all den Debatten über Sexismus, Leistungsdruck und Diktaturen, die eigene Sportler kidnappen, ist immerhin klar geworden, dass die Politik immer dabei ist: auf, am und neben dem Treppchen.
Als es um die mögliche Etablierung eines Sonderbeauftragten für die jüngste Hochwasser-Katastrophe ging, fiel sofort ein Name: Thomas de Maizière. Dem verwaltungssicheren Ex-Bundesinnenminister traut man Problemlösungen zu. In einem „Tagesspiegel“-Interview redet er nun selbst davon, dass „ein Krisenstab für überregionale Krisenlagen“ eingerichtet werden sollte – von der Pandemie bis zur Flut.

Heute würden selbst die Quadratmeterzahlen für die Ladenöffnung von der Ministerpräsidenten-Runde beschlossen, moniert er, „so was sollte aber nicht Teil von politischen Leitentscheidungen sein, die Mikrosteuerung gehört in einen Krisenstab“. Auch sollten unbedingt Fachleute hinzugezogen werden, findet der CDU-Politiker.
Fazit: Der Vorschlag ist insgesamt so vernünftig, dass er kaum Chancen haben dürfte.
Am Dienstag probiert sich das Kanzleramt mit den Chefinnen und Chefs der Bundesländer – ungeachtet solcher Ideen – erneut am Corona-Gipfelformat aus. Es hat sich zwar so wenig bewährt wie Schokolade gegen das Virus, aber was soll`s. Gegen die Gefahr des Dilettierens halten Teilnehmer mit Interviews dagegen, die einen Nenner haben: „Bloß keinen Lockdown, aber er könnte kommen.“
Bei uns plädiert Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), vom starren Blick auf die Inzidenz wegzukommen. Sinnvoller wäre ein Ampelsystem aus Indikatoren wie Inzidenz, Belegung der Intensivbetten und Hospitalisierungsquote. Impfverweigerern will er mit Überzeugung, nicht mit Druck beikommen: „Schon bald werden Corona-Tests nicht mehr kostenlos sein. Das wird den Anreiz, sich impfen zu lassen, nochmals verstärken.“
Wer in der Vergangenheit nach Klimasündern suchte, wurde bei der Stahlproduktion rasch fündig. Viele Millionen Tonnen CO2 fallen immer noch als Prozessgase an. Doch die Zeiten ändern sich, vor allem die Autohersteller verlangen nach „grünem Stahl“, referiert unsere Titelstory. Und so feiert Stahlproduzent Salzgitter einen kleinen Auftrag als großen Erfolg: Man liefert CO2-reduzierten Flachstahl noch 2021 an vier Mercedes-Werke aus. Den um zwei Drittel reduzierten CO2-Fußabdruck ließen sich die Niedersachsen stolz vom Tüv Süd zertifizieren – eine Europa-Premiere.
In den nächsten Jahren sollte „hinreichend grüner Stahl für den Einstieg in eine klimaverträgliche Produktion von Fahrzeugen vorliegen“, freut sich Manfred Fischedick vom Nachhaltigkeits-Thinktank Wuppertal Institut. Wir machen uns Hoffnung mit Goethe: „An unmöglichen Dinge sollte man selten verzweifeln, an schweren nie.“
Vor fast einem Jahr endete die Lügengeschichte von Wirecard mit dem Rauswurf aus dem Leitindex Dax. Aus einem Favoriten der Aktionäre wurde der Flop des Jahrzehnts, der große Aphoristiker Franz Josef Strauß fällt einem sofort ein: „Everybody’s Darling is Everybody’s Depp.“ Wer in diesem Pleite- und Betrugsfall wie genau agiert hat und warum das Finanzkontrollsystem patzte – das rekapitulieren im Rahmen unserer Reihe „Meet the Editor“ meine Kollegin Ina Karabasz und Fachredakteur Felix Holtermann, Autor des Buchs „Geniale Betrüger“. Wenn Sie einen Einblick in die Recherche nehmen und am morgigen Dienstag um 17 Uhr live dabei sein möchten, melden Sie sich bitte hier an.
Dem Begriff und der Illusion eines „Medienverbunds“ bin ich seit Beginn meiner Redakteurszeit so oft begegnet, dass mir eine Analyse darüber angebracht erscheint. Schließlich macht sich der Bertelsmann-Konzern bis Anfang 2022 daran, das Fernsehen von RTL mit den Zeitschriften von Gruner + Jahr zu verschmelzen – mehr Größe und Kooperation sollen gegen Netflix & Co. helfen.

Durch die Fusion der beiden Medienhäuser RTL und Gruner + Jahr soll ein „Powerhouse“ des unabhängigen Journalismus entstehen.
Das ist ein Experiment ohne Blaupause, von dem man noch nicht weiß, ob es ein Festival der Kreativen oder der Controller sein wird. Der langjährige RTL-Chef Helmut Thoma, der aus kleinsten Luxemburger Anfängen heraus den Sender groß gemacht hat, ist skeptisch: „Wo sollen denn, bitte schön, all die tollen Inhalte herkommen?“ Mit „Alarm für Cobra 11“ werde nach 25 Jahren, gerade die letzte der einst erfolgreichen Eigenproduktionen eingestellt.
Und dann ist da noch die chinesische Kurzvideoplattform Tik Tok, die trotz aller Attacken der Regierung in Peking gegen Big Tech an die Börse drängt. Eigentümer Bytedance plant nun offenbar konkret einen Börsengang für Ende 2021/Anfang 2022 – in Hongkong. Immerhin ist die Firma schon heute mit sagenhaften 180 Milliarden Dollar bewertet. Aufgrund des politischen Drucks sagten die Tik Tok-Verantwortlichen jedoch den Start an einer westlichen Börse wie New York ab.
Stattdessen versucht man, die heimischen Regulatoren zu kalmieren und deren Datensicherheitsskepsis auszuräumen. Wunschgemäß gaben die Macher den Behörden mehr Details zum eigenen Umgang mit Kundendaten, alles frei nach Konfuzius: „Lernen ist wie Rudern gegen den Sturm – wer aufhört, treibt zurück.“
Ich wünsche Ihnen einen lehrreichen, guten Start in die Woche.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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