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Morning Briefing Der Kapitalismus kauft sich selbst

15.06.2021 - 06:00 Uhr Kommentieren

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

die Märkte leiden derzeit an einem Luxusproblem: Es gibt weitaus mehr Geld als Geldverwendungsmöglichkeiten. Dieses Dilemma lösen immer mehr börsennotierte Konzerne, indem sie – oft auch noch auf Pump – einfach die eigenen Aktien zurückkaufen. Das verknappt das Angebot, lässt die Kurse steigen und erhöht auch noch den Gewinn je Aktie. In den USA werden über diesen Trick im ersten Halbjahr Wertpapiere für gut eine halbe Billion US-Dollar von Firmenchefs „eingemeindet“. Das ist Rekord und doppelt so hoch wie 2020, analysiert unsere Titelstory. Allein Apple und Alphabet haben Rückkäufe von insgesamt 140 Milliarden Dollar angekündigt. Der Kapitalismus ist offenbar gerade damit beschäftigt, sich permanent selbst auf „jugendlich“ zu schminken.

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Während alle Welt darauf schaut, wie die öffentlichen Haushalte in der Zukunft – nach Corona, mit Klimaschutz – ins Reine kommen, wartet die Union mit Waggons voller Geschenke auf. Bürger und Wirtschaft entlasten, das ist die Stoßrichtung eines Entwurfs des CDU-CSU-Wahlprogramms, das offiziell am 21. Juni vorgestellt wird: „Wir werden für niedrige, gerechte und einfache Steuern sorgen.“ Es lockt, so unsere Informationen, eine lange Liste politischer Wellness: Arbeitnehmerpauschbetrag auf 1250 Euro erhöht, Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst bei höheren Einkommen, Obergrenze für Minijobs hoch auf 600 Euro, Steuerlast für Firmen und Stromsteuer runter, EEG-Umlage weg. Die FDP hätte es schöner nicht aufsetzen können.

Kanzlerkandidat Armin Laschet bringt, wie auch der einstige Nebenbuhler Markus Söder, eine Deckelung der Unternehmensteuern bei 25 Prozent ins Gespräch: „In der Krise haben wir viel dafür getan, die Liquidität der Unternehmen zu sichern. Es ist absurd, nach der Krise Liquidität durch Steuererhöhungen zu entziehen.“ Da die Union Klimaneutralität bis 2045 erreichen will und unbedingt an der Schuldenbremse festhält, stellt sich natürlich sofort die Frage der Finanzierbarkeit. Antworten später.

In Deutschland profilieren sich Politiker aktuell mit jeweils leicht variierten Vorschlägen zum Ende der Maskenpflicht. Die Inzidenzzahlen sind so gering, dass selbst Gesundheitsminister Jens Spahn und SPD-Warner Karl Lauterbach fürs Gesichtzeigen im Freien plädieren – dort, wo Masken ohnehin von begrenztem Nutzen sind.

Weit geht der Kurswechsel in Brandenburg: Man will am morgigen Mittwoch sogar Clubs, Discos und Tanzlokale wieder öffnen.

In England dagegen greift die aus Indien stammende Corona-Variante „Delta“ um sich. Die geplanten Lockerungen werden um vier Wochen verschoben. Die Zeit will Premier Boris Johnson nutzen, um das ohnehin schon weit fortgeschrittene Impfprogramm zu beschleunigen. Gestern wurden auf der Insel immerhin die Regeln für Hochzeiten aufgeweicht – unser Leben kann nicht immer voller Freude, aber immer voller Liebe sein (Thomas von Aquin).

Quelle: Bloomberg/Getty Images
VW-Chef Herbert Diess setzt auf E-Mobilität.
(Foto: Bloomberg/Getty Images)

Manchmal liegt die Kraft eines Interviews einfach schon darin begründet, dass man miteinander redet, nachdem man zuvor gestritten hat wie Droschkenkutscher. VW-Chef Herbert Diess zum Beispiel hat jüngst kräftigst ausgeteilt gegen den Autoverband VDA und dessen saftige Beitragserhöhung – jetzt aber preist er im Akkord mit VDA-Chefin Hildegard Müller den Kurs der Branche. Nachdem VW bei der gemeinsamen Datenplattform Fahrerflucht beging, habe man nun einen Kompromiss gefunden, verkünden die beiden im Handelsblatt-Gespräch.

  • VW-CEO Diess setzt, wie bekannt, zu hundert Prozent auf E-Mobilität: „Es ist klar, dass wir die Klimaziele nur mit dem E-Antrieb erreichen werden. Bis 2030 ist keine andere Technologie wettbewerbsfähig, ob nun die Brennstoffzelle oder E-Fuels. Das ist mittlerweile auch die Verbandsposition.“
  • Verbandschefin Müller muss auch für Firmen wie BMW oder Daimler sprechen, die Diess‘ Absolutheit bei E-Lösungen ablehnen: „Die Mitglieder sind einer Meinung. Wir brauchen alle Technologien. Immer mehr Elektro für die neuen Fahrzeuge… und E-Fuels für den weltweiten Bestand von 1,5 Milliarden Fahrzeugen in Märkten, in denen kein Strom für den Verkehr zur Verfügung steht. Hinzu kommt in einigen Strategien Wasserstoff etwa für Nutzfahrzeuge.“

Als ehemals aktive CDU-Politikerin weiß Hildegard Müller genau, was ein Formelkompromiss ist, hinter dem sich irgendwie alle versammeln können, die zahlendes Mitglied sind.

Eine für Banken wichtige Ankündigung machen zwei Mitglieder des Aufsichtsgremiums der Europäischen Zentralbank (EZB). Elizabeth McCaul und Frank Elderson fordern im Handelsblatt-Gastkommentar mehr Vielfalt in den Top-Etagen der Geldinstitute. Bei den Führungskräften europäischer Banken machen Frauen gerade mal ein Fünftel aus, heißt es in ihrem Text. Deshalb macht die EZB heute einen neuen Leitfaden zu Eignungsprüfungen von Spitzenmanagern öffentlich. Wenn die EZB künftig die Eignung von „Leitungsorganen“ prüft, werde sie „auch die Diversität unter die Lupe nehmen“, garantieren die Autoren. Und: „Werden Diversitätsstrategien offensichtlich nicht eingehalten, müssen wir die Banken möglicherweise dazu verpflichten.“

Quelle: REUTERS
Die Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock will das Kanzleramt erobern.
(Foto: REUTERS)

Und dann ist da noch Grünen-Chefin Annalena Baerbock, 40, die das macht, was in den Bundestagswahlkämpfen viele vor ihr schon machten: Sie legt Selbstgeschriebenes vor. „Jetzt“ ist ein typisches „Stellschrauben-Politiker-Buch“. Dieses Genre erklärt, wie man an den Schrauben so dreht, „dass Nachhaltigkeit, soziale Fragen, wirtschaftliche Entwicklung und ökonomische Stabilität ineinandergreifen“. Das Buch ist ein Plädoyer für Offenheit und gegen Dogmen, fürs Anpacken Aller im Sinne einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft, durchmischt mit Erinnerungen an Oma und das Dorfkind-Sein in Schulenberg bei Hannover. Was früher bei Grünen „klare Kante“ war, ist hier weiches Wollknäuel. Bloß kein Stress.

Dafür sorgen andere, etwa die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die in einem Anfall von Kreativität für eine Anzeigenkampagne aus Annalena Moses und aus den zehn Geboten zehn Verbote machte. Das wird, hier und jetzt, manchen Grünen-Anhänger womöglich mehr mobilisieren als Baerbocks Schreibarbeit im Winter-Lockdown.

Ich wünsche Ihnen einen Stellschrauben-sicheren Tag.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor

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