Morning Briefing Die neue Nervosität der CSU
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
über Umfragen kann man sich immer nur einen Tag lang freuen oder ärgern, je nachdem. Heute wird das Allensbach-Institut mit Ergebnissen zur „Sonntagsfrage“ kommen, die CDU-Kandidat Armin Laschet ein wenig in den Himmel wachsen und den SPD-Rivalen Olaf Scholz nach jüngsten Erfolgsrauschgefühlen schrumpfen lassen. Die Unionisten kämen danach bei der Bundestagswahl auf 27,5 Prozent, die Sozialdemokraten auf 19,5 Prozent, die Grünen auf 17,5 Prozent.
Das hebt sich sehr ab von einer jüngsten Forsa-Umfrage, nur die Reihenfolge auf dem Siegertreppchen bleibt gleich: Union (23 Prozent), SPD (21 Prozent), Grüne (19 Prozent). Eine gewisse Aufregung scheint es bei der CSU des selbstgefühlten Spitzenmanns Markus Söder zu geben: Heute lädt man zur Präsidiumssondersitzung. Die Partei ist aufgeschreckt von Berechnungen, sie erreiche in ihrem Bayern nur noch 33 Prozent. Es werden auch noch Gründe für einen starken Auftritt Söders am Samstag beim Wahlkampfauftakt im Berliner Tempodrom mit Laschet und Kanzlerin Angela Merkel gesucht.

Naturgemäß werden sich in der Demoskopie die Fehlerserien von Union und SPD beim Afghanistan-Inferno erst später zeigen. Heiko Maas mag wenig Zeug für einen guten Außenminister haben, hingegen aber ganz viel Potenzial, die Werte seiner Partei wieder in Richtung Untergeschoss zu bewegen. Mit technokratischer Pose geht er gegen jede Rücktrittsgefahr an. Dabei macht er aber nicht seine Verantwortlichkeit für die falsche Lageeinschätzung am Hindukusch und die verspätete Luftbrücke vergessen. In der gestrigen Afghanistan-Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags ließ Maas alle wichtigen Fragen offen. Er scheint sportlichen Ehrgeiz zu entwickeln, tägliche Berichte über Inkompetenzverdacht auszusitzen.
Gestern beschuldigte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) das Auswärtige Amt von Maas, für die verzögerte Rettung von afghanischen Ortskräften verantwortlich zu sein. Wegen Visaproblemen seien am 25. Juni in Masar-i-Scharif zwei schon gebuchte Charterflüge storniert worden. AKK gibt auch an, seit April die Maas-Behörde und andere Ministerien vergeblich gebeten zu haben, Listen mit ihren Ortskräften anzulegen. Vielleicht liest Maas einmal bei Goethe nach: „Zur Resignation gehört Charakter.“

In den USA scheint sich das Ende der ultralockeren Geldpolitik zu nähern. Das belegt das Protokoll der Juli-Sitzung der Notenbank Fed, das gestern publiziert wurde. Danach nahm die Debatte über ein baldiges Abbremsen der voluminösen Konjunkturhilfen an Intensität zu. Das Beschäftigungsziel könne aus Sicht der Mehrheit der Währungshüter noch dieses Jahr erreicht werden. Einige Zentralbanker argumentierten, so das Dokument, die Geldpolitik werde nach Corona noch gebraucht.
Die Gegenfraktion findet, die Fed können dazu wenig beitragen. Nächste Woche werden die weltweiten Notenbanker im amerikanischen Jackson Hole über die Strategie reden. Goldman-Sachs-Manager Kamakshya Trivedi: „Wir gehen von einer Straffung der globalen Finanzierungsbedingungen aus.“
Wenn es in Deutschland um Verteilungspolitik geht, wird es stets knifflig. Jedes Detail einer Vermögenssteuer oder der Erbschaftssteuer wird seziert, als hinge der Wahlerfolg nur davon ab. In China hebt Staatspräsident Xi Jinping kurz den Arm – und kündigt eine umfassende Umverteilung von Reich zu Arm an, inklusive einer „Justierung hoher Einkommen“.
Die Finanz- und Wirtschaftskommission der allein herrschenden Kommunistischen Partei legte jetzt fest, „exzessiv hohe Einkommen zu regulieren“, so Präsident Xi. Zum volkspädagogischen Gesamtauftrag Pekinger Art gehört, Top-Verdiener und Firmen dazu zu ermutigen, „mehr an die Gesellschaft zurückzugeben“. Erst wurde der Sozialismus zum Staatskapitalismus, jetzt führt er den Sozialismus wieder ein.
Zu den chinesischen Exzess-Unternehmen gehört der Internetriese Tencent mit der Volks-App „WeChat“. Die Firma meldet jetzt, dass das Nettoergebnis im zweiten Quartal um 29 Prozent auf 42,6 Milliarden Yuan (umgerechnet 5,6 Milliarden Euro) geklettert ist. Treu und brav kündigt Konzern-Präsident Martin Lau an, die von der Regierung anvisierten neuen Regulierungen sollten bald kommen. Den Verantwortlichen gehe es „um Compliance, soziale Verantwortlichkeit sowie faires und vorbildliches Verhalten.“
Schon der Sowjet-Führer Nikita Chruschtschow wusste, dass China ein ganz originelles, ganz kompliziertes Land sei: Es mache „alles chinesisch, sogar den Marxismus-Leninismus“.

In der Schweizer Finanzszene war er ein Star, ein Zahlenmagier schon in jüngsten Jahren. Mit 34 wurde Boris Collardi Chef der Bank Julius Bär, 2018 wechselte der schweizerisch-italienische Finanzmanager dann in den hochexklusiven Gesellschafterkreis der Genfer Privatbank Pictet – natürlich als jüngster Teilhaber in der Historie des Hauses.
Nun aber fährt der Aufzug mit dem 47-Jährigen wieder herunter. „Nach sorgfältiger Überlegung und in Absprache mit dem Teilhabergremium“ habe Collardi entschieden, Pictet per 1. September zu verlassen, kabelt die Privatbank in die Welt. Zuletzt musste sich der Renegat Vorwürfe anhören, er habe als Julius-Bär-Chef beim Thema Geldwäsche nicht richtig hingeschaut. Damit habe der Weggang nichts zu tun, versichert Pictet. „Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall“, erklärte Friedrich Dürrenmatt.
Und dann ist da noch das Unternehmen Mercedes aus Stuttgart, das sich überraschend nach der kommenden Saison aus der vollelektrischen Rennserie Formel E verabschieden wird. Zwar redet man mittlerweile schon in der Kaffeeküche der Büros über den Siegeszug der Elektromobilität, aber bei den Boliden setzen die Autokonzerne künftig lieber auf die Werbekraft von Ökosprit. Schon vor Mercedes waren BMW und Audi bei der seit 2013 ausgetragenen Formel E ausgestiegen. Am Entschluss der Schwaben konnte auch die jetzt gewonnene E-Weltmeisterschaft nichts ändern. Den PR-Erfolg nimmt man als Abschiedsgeschenk aber gerne mit.
Ich wünsche Ihnen einen rasanten Tag.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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