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Morning Briefing Die Todesschwadrone von Kabul

20.08.2021 - 06:00 Uhr Kommentieren

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

Die PR-Revue der Taliban, wonach sie quasi als Friedensengel die Macht in Afghanistan übernähmen, ist bereits nach wenigen Tagen abgesetzt. Nun ist die Welt entsetzt über eine brutale Reality-Show aus Kabul. Die radikal-islamische Miliz führt „Prioritätenlisten“ von Personen, die es festzunehmen gilt. Das steht in einem Bericht des norwegischen Zentrums für globale Analysen, einer NGO, die der UN zuarbeitet. Es sei zu befürchten, dass Afghanen, die mit den Nato- und US-Truppen kooperiert haben, zusammen mit ihren Angehörigen Opfer von „Folter und Hinrichtungen“ werden, so der Institutsleiter. Getötet wurde etwa im Westen des Landes ein Verwandter eines Journalisten der Deutschen Welle (DW), nach dem die Taliban suchten.

Quelle: Reuters
Die USA haben in dieser Maschine rund 640 Zivilisten in Sicherheit gebracht.
(Foto: Reuters)

In der vergangenen Nacht arbeiteten die USA ihren Plan ab, mit 20 Flügen rund 6000 Menschen auszufliegen. Die Bundeswehr hat mit dem neunten Evakuierungsflug seit Montag rund 1200 Personen in Sicherheit gebracht. Da die Taliban aber Zugänge zum Flughafen scharf kontrollieren, ist die Aktion Freiheit für viele der noch Eingeschlossenen zum Lebensrisiko geworden.

Vom „Versagen des Westens“ handelt unser großer Wochenendreport, eine Analyse all der Fehler, für die in der Bundesregierung alle irgendwie verantwortlich, aber niemand schuldig sein will. Sicher ist dagegen, dass die weiter aufstrebende Supermacht China vorerst der große Profiteur der Kapitulation am Hindukusch sein könnte: Peking bemüht sich um gute Beziehungen mit den Taliban.

In Deutschland läuft das große „Blame Game“. Der andere hat immer noch viel mehr verbockt, wobei die Politiker in ihrer „Maas-Arbeit“ des Wegmanövrierens sich des immer schon gescholtenen Bundesnachrichtendienstes (BND) in der Watschenmann-Rolle bedienen. Dieser BND hat sich mit allen Mitteln gegen das Gerede von den „Schlapphüten“ gewehrt. Laut „Spiegel“ habe man seit vielen Jahren vor dem Kollaps des afghanischen Staates gewarnt. Weder Militär noch Politik seien so aufgestellt gewesen, dass sie dauerhaft funktionieren könnten.

Allerdings sei man in den Ministerien kaum auf Gehör gestoßen, auch nicht, als man im Dezember 2020 unter dem Schlagwort „Emirat 2.0“ das Macht-Comeback der Taliban prognostizierte. In ihrem letzten Jahr hatte Angela Merkels Regierung offenbar so viel zu tun, dass man sich um den Schutz der Deutschen in Kabul und ihrer afghanischen Freunde nicht kümmern konnte. André Wüstner, Chef des Bundeswehrverbands: „Ich kann dem Bundespräsidenten nur beipflichten: Es ist beschämend, was wir da sehen.“

Quelle: imago images/Reiner Zensen
Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler kritisiert im Handelsblatt-Interview scharf die deutsche Außenpolitik.
(Foto: imago images/Reiner Zensen)

Über das Scheitern des Westens spricht der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler im großen Handelsblatt-Gespräch. Mit der deutschen Außenpolitik und ihrem Darsteller Heiko Maas („offenbar restlos überfordert“) geht er scharf ins Gericht. Im Einzelnen sagt der Professor über…

  • Deutschlands Verantwortung in der Welt: „Der Anspruch, mit normativen Erklärungen und humanitärer Hilfe Macht aufzubauen, hat eine ziemlich große Beule bekommen. Das westliche Modell ist für Gesellschaften wie in Afghanistan oder im Irak nicht so attraktiv, wie viele geglaubt haben.“
  • die geopolitische Weltkarte: „Das Projekt einer regelbasierten Weltordnung kann man abschreiben. Es werden sich verschiedene Einflusszonen bilden: Die USA, Europa, China, Russland und vielleicht auch Indien werden dazugehören.“
  • neue Flüchtlingsdeals: „Möglicherweise muss man sich mit dem weißrussischen Präsidenten Lukaschenko arrangieren, um zu verhindern, dass die Flüchtlinge über das Baltikum nach Europa gelangen. Europa ist in der Flüchtlingsfrage strategisch verwundbar, und der Druck, die Genfer Flüchtlingskonvention auszuheben, wird wachsen.“

Moral ist offenbar eine Größe für politische Schönwetterperioden, die man sich nun nicht mehr leisten kann.

Die politische Einrichtung eines „Wahlkampfs“ muss Markus Söder missverstanden haben. Er kämpft, aber für sich und nicht den, der zur Wahl steht. Just an dem Tag, an dem eine Umfrage die Union mit Spitzenkandidat Armin Laschet wieder deutlich vor dem Verfolgerfeld sah, grollte es aus einer eilig einberufenen CSU-Präsidiumssitzung.

Wunschgemäß wurde Parteichef Söder – geheim, geheim! – mit neuen Anzüglichkeiten gegen Laschet zitiert: „Sechs Wochen vor der Wahl über einen möglichen Austausch von Kandidaten zu reden, zeigt, wie schwer die Lage ist.“ Der Trend gegen die Union sei dramatisch, „man kann es drehen, aber leicht ist es nicht“. Und dann ist, wie bei einer Schallplatte, die hängt, der Hinweis auf all die Zustimmungen zu hören, die den Häuptling aller Bayern gerade erreichen. Man will ja nur helfen. Aber manchmal ist Hilfe für den anderen sehr teuer.

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Schon kürzlich kam vom Thinktank Agora Energiewende die Nachricht, die Bundesrepublik verfehle ihre Klimaziele. Wer daran zweifelte, hat es jetzt offiziell. Der „Projektionsbericht 2021“ des Umweltbundesamts zeigt, dass die Treibhausgas-Emissionen von 1990 bis 2030 nicht, wie vorgesehen, um 65 Prozent sinken, sondern nur um 49 Prozent.

Bis 2040 wird die Minderung mit 67 Prozent angesetzt, Ziel sind aber 88 Prozent. Zu den Prämissen des Reports gehören 8,4 Millionen Elektroautos und ein CO2-Preis von 180 Euro in 2030. Man kann davon ausgehen, dass die aktuellen Regierungsparteien ihre schwachen Leistungswerte mit umso ehrgeizigeren Zukunftsbeschwörungen vergessen machen wollen. Besser wäre, sie richteten sich nach dem Philosophen Baltasar Gracián: „Man begnüge sich mit dem Tun und überlasse anderen das Reden darüber.“

Lina Khan, die noch nicht lange im Amt weilende Chefin der US-Kartellbehörde FTC will es wissen. Im Streit um die Marktmacht von Facebook hat sie eine überarbeitete Monopol-Klage gegen den Internetriesen eingereicht. In der Klageschrift wirft die FTC dem Konzern zum Beispiel vor, seine marktbeherrschende Stellung mit „wettbewerbsfeindlichen Übernahmen“ verteidigt zu haben. Gemeint sind die Zukäufe der Online-Dienste Instagram im Jahr 2012 und WhatsApp 2014.

Die eigene Einfallslosigkeit im Reich des Mark Zuckerberg wurde sozusagen mit Geld bekämpft. Nachdem Facebook im Wettbewerb mit neuen Innovatoren nicht habe mithalten können, sei man dazu übergegangen, diese „illegalerweise“ zu kaufen oder zu beerdigen, sagt eine FTC-Vertreterin: „Dieses Verhalten ist nicht weniger wettbewerbsfeindlich, als wenn Facebook neue App-Wettbewerber bestochen hätte, damit sie nicht in den Wettbewerb einsteigen.“ Der Vorstoß ist wahrscheinlich von der politischen Wirkung her stärker als im juristischen Ergebnis.

So süchtig offenbar viele Film- und Fernsehfans nach Netflix sind, so zupackend sind die Hollywood-Stars am Schalter „Honorare“. Das legen Zahlen nahe, die von „Variety“ ausgebreitet werden. Der James-Bond-Mime Daniel Craig zum Beispiel kassiert für zwei Fortsetzungen der Kriminalkomödie „Knives out“ rund 85,5 Millionen Euro. Auf Rang zwei folgt Dwayne Johnson mit fast 43 Millionen für den Actionfilm „Red One“. Solche Beträge heben sich doch sehr ab von der Gagensumme in Höhe von 17 Millionen Euro, die für den Star-Auftritt in einem Kinofilm üblich ist. Sandra Bullock, Brad Pitt und Chris Hemsworth sollen so viel für ihre kommenden Filme erhalten. Vielleicht schaffen sie es ja auch mal zu Netflix, das man in Netcash umtaufen könnte.

Und dann ist da noch das traditionelle Stierkampf-Festival in der spanischen Stadt Gijón, das ein sehr schnelles Ende fand. Die Macher hatten eine seltsame Lust an Provokation bewiesen, als sie zwei Kampftiere, die getötet wurden, „Feminist“ und „Nigerianisch“ nannten.

Vom Überschreiten mehrerer Linien sprach die sozialistische Bürgermeisterin: „Als Stadt, die an Geschlechtergleichheit glaubt, aber auch an Integration und an offene Tore für jedermann, kann man solche Dinge nicht geschehen lassen.“ Mit dem Aus für die Toreros von Gijón verliert die Stadt 50.000 Euro. Die Festival-Macher bedauern dagegen das Unverständnis darüber, wie die Stiere zu ihren Namen kommen. Der lutherische Theologe Dietrich Bonhoeffer hat einst seine eigene Erklärung für das Spektakel: „Ich denke, es ist kein Zufall, dass im Lande des düsteren und schroffsten Katholizismus gerade der Stierkampf unausrottbar festsitzt.“

Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor

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