Morning Briefing Geimpfte bekommen ihre Freiheit zurück
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
zwei Dinge gehen schlecht zusammen: dass immer mehr Deutsche geimpft sind und dennoch alle unter der gerade erst scharf gestellten „Corona-Bundesnotbremse“ leiden. Schließlich seien, so das Robert Koch-Institut, Geimpfte und Genesene weniger infektiös als negativ getestete Menschen. Das alles wird heute auf dem Corona-Impfgipfel von Bund und Ländern zum großen Thema.
Nach einem aktuellen Eckpunktepapier der Bundesregierung sollen Geimpfte und Genesene künftig genauso in Läden gehen können wie Personen mit Negativtest. Einen europäischen Impfpass, der Geimpften mehr Freiheit garantieren würde, fordert der CDU-Politiker Thomas Bareiß, Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung: „Die aktuellen Einschränkungen und Eingriffe sind unbestritten sehr weitgehend und die politisch Handelnden haben die Pflicht, sobald es vertretbar ist, diese Einschränkungen auch schnellstmöglich wieder zurückzunehmen.“ Manchmal lieben Politiker aber eher die Kür als die Pflicht.

Im Zweifel für die Freiheit – das lässt sich aus dem Handelsblatt-Interview mit dem Philosophen Stefan Huster schließen. Das Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina plädiert für eine schnelle Aufhebung der Grundrechtseinschränkungen für Geimpfte, was die „Bundesnotbremse“ einschließt. Im Einzelnen sagt er über…
- Gerechtigkeit: „Den Ungeimpften geht es in keiner Weise schlechter, nur weil die Geimpften ein Stück weit zu ihrem normalen Leben zurückkehren dürfen. Es geht wohl eher um Neid. Aber das ist kein Grund, um Geimpften ihre Freiheitsrechte zu verbieten.“
- Senioren über 80: „Die haben nun wirklich sehr schwere Monate hinter sich, mit ganz strikten Kontaktbeschränkungen. Im Nachhinein ließe sich die Impfpriorisierung kritisieren. Aber nun ist sie so, also müssen die Konsequenzen auch angenommen werden.“
Die Wasserstandsmeldung bei den politischen Interview-Bundesfestspielen der Kanzlerkandidaten sieht aktuell so aus: Söder gegen Laschet und für sich, Baerbock für alles, Laschet gegen Söder und Baerbock, Scholz gegen Laschet und Baerbock. Ein Vierkampf mit Verletzungsgefahr. Die Umfragen sehen jetzt die Grünen ganz vorne – eine Momentaufnahme, die im September der Bundestagswahl aber ganz anders aussehen könnte: durch Entspannung bei Corona und ein Comeback der Wirtschaft.
Solche Trends sind in der Regel Stimmungsaufheller für die stärkste Regierungspartei. Sinnvoller ist ohnehin, genau zu schauen, was die Kombattanten planen. So wollen die Grünen in der Energiepolitik den Strommarkt stark umbauen, den Anteil der Erneuerbaren Energien viel schneller ausbauen und den CO2-Preis von jetzt 25 auf 60 Euro in 2023 mehr als verdoppeln. Photovoltaik auf den Dächern von Neubauten müsse Pflicht werden. Das steht in einem Positionspapier, das die Grünen-Bundestagsfraktion am morgigen Dienstag präsentiert.
Das Corona-Jahr ist für viele Unternehmen ein Jahr der verpassten Möglichkeiten. Anders als in vergangenen Krisenperioden nutzten die Manager den Einschnitt nicht für eine Bereinigung der Bilanz mittels Abschreibungen. Tatsächlich strapazieren die 30 Dax-Konzerne ihr Zahlenwerk und die Nerven der Anleger weiter mit Hoffnungswerten aus überteuerten Firmenzukäufen („Goodwill“) in Höhe von 314 Milliarden Euro – doppelt so hoch wie in 2005. Diese exorbitante Summe haben wir in Kooperation mit dem Vermögensverwalter Flossbach von Storch errechnet. Nur Bayer, Heidelberg Cement, BASF und Continental nahmen – kleinere – Korrekturen vor. Wenn man so will, sind die 314 Milliarden die Rechnung für den amtierenden „CEO Leichtsinn“, der die Niedrigzinsen für die Lust am Monopolismus nutzt, koste es, was es wolle.

100 Tage Joe Biden, das bedeutet Billionen-Programm auf Billionen-Programm. In Washington nennen sie ihn schon halb ironisch „Franklin D. Biden“, nach dem demokratischen New-Deal-Ausgabenkönig Roosevelt. Am Mittwoch will der US-Präsident im Kongress nach einem Konjunkturprogramm und einer Infrastruktur-Kampagne nun den „American Families Plan“ präsentieren: 1,8 Billionen Dollar für Kinderhilfe, Vorkindergärten, Familienbeihilfen, Schulen. Finanziert wird die Offensive über eine Erhöhung der Einkommenssteuer für Millionäre von 37 auf 39,6 Prozent. Auch sollen die Gewinne aus Investments jetzt nicht mehr recht niedrig als Kapitalgewinne, sondern viel höher als Einkommenszuwachs besteuert werden. Wall Street ärgert sich, „Mean Street“ bildet sich.
Wenn ein Top-Manager das Unternehmen wechseln will, riskiert er eine erhebliche Karenzzeit. Einige Monate muss er dann als teurer Spaziergänger besserer Dinge harren. Im Fußball ist das anders: Da gibt es Ablösesummen, neuerdings auch bei Trainern.
Eintracht Frankfurt erhält 7,5 Millionen Euro für den abwandernden Adi Hütter von Borussia Mönchengladbach, der wiederum für den scheidenden Marco Rose fünf Millionen kassiert. RB Leipzig schließlich verlangt angeblich 30 Millionen Euro, wenn ihr München-Fan Julian Nagelsmann vom Rekordmeister FC Bayern angefordert werden sollte, deren Coach Hansi Flick wiederum auf dem Weg zur Nationalmannschaft ist. So dreht sich das Trainer-Karussell unter Zuhilfenahme eines Schmieröls namens Geld immer schneller, obwohl die Klubs just davon immer weniger haben.
Vom „wachsenden Bedürfnis aller Kaufleute, eine Unterrichtung über Bedingungen und Notwendigkeiten der wiederaufzubauenden Wirtschaft zu gewinnen“, schrieb der Journalist Herbert Gross den britischen Militärbehörden. Und bekam die Lizenz für das Handelsblatt, das am 16. Mai 1946 erstmals erschien. Die ordnungspolitische Kraft aus Düsseldorf galt bald als „Brigade Ludwig Erhard“.
Zum 75. Geburtstag schauen wir als „Brigade Zukunft“ entschlossen nach vorn – in einer „Innovation Week“, beginnend mit dem 3. Mai. Unter anderem präsentieren wir 75 Zukunftsideen und veranstalten drei Lunch-Talks, einen großen Leserabend und am 7. Mai den Handelsblatt Innovation Summit. Wir halten es dabei mit Albert Camus: „Die wahre Großzügigkeit der Zukunft gegenüber besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben.“ Wenn Sie dabei sein und sich anmelden wollen... bitte hier.

Und dann ist da noch der Hollywood-Klassiker, die Verleihung der „Oscars“, Folge 93. Sie wurden in der letzten Nacht mehr als eine Art Film denn als Show den Entertainment-Fans dargeboten. Gleich drei Produzenten waren für das Spektakulum nötig, darunter der Regisseur Steven Soderbergh, der etwa für „Erin Brockovich“ oder „Contagion“ zuständig war.
Es war ein Abend der Independentfilme wie „Nomadland“, aber auch des Streamingkonzerns Netflix aus dem Silicon Valley. Er war mit 35 Nominierungen dabei, auch mit dem Ausnahme-Werk „Mank“. Es flicht ein Lorbeerkränzchen für Herman J. Mankiewicz, der einst das Drehbuch für „Citizen Kane“ schrieb und sich darüber heftige Kämpfe mit Orson Welles lieferte. Gary Oldman gibt den oft alkoholisierten Künstler so rauschhaft gut, dass er auf jeden Fall zu den Siegern der „Oscars“ 2021 zählt. Was Hollywood angeht, erinnern wir uns zum Wochenanfang gerne an Clint Eastwood als „Dirty Harry“: „Go Ahead, Make My Day.“
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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Selbstverständlich Aufhebung der Grundrechtseinschränkungen für Geimpfte..., aber erst wenn Alle ein Impfangebot kriegen können.
Ich bin ein halbes Jahr zu jung für die Prio Gruppe 3.
So wie von mir Solidarität gefordert wurde wenns um das Zurückstehen gegenüber den Alten und sonstigen Risikogruppen ging, so fordere ich die gleiche Solidarität jetzt mir gegenüber ein bis ich ein Impfangebot habe.
Das ist ethisch vertretbar und gerecht.