Morning Briefing Greensill, die nächste Finanzpleite
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
die Finanzmarktkontrolle in Deutschland müssen wir uns vorstellen wie einen löchrigen Regenschirm mit gebrochenen Speichen. Vor neun Monaten kollabierte Wirecard, nun liegt der Insolvenzantrag für die Bremer Greensill Bank vor, deren britisch-australischer Mutterkonzern schon länger „in tatters“ ist. Immer hat die Aufsichtsbehörde Bafin spät eingegriffen – viele sagen sehr spät, manche zu spät. Für Dutzende Kommunen ist „Greensill“ jedenfalls ein Schreckenswort.
Sie haben – von Monheim bis Wiesbaden – dort Millionen als Festgeld angelegt, weil es hier noch ein bisschen Zins gab. Ihr Kapital ist nicht durch die Einlagensicherung der Privatbanken geschützt. Davon profitieren nur Privatanleger: Für sie hat die Bafin den „Entschädigungsfall“ festgestellt. Der öffentlichen Hand drohen nun Verluste von bis zu 500 Millionen Euro. Kein Wunder, dass der Finanzausschuss des Bundestags auch den Fall Greensill demnächst erörtert, wie schon die Causa Wirecard.

Aufträge für die Insolvenzverwaltung einer Pleitefirma wirken auf Anwälte, als ob Manna vom Himmel regne. Für die Überreste von Greensill hatten gleich zehn Kandidaten Interesse bekundet. Das Rennen machte schließlich der Düsseldorfer Michael Frege von der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Er hatte nach dem Konkurs von Lehman Brothers 2008 deutschen Gläubigern tatsächlich ihr Geld zurückgebracht. Greensill ist kein „zweites Lehman“, aber ein verwickelter, lukrativer Fall, den auch der Münchener Michael Jaffé gerne übernommen hätte.
Er ist in der bayerischen Landeshauptstadt gut vernetzt und bereits mit den Ruinen von Wirecard beschäftigt. Offenbar wurde im Fall Greensill mit besonders harten Bandagen um die Insolvenzverwaltung gekämpft. Am Ende hatte Hobbyboxer Jaffé das Nachsehen gegen den Bruder von Campino, dem Sänger der Toten Hosen. Die finden in einem Hit die richtigen Worte für Erfolgserlebnisse à la Frege: „An Tagen wie diesen, wünscht man sich Unendlichkeit / An Tagen wie diesen, haben wir noch ewig Zeit / Wünsch‘ ich mir Unendlichkeit.“
Die Älteren unter uns werden sich vielleicht an Dionys Jobst (1927-2017) erinnern, einen eher unauffälligen Bundestagsabgeordneten der CSU. 1993 aber hatte er im Zusammenspiel mit „Bild“ einen großen Auftritt – der Freund derber Scherze forderte die Eingliederung von Mallorca als 17. Bundesland.
Die Balearen-Insel ist in der Republik so populär, dass viele dort ihren nahenden Osterurlaub verbringen wollen. Eurowings und Tui verdoppelten die Zahl ihrer Flüge in die Urlaubsregion, die seit kurzem kein Risikogebiet mehr ist. Angesichts des Touristen-Rummels hat Bayerns Premier Markus Söder eine Idee für Rückkehrer: „Es wäre sehr sinnvoll zu überlegen, ob man da eine Testpflicht hat.“ Bei der Corona-Konferenz von Bund und Ländern am Montag wird aber wohl weniger über Mallorca, als über eine Verlängerung des Lockdowns geredet.

Die neuesten Kapriolen im deutschen Corona-Management bedauert Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, im Handelsblatt-Interview. Nach dem Notstopp für das Mittel von Astra-Zeneca rechnet er mit weiteren Verzögerungen beim Impfen. Der für heute Abend geplante „Impfgipfel“ ist auf voraussichtlich Freitag verschoben.
Im Einzelnen sagt der Düsseldorfer Facharzt über
- … die Folgen für die Impfstrategie: „Die Impfstofflieferungen reichen derzeit ohnehin nicht aus. Von den 60 Millionen Impfdosen, die im zweiten Quartal fest eingeplant sind, entfallen knapp 17 Millionen auf Astra-Zeneca.“
- ... das Vertrauen in die Pandemiebekämpfung: „Auch nach fünf Monaten Lockdown haben wir es, fast erwartungsgemäß, nicht geschafft, die Fälle flächendeckend stabil auch nur in die Nähe einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 zu senken – trotz der harten Maßnahmen. Der beste und wohl einzige Ausweg ist nun, über das Impfen eine Herdenimmunität zu erreichen.“
- … mehr Impftermine beim Hausarzt: „Jeden Herbst impfen Haus- und Fachärzte professionell und ohne viel Aufhebens Millionen Menschen gegen die Grippe. Die Voraussetzung dabei ist immer, dass wir auch genügend Impfstoffdosen zur Verfügung haben. Wenn das spätestens im Mai der Fall ist, müssen die Praxen die Impfzentren als Hauptweg der Impfungen ablösen.“
Aber auch Hausärzte dürften an der Aufgabe scheitern, die deutsche Impf-Bürokratie schneller zu machen.
Der vom Bund vor einem Jahr eingerichtete Rat der Arbeitswelt macht sich selbst Arbeit an der falschen Stelle. Folge: Hier versammeln sich nicht mehr, wie am Anfang, 13 Personen, sondern nur noch neun. Ihren Rücktritt erklärten jüngst gegenüber Arbeitsminister Hubertus Heil: die einstigen Personalvorstände von Siemens und Lufthansa, Janina Kugel und Bettina Volkens, sowie die Züricher Betriebswirtin Uschi Backes-Gellner.
Das Trio hatte im Februar folgenlos geklagt, der Rat beschäftige sich nicht mit den „großen und langfristigen Fragen des Wandels der Arbeitswelt“, es fehle an Ideen und Rat für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Aus dem Ministerium wird nun verbreitet, gerade die Ex-Siemensianerin Kugel, inzwischen auch Aufsichtsrätin bei Tui, habe immer wieder über ein Missverhältnis von Aufwand und Ertrag geklagt. Bereits im Januar war die Start-up-Unternehmerin Jutta Steiner zurückgetreten. Unterm Strich: Nach der Flucht der Frauen stehen in dem Rat sechs Männern immerhin noch drei weibliche Mitglieder gegenüber.
CEOs könnten die besten Informanten sein, begnügen sich aber meist mit dem Ablesen öder Pressetexte, die eigene Anwälte geprüft haben. VW-Chef Herbert Diess, der in Wolfsburg übergroße Konfliktfreude bewies, ist da eine Ausnahme. Als er nun öffentlich erzählte, dass sein Konzern für den Bau von sechs eigenen Batteriezellwerken in Europa auch Subventionen in den einzelnen Ländern erwartet, kam mit der Leichtigkeit des Seins die Konkurrenz ins Spiel: „Tesla hat übrigens auch für die Batteriefertigung in Brandenburg einen Milliardenbetrag zugesprochen bekommen,“ plauderte der Manager aus.
Damit würde der US-Konzern für seine Elektroautos rund ein Drittel der für E-Mobilität genehmigten drei Milliarden Euro absorbieren. Teslas geplante Batterie-Gigafactory in Grünheide gehört offiziell zu den „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) der EU-Kommission. Mit dem Geld ist es, frei nach John Locke, wie mit unseren Schuhen: „Sind sie zu klein, dann drücken sie; sind sie zu groß, lassen sie uns stolpern und fallen.“

Und dann ist da noch die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die bei der Bewältigung des Cum-Ex-Finanzskandals zur Zentralfigur des Staates wird. Lange Zeit war sie im Kampf gegen die „industrielle Steuerhinterziehung“ – wie das NRW-Justizminister Peter Biesenbach von der CDU nennt – weitgehend auf sich allein gestellt. Doch nun steigt die 47-Jährige, die sich mit Institutionen des Finanzwesens angelegt hat, innerhalb der Behörde auf.
Sie wird in Kürze eine eigene Hauptabteilung leiten, die sich nur mit Cum-Ex beschäftigt. Das Personal wird aufgestockt. Die Kölner ermitteln bereits in 87 verschiedenen Cum-Ex-Verfahren, die Liste der Beschuldigten zählt 1022 Namen. Lob kommt vom einstigen Grünen-Abgeordneten Gerhard Schick, dem Chef der Bürgerbewegung Finanzwende: „Man kann die Bedeutung von Frau Brorhilker bei Cum-Ex nicht hoch genug einschätzen.“ Sie habe es in den ersten Jahren „quasi im Alleingang“ geschafft, die strafrechtliche Aufarbeitung überhaupt in Gang zu bringen.
Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag. Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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