Morning Briefing: Ist der KI-Boom die neue Dotcom-Blase?

Das Problem mit der KI-Ernüchterung
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser!
Wer regelmäßig KI-Anwendungen nutzt, kennt wahrscheinlich solche kleinen Schockmomente. Zigmal erscheinen die Antworten perfekt, bis dann plötzlich dieser „Hä?“-Moment eintritt.
Ich hatte ihn vor einigen Wochen, als ich für das Morning Briefing wissen wollte, ob das SPD-Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl wirklich das schlechteste seit Bestehen der Bundesrepublik war. Sekunden später bestätigte mir Microsofts KI-Tool Copilot, dass ich recht hätte: „Das SPD-Wahlergebnis von 14,6 Prozent war das Schlechteste seit der ersten Bundestagswahl 1949.“
Hä? Ja, das SPD-Ergebnis war mies, aber so mies? Einmal googeln bestätigte mir aus seriöser Quelle: Es waren 16,4 Prozent, nicht 14,6. Den Zahlendreher, das zeigte ein Blick auf die Quellen, hatte Copilot von einer obskuren rechtsgestrickten Website übernommen – und alle übrigen Quellen geflissentlich ignoriert.
Die „Hä“-Momente sind ein echtes Problem. Denn sie verhindern, dass der KI wirklich geschäfts- oder sicherheitsrelevante Prozesse anvertraut werden können. Und damit steht auch infrage, ob sich die hunderte Milliarden Euro Investitionen, die bereits in KI-Systeme geflossen sind und noch immer fließen, je amortisieren werden.

So kam eine Anfang Juli veröffentlichte Studie der Cornell Universität zu dem Schluss, dass die Produktivität von erfahrenen Programmierern abnimmt, wenn sie KI-Assistenten nutzen. Laut den Forschern bremst die geringe Zuverlässigkeit der KI-Werkzeuge die Entwickler letztlich mehr, als dass sie sie beflügelt.
Unsere heutige Titelgeschichte ist kein Abgesang auf die Künstliche Intelligenz. Sondern eher die nüchterne Bestandsaufnahme, dass sich viele KI-Hoffnungen langsamer erfüllen werden als angenommen. Um die Schwächen großer KI-Systeme auszugleichen, sind viele Anbieter inzwischen darauf spezialisiert, individuelle KI-Agenten für genau definierte Einsatzgebiete zu programmieren und mit Daten aus vorab selektierten Quellen zu trainieren. Das erhöht die Zuverlässigkeit, aber auch den Aufwand und damit die Kosten.
Mich erinnert die Entwicklung an das Geschäft mit Software zur Unternehmenssteuerung, etwa von SAP: Auch die muss erst aufwendig an die Prozesse und Bedürfnisse der Kunden angepasst werden, bevor sie Ergebnisse liefert.
Ist der KI-Boom die neue Dotcom-Blase?
Die KI-Ernüchterung hat die Börsen bislang nicht erreicht. Gerade erst hat KI-Chipspezialist Nvidia die nie zuvor erreichte Bewertungsschwelle von vier Billionen US-Dollar überschritten. „Jede wichtige neue Technologie hatte eine Blase um sich“, sagt Investorenlegende Jeremy Grantham. Er fühle sich bei KI an die Übertreibungen des Dotcom-Booms erinnert.
Eine Lehre aus solchen Spekulationsblasen lautet allerdings auch: Wer zu früh aussteigt, dem entgeht ähnlich viel Gewinn wie jenen, die zu lange dabeibleiben. Allein seit Anfang April ist der Index auf die „Magnificent Seven“ – zu denen die sieben wichtigsten US-Techkonzerne gehören – noch einmal um mehr als ein Fünftel gestiegen.

Dabei gibt es durchaus signifikante Unterschiede zwischen dem jetzigen KI-Boom und der einstigen Dotcom-Bubble. Im März 2000 wurden führende Unternehmen des Internet-Booms im Schnitt mit dem 52-Fachen ihres erwarteten Gewinns gehandelt. Für die sieben großen US-Techkonzerne liegt der Wert derzeit bei gut 27. Und sie sind profitabel, während bei den Pionierunternehmen der Jahrtausendwende die Verluste bisweilen noch höher lagen als die Umsätze. Ob aus dem KI-Boom ein KI-Crash wird, ist also noch lange nicht ausgemacht.
Migrations-Show auf der Zugspitze
Wenn man deutlich machen will, dass es bei einem Treffen nicht in erster Linie um Ergebnisse geht, sondern um maximale Medienaufmerksamkeit, dann gibt es eine ganz einfache Option: Man muss das Treffen einfach nur auf Deutschlands höchsten Berg verlegen.
Dorthin, auf die Zugspitze, hat Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) für diesen Freitag Kollegen aus mehreren Nachbarstaaten zu einem Gespräch eingeladen. Ziel sei es, „gemeinsam wichtige Impulse für eine härtere europäische Migrationspolitik zu geben“, heißt es aus dem Ministerium.
Tatsächlich deuten verschiedene Daten darauf hin, dass die Migrationswende bereits in vollem Gange ist. Die Zahl der Asylanträge in Deutschland ist im ersten Halbjahr deutlich gesunken. Laut Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) haben 61.336 Menschen erstmals einen Antrag auf Schutz in Deutschland gestellt. Das sind fast 50 Prozent weniger als im entsprechenden Vorjahreszeitraum.
Neben der Zurückweisung von Asylantragsstellern direkt an den deutschen Außengrenzen dürfte dazu auch der Regimewechsel in Syrien geführt haben. Und auch die Balkanstaaten haben ihren Teil zur Reduzierung der irregulären Migration beigetragen.
In der Folge sinken die Zahlen nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU insgesamt, wie unsere Grafik zeigt.
Für jeden Medienvertreter, der morgen angesichts der Zugspitz-Sause vom „Migrations-Gipfel“ spricht oder schreibt, würde ich übrigens die sofortige Ausweisung befürworten.
Bundesregierung gegen EU-Haushalt
Zwischen der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten unter der Führung Deutschlands ist ein heftiger Streit um den neuen EU-Haushalt entbrannt. Besonders die vorgeschlagene Besteuerung von Unternehmen durch die EU komme nicht infrage, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei einer Pressekonferenz während seines Besuchs in Großbritannien.

Auch Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hält den Vorschlag von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für den nächsten langfristigen Haushalt für nicht zustimmungsfähig:
Aus anderen EU-Staaten wie den Niederlanden kommt ebenfalls heftiger Widerstand. Die EU-Kommission will den Etat für die Jahre 2028 bis 2034 auf rund zwei Billionen Euro aufstocken. Das entspräche pro Jahr 1,26 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung – ein Anstieg gegenüber dem aktuellen Haushalt (1,1 Prozent).
Kommissionschefin von der Leyen hatte bei der Vorstellung des Haushalts am Mittwoch vor allem die vereinfachte Struktur gepriesen. Das künftige Budget soll stärker auf Wettbewerbsfähigkeit und Verteidigung ausgerichtet sein – und weniger auf traditionelle EU-Ausgaben für Landwirte und Regionen. Die Bundesregierung lobte diesen Teil des Entwurfs.
Erzbischof war falsch informiert
Das Unfehlbarkeitsdogma gilt zum Glück nicht für Bischöfe: Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl hat eingeräumt, über Positionen der SPD-Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zum Thema Lebensschutz falsch informiert gewesen zu sein. Gössl bedauere das „nachdrücklich“, hieß es in einer Mitteilung der Erzdiözese.
Am vergangenen Sonntag hatte der katholische Geistliche in einer Predigt gesagt, Brosius-Gersdorf bestreite „angeblich das Lebensrecht ungeborener Menschen“. Brosius-Gersdorf habe in einem Telefonat mit Gössl klargestellt, „dass sie sich immer schon für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzte und das auch heute tut“, teilte das Erzbistum mit.
Grupp macht Suizid-Versuch öffentlich
Wir kennen den langjährigen Trigema-Chef Wolfgang Grupp als willensstarken und streitbaren Unternehmer. Nun hat der Textilfabrikant in einem Brief an seine Belegschaft seine verletzliche Seite offenbart. In dem Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt, erklärt Grupp:
Er habe sich Gedanken darüber gemacht, ob er überhaupt noch gebraucht werde, und: „Ich habe deswegen auch versucht, mein Leben zu beenden.“ Sein Dank gelte allen Ärzten, Rettungs- und Pflegekräften, schreibt Grupp in dem Brief, „es kann etwas länger dauern, bis ich wieder ganz gesund bin.“ Er bedauere sehr, was geschehen sei, und würde es gern ungeschehen machen.
Anfang vergangener Woche war bekannt geworden, dass Grupp sich im Krankenhaus befindet. Parallel bestätigte die Polizei einen Rettungseinsatz in Burladingen, dem Wohnort Grupps.
Grupp hatte die Trigema-Geschäftsführung im Januar 2024 an seine beiden Kinder abgegeben. An andere Menschen, die unter Depressionen leiden, appellierte er in seinem Brief:
Ich wünsche Herrn Grupp gute Genesung. Ihnen und mir wünsche ich, dass wir das Leben jederzeit zu schätzen wissen werden.






Mit nachdenklichen Grüßen,
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt





