Morning Briefing Joe Biden will wiedergewählt werden
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
es geht doch: Ein US-Präsident kann auch ganz normale Pressekonferenzen abhalten, ohne Animositäten und Aggression. Joe Biden erledigte diesen Job nach 64 Tagen zum ersten Mal – und entführte sein Publikum in das Jahr 2024, wenn er 81 Jahre alt sein wird. „Mein Plan ist es, zur Wiederwahl anzutreten, das ist meine Erwartung“, sagte er.
Die Prognose in eigener Sache ist unsicherer als seine Vorhersagen für die Impfkampagne. Demnach sollen in den ersten 100 Tagen seiner Präsidentschaft 200 Millionen statt 100 Millionen Impfungen verabreicht werden: „Ich glaube, wir können das schaffen.“ Kein anderes Land auf der Welt sei „auch nur annähernd an das herangekommen, was wir tun“, so Biden. Der Fairness halber muss man erwähnen, dass der Mann im Weißen Haus dabei von einer ambitionierten Beschaffungspolitik seines Vorgängers profitiert. Donald Trump kaufte Impfstoff nach der Whatever-It-Takes-Devise.

Einer der inspirierendsten – weil streitbarsten – politischen Charaktere ist Peter Gauweiler. Auch einen gewissen Geschäftssinn konnte man dem Rechtsanwalt nie absprechen. Der jüngste Scoop der „Süddeutschen Zeitung“ jedoch weist noch einmal auf ganz besondere Verhältnisse hin. Demnach soll der Münchener CSU-Politiker während seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter dem Milliardär August von Finck für juristische Tätigkeiten Rechnungen über elf Millionen Euro geschickt haben.
Regelmäßig habe er Beratungshonorare abgerechnet (vierteljährlich 416.500 Euro) und sich die Kosten für professorale Gutachten bezahlen lassen. Gauweiler, einst stellvertretender CSU-Chef, hat sich dem Bericht zufolge die finanzielle Hilfe Fincks bei der Klage gegen die Rettungsschirme für Griechenland und den Euro vor dem Bundesverfassungsgericht gesichert. Die Kosten für ein Gutachten des Ökonomieprofessors Hans-Werner Sinn über fast 60.000 Euro habe erst Gauweiler, dann Finck bezahlt. Fazit: Der in der Schweiz lebende 91-jährige Milliardär ist offenbar ein politischer Landschaftsgärtner der besonderen Art.
Ein enger Freund Gauweilers war der Münchener Vollblutunternehmer Heinz Hermann Thiele, der Ende Februar mit fast 80 Jahren gestorben ist. Gestern Abend kam heraus, was aus seinem Erbe wird: die Mehrheitsanteile an Knorr-Bremse und am Bahntechnikhersteller Vossloh fallen an eine Familienstiftung. Das gilt auch für einen Anteil von 13 Prozent an der Lufthansa, den der Senior 2020 gekauft hatte. Formal erbt zunächst Thieles Witwe Nadia, die Stiftung soll bis Jahresende gegründet werden. Testamentsvollstrecker Robin Brühmüller: „Heinz Hermann Thieles Wunsch war es, sein Lebenswerk langfristig abzusichern.“
Der Suezkanal ist ein Highway der Weltwirtschaft, über den zum Beispiel dringend benötigte Mikrochips von Asien nach Europa kommen. Kein Wunder, dass das dort am Dienstag festgelaufene 400 Meter lange Containerschiff „Ever Given“ für Panik sorgt. Der Stau der Schiffe, die auf eine Freigabe warten, ist auf rund 237 Schiffe gestiegen. Jeder zusätzliche Blockade-Tag am Suez führt zu 400 Millionen Dollar Kosten pro Stunde. Entsprechend groß sind die Sorgen der deutschen Wirtschaft.
Vom Optimismus, die havarierte „Ever Given“ rasch wieder flott zu bekommen, ist nicht viel geblieben. So warnt die niederländische Bergungsfirma Smit Salvage vor einem längeren Zwangsaufenthalt des Schiffs: „Es kann Tage bis Wochen dauern“, erklärt Firmenchef Peter Berdowski. Lieferengpässe und halbleere Regale sind da nicht ausgeschlossen. Egal ob Mikrochips, Textilien oder Erdöl – die Warenversorgung könnte ins Stocken geraten.

„I want to wake up in a city / that never sleeps“, singt Frank Sinatra ergreifend. Doch das ist Entertainment, die Corona-Realität sieht anders aus. 400.000 New Yorker, fünf Prozent der Einwohner, haben im Zuge der Pandemie ihre oft besungene Stadt verlassen. Man kann ja auch von einer Farm in Connecticut weiter für die Bank in Manhattan arbeiten, Homeoffice macht’s möglich. So sieht es auch in anderen Städten aus, das simple Leitbild von den „Global Cities“ ist passé. Er glaube, dass „wir von den großen Städten zur Natur zurückkehren, weil uns das Leben in den Metropolen kein Glück verschafft“, sagt Star-Architekt Kengo Kuma dem Handelsblatt.
Ganz so wird es nicht kommen, bilanziert unser großer Wochenendreport über die Stadt der Zukunft. Das Modell ist nicht tot, es muss sich nur radikal ändern – woran gearbeitet wird:
- Ausgerechnet der Ölstaat Saudi-Arabien baut die 500 Milliarden Dollar teure Reißbrettstadt Neom am Roten Meer. Sie ist komplett nachhaltig, ohne Autos, ohne Grundwasserverbrauch.
- Paris verwirklicht das dezentrale Konzept der „Stadt der Viertelstunde“. Zu Fuß soll man in jedem Stadtviertel in 15 Minuten alle wichtigen Funktionsorte wie Schulen oder Arbeitsstätten erreichen.
- Der Autobauer Toyota treibt das weltweit größte digitale Stadtexperiment mit der Woven City im japanischen Susono voran, eine autonome Stadt für Wissenschaftler, mit Drohnen und Robotern.
Wie auch immer: Das Schönste wäre natürlich, sowohl Ärmere als auch Reichere würden mit Mittelschichtbürgern in Metropolen Tür an Tür wohnen, finden Stadtplaner. So wie in Wien, aber da gehören 220.000 Wohnungen der Stadt, der größten kommunalen Hausverwaltung Europas.

Die Pandemie legt Firmen der Alltagsökonomie lahm, kleine Einzelhändler, Kinobetreiber, Gastronomiebetriebe. Den 30 Konzernen im Dax kann sie wenig anhaben: Sie verdienten 2020 mit 117,7 Milliarden Euro nur 3,9 Prozent weniger als im Vorkrisenjahr 2019. Vonovia, Deutsche Post, SAP, Linde und die Deutsche Börse machten nach unseren Berechnungen sogar so hohe Nettogewinne wie nie zuvor. Der Trend hält an. Viele der auslandsstarken Konzerne stehen vor Rekordgewinnen, weil die Konjunktur in China, den USA und anderen Staaten stark anzieht. In Deutschland dagegen sind wir noch mit den Auswirkungen eines missratenen Corona-Managements beschäftigt.
Mein Kulturtipp zum Wochenende: „Der Mann im roten Rock“ von Julian Barnes, ein Buch zum Versinken in die „Belle Époque“ zwischen 1880 und 1914. Der britische Autor kompensiert seinen Brexit-Frust mit frankophilen Schilderungen. Hauptfigur Samuel Pozzi sagt den Schlüsselsatz: „Chauvinismus ist eine Erscheinungsform der Ignoranz.“
Der Doktor ist ein innovativer Gynäkologe, zugleich Frauenheld und Kunstsammler. Es tauchen auf: Kokotten und Tänzer, Juden und Judenhasser, Grafen und Leitartikler. Man duelliert sich und lebt in Porträts weiter. „Dr. Pozzi at Home“ von John Singer Sargent zeigt den posierenden Helden im Tagesrock, viril und doch feingliedrig. Aus der Begegnung mit diesem Bild im Museum hat Barnes Kulturgeschichte gezaubert.
Und dann ist da noch Uli Hoeneß, Grandseigneur des FC Bayern München, der gestern seine Premiere als TV-Kommentator für verbandspolitische Vorstöße nutzte. Zunächst lobte er auf RTL das schwungvolle 3:0 der deutschen Fußballnationalelf gegen Island und verteilte Lorbeeren an den scheidenden Trainer Joachim Löw. Dann stärkte der 69-Jährige auf offener Bühne Fritz Keller, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), in dessen Machtkampf mit Generalsekretär Friedrich Curtius, der „überfordert“ sei, und kritisierte das Postengeschacher als „Trauerspiel“. Die Wahrnehmung von Hoeneß über die wirtschaftlichen Verhältnisse beim Verband in Frankfurt: „Steuerfahnder gehen beim DFB so oft rein wie der Briefträger.“
Ich wünsche Ihnen ein entspanntes, machtkampfloses Wochenende.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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