Morning Briefing Laschet findet „rote Socken“
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
aus der vom einstigen CDU-Generalsekretär Peter Hintze 1994 angelegten politischen Altkleidersammlung werden die „roten Socken“ von damals wieder gebraucht. Kanzlerkandidat Armin Laschet geht einem imaginierten Links-Bund an die Wäsche: „Rot-Rot-Grün wird kommen, wenn es rechnerisch möglich ist“, repetiert er frühere, erfolgreiche Angstkampagnen: „Die Linke mit ihrer Anti-Nato-Haltung hätte dann Einfluss auf die deutsche Politik.“ So ein Bündnis würde Deutschlands Wohlstand verspielen.
Seltsam, dass Laschet noch jüngst die Grünen für ihren im Juni gestellten Antrag im Bundestag lobte, angesichts der Taliban-Gefahr ein Gruppenverfahren zur „zügigen Aufnahme afghanischer Ortskräfte“ einzusetzen. Das sei richtig gewesen, so Laschet, „da hätte man auch mal der Opposition recht geben können.“ Union, SPD und AfD verhinderten den Antrag.
Gerade blamiert sich im Übrigen die staatliche Entwicklungsagentur GIZ mit der Idee, afghanischen „Ortskräften“ ein Jahresgehalt im Voraus zu zahlen, wenn sie im Land bleiben. „Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt darin um“, dichtete einst Wolf Biermann – im Fall Afghanistan gibt es dafür sogar eine Prämie.
Dass sich die Bundestagswahl nähert, merkt der interessierte Bürger an all den Live-Interviews, Live-Tickern, „Kanzlernächten“, Kanzlerdokumentationen und Agenturmeldungen. Schließlich steht es ja auch im Demoskopen-Handball bei Union gegen SPD plötzlich 22:22. Ganz so, als habe es den Kollaps in Kabul nie gegeben.
Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock winkt dagegen mit einem persönlichen Zuspruch von nur zwölf Prozent aus der Tiefe der Schlucht. In der ARD kündigt sie an, „rauszugehen, um für Vertrauen zu werben“. Was für Wahlkämpfer ungefähr so originell ist wie das Logo auf dem Flyer. Man werde „dieses große humanitäre Desaster nicht in den Griff bekommen“, sagt sie zu den Evakuierungen von Kabul, wo die USA sogar zivile Fluggesellschaften zum Bereitstellen von 18 Maschinen verpflichteten.
Wie FDP-Chef Christian Lindner und Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch fordert nun auch Baerbock, wie in einer Pflichtübung, einen Untersuchungsausschuss: „Wir müssen das aufarbeiten.“ Winston Churchill wusste: „Um die Welt zu ruinieren, genügt es, wenn jeder seine Pflicht tut.“

Zum Komplettversagen der Bundesregierung in Afghanistan meldet sich auch Cem Özdemir, Außenexperte der Grünen, im Handelsblatt. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die „eigentlich zwingende Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zusammen mit den ganzen Rücktrittsforderungen nicht mehr als Klamauk“, findet er. Klamauk-Königin Baerbock? Der einstige Parteichef sagt außerdem über…
- die nötige Zukunftspolitik: „Es stehen Milliardeninvestitionen an, in neue Mobilität, neue Produktionsweisen, das darf nicht schiefgehen, Ich hätte nie gedacht, dass wir Grüne mal die Wirtschaft vor falschen Freunden in der Politik schützen müssen, die auf veraltete Rezepte setzen.“
- Olaf Scholz und Afghanistan: „Der Vizekanzler tut so, als ob er die SPD und ihren aktuellen Außenminister nicht kennen würde. Die Parteivorsitzenden hat er eingeschlossen und versteckt sie bis zur Wahl – damit sie möglichst wenig sagen, nicht auftauchen und so die Wählerinnen und Wähler daran erinnern können, dass sie mit der SPD auch Heiko Maas und Co. wählen.“
- mögliche Regierungspartner: „Koalitionen sind keine Dating-App, und Elitepartner für uns sehe ich im Bund sowieso nicht. Wir kämpfen darum, das Land grün zu regieren.“
Man könnte natürlich auch – um im Bild zu bleiben – spekulieren, dass es zum politischen „Parshippen“ viel zu früh ist, die Akteure für ein parteistrategisches „Bumble in Berlin“ aber nicht das richtige Alter haben.
In den USA und in Europa nähern sich die Regierungen zögernd der Übermacht einiger Tech-Konzerne, die längst die Spielregeln der Marktwirtschaft ausgehebelt haben. In China greifen Regierung und Regulierung durch. Aktueller Musterfall sind die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden gegen den Fahrdienstvermittler Didi. Der hatte im Rausch des Börsengangs in New York Einwände der heimischen Aufseher einfach ignoriert.
Nun wird spekuliert, dass sich Peking mit einer „goldenen Aktie“ bei Didi ein Vetorecht sichert, schildert unsere Titelgeschichte. Für West-Investoren jedenfalls sind Chinas Tech-Aktien gerade Kassengift. Die Kurse von Alibaba, Tencent, Kuaishou und anderen erinnern im Spätsommer an den Herbst – sie sind wie Fallobst.
Wenn wir schon bei Big Tech sind: Amazon, weltgrößter Cloudanbieter, steigt ins Rennen um neue, superschnelle Rechner ein. „Wir haben ein internes Projekt, einen eigenen Quantencomputer zu bauen, Software und Algorithmen dafür zu entwickeln“, sagt uns Oskar Painter, Chef des dafür zuständigen Teams bei Amazon Web Services (AWS). Bislang hatte man vornehm Google, IBM und etlichen Start-ups den Vortritt gelassen, nun aber lockt ein großer Markt, den man nicht anderen Quasi-Monopolisten überlassen möchte.
Vielleicht fragen Sie an dieser Stelle, ob die Namen Amazon und Jeff Bezos nicht sehr oft auftauchen: Warenlieferungen, Logistik, Whole-Foods-Supermärkte, Kaufhäuser, Streamingdienst, Filme, Fußballrechte, Cloud, Raketen, „Washington Post“, Superrechner… Ja, Sie haben richtig gehört.

Wenn Sie heute und morgen aus irgendwelchen Gründen Bahnfahren müssen, trinken Sie am besten Beruhigungstee und schließen die Herren Claus Weselsky und Martin Seiler in ihre Gebete ein. Die beiden demonstrieren in ihrem Tarifstreit eine Nicht-Einigung bei minimalem Dissens und maximalem Schaden.
Das Angebot von Bahn-Vorstand Seiler, nun doch über eine Corona-Prämie verhandeln zu wollen, wurde vom obersten Lokführer der Nation, Gewerkschaftschef Weselsky, sofort als „Nebelkerze“ enttarnt.
Der Osten der Republik ist von dem Streik der GDL stärker betroffen als der Westen – und die Wirtschaft dagegen vom Güterverkehr-Stillstand gleichermaßen intensiv. Und dabei litt man ja vorher schon unter Engpässen.
Und dann ist da noch Peer Steinbrück, der als Bundesfinanzminister (2005 – 2009) schon viel mit der Mehrwertsteuer in Europa zu tun hatte, nun aber als Investor und Aufsichtsratschef ganz praktisch ein großes Problem lindern kann.
Der 74-Jährige ist zusammen mit anderen Prominenten bei eClear aktiv, einer Firma, die sage und schreibe 550.000 unterschiedliche Mehrwertsteuersätze in einer Datenbank aktuell erfasst – und Händlern anbietet, die Steuer im Bestimmungsland gegen Gebühr abzuführen.
Der gelernte Journalist Roman Maria Koidl – heute CEO und Mehrheitsaktionär – hatte vor sechs Jahren die Idee. Die EU stelle lediglich eine Liste zur Verfügung, die „in weiten Teilen unvollständig oder sogar nicht korrekt ist“, sagt er. Steinbrück wiederum erklärt, sich gerne bei einem Unternehmen einzubringen, „das sowohl den Händlern Rechtssicherheit gibt als auch den Staaten die ihnen zustehende Steuer sicherstellt.“
Gestern hatte Loriot alias Vicco von Bülow seinen zehnten Todestag. Er hätte Steinbrücks Steuer-Start-up vielleicht so gewürdigt: „Es ist der Reiz des Lebens, dass man nicht alles für selbstverständlich hält, sondern noch bereit ist, sich zu wundern.“
Ich sage einstweilen „Adios“. In weiteren Verlauf dieser Woche wird Sie mein Kollege Christian Rickens zur Morgenlage begrüßen. Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Start in die Woche.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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