Morning Briefing Plus – Die Woche Merkels Entschuldigung: Echte Fehlerkultur sieht anders aus
Guten Tag liebe Leserinnen und Leser,
die Entschuldigung der Kanzlerin war eine starke Geste, keine Frage. Sie sei Ausdruck einer Fehlerkultur, die das Land so dringend brauche, kommentierten einige. Und danach sah es zunächst tatsächlich aus. Doch zu einer echten Fehlerkultur gehört, die Fehler zu analysieren und aus ihnen zu lernen – vor allem, dafür zu sorgen, dass sie künftig nicht mehr passieren. Genau das ist aber die große Schwäche der deutschen Pandemiepolitik.
Die Kette der großen und kleinen Fehler wird immer länger, die Perspektivlosigkeit zwischen Lockdown und Lockerungsversuchen immer größer. Die einzige Chance, diesen Teufelskreis zu brechen wäre ein Neustart – mit einer Impfstrategie, bei der nicht mehr Millionen Impfdosen liegen bleiben, einer besseren Testlogistik und ernst zu nehmenden digitalen Instrumenten für die Nachverfolgung Infizierter.
Um das zu erreichen, braucht es ein Krisenzentrum mit den besten Vertretern aller relevanten Disziplinen, das all diese Maßnahmen koordiniert – und den politischen Willen, für das ganze Land wichtige Entscheidungen auch politisch beim Bund zu zentralisieren. Sicher wäre es auch kein Schaden, wenn die Fähigkeiten von Unternehmen stärker eingebunden würden, beim Impfen, Testen und Digitalisieren der Schulen, wie das Handelsblatt-Unternehmensressort beschreibt.
Doch all das, so sieht es jedenfalls Ende dieser Woche aus, wird nicht kommen. Schon einen Tag nach der Entschuldigung geht die Bundesregierung zur Tagesordnung über – und die dritte Welle nimmt Fahrt auf. So sehen vertane Chancen aus. Die nächste Gelegenheit, einen Neustart zu verkünden, wäre übrigens Sonntagabend. Da tritt die Kanzlerin bei Anne Will auf.

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1. Die Corona-Schulden belaufen sich mittlerweile auf rund 1,32 Billionen Euro. Aber wie viele Schulden kann sich Deutschland eigentlich leisten? Mit dieser Frage hat sich mein Kollege Martin Greive zuletzt immer wieder beschäftigt. Vergangene Woche hat er dafür den Düsseldorfer Ökonomen Jens Südekum und seinen Kollegen Gabriel Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft zum Streitgespräch eingeladen. Nur so viel vorab: Dabei ging es ziemlich zur Sache. Südekum sieht noch reichlich Spielraum. Felbermayr widerspricht.
2. Städte waren immer auch Orte der Verheißung, von Begegnungen und neuen Ideen – Orte, an denen die Zukunft gemacht wird. Dann kam die Pandemie – und nun sitzen alle im Homeoffice. Das wird nicht für alle Ewigkeit so bleiben. Aber auch künftig wird man nicht mehr zwingend jeden Tag ins Innenstadt-Büro pendeln. Mit anderen Worten: In der Ära nach Corona müssen die Metropolen so attraktiv werden, dass die Menschen unabhängig vom Job in ihnen wohnen bleiben wollen. Im großen Wochenend-Report des Handelsblatts zeigen Korrespondentinnen und Korrespondenten aus China, Japan, Frankreich, Spanien, dem Nahen Osten und den USA, wie die größten Metropolen versuchen, ihren Bürgern mehr Lebensqualität zu bieten. Herausgekommen ist ein faszinierender Report über die Zukunft der Stadt nach Corona.

3. In der ersten Ausgabe dieses Wochenend-Briefings hatte ich Sie gefragt, mit welchen Themen Sie sich gerade beschäftigen. Es kamen zahlreiche Mails mit interessanten Anregungen und klugen Gedanken. Darunter auch sehr häufig die Bitte, noch intensiver die Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt zu beleuchten. Mein Kollege Carsten Herz hat diese Woche sämtliche aktuell verfügbaren Zahlen analysiert – und findet sieben Signale für ein baldiges Ende des Immobilienbooms.
4. Die Welt blickt auf den Suezkanal, die Arterie der Weltwirtschaft, die seit Dienstag von dem 400 Meter langen Containerschiff “Ever Given” blockiert wird. Die ersten Reedereien verlieren bereits die Geduld und lassen ihre Schiffe den afrikanischen Kontinent umfahren. Spediteure warnen vor leeren Regalen ab Mitte April.

5. Tesla polarisiert. Für die einen ist das Unternehmen der einzige ernstzunehmende Player im gerade beginnenden Elektrozeitalter. Andere sehen vor allem mäßigen Service und Qualitätsprobleme. Zu dieser Gruppe gehören die Manager deutscher Dienstwagenflotten. Bei Ihnen konnte sich Tesla bislang nicht durchsetzen, wie unser großer Report zeigt.
Es wäre für VW, Mercedes und BMW aber gefährlich, sich ihres Vorsprungs allzu sicher zu sein. Wir erinnern uns: Auch die ersten iPhone-Generationen hatten durchaus ihre Qualitätsmängel. Die Handysparte von Nokia hat das nicht gerettet.
6. Seit gestern ist klar: Die EU will keinen Impfstoff von Astra-Zeneca mehr nach Großbritannien lassen. Damit wird sich der Impfstreit weiter zuspitzen. Die Fakten haben Brüssel letztlich aber keine andere Wahl gelassen: Die EU hat bislang mehr Impfstoff exportiert, als sie selbst verimpft hat. Würde das ungebremst so weitergehen, während Hersteller ihre Lieferzusagen nicht einhalten, würde der EU eine massive Legitimationskrise drohen.
7. Am meisten überrascht hat mich diese Woche der Report meiner Kollegin Kathrin Witsch. Sie schreibt über einen Schatz, der tief unter der Erde im Oberrheingraben liegt, zwischen Frankfurt und Basel: Europas größte Lithium-Quelle. Diesen Schatz will nun ein Start-up aus Karlsruhe heben. Dem Einen oder Anderen mögen beim Lesen die Klänge der Wagner-Oper “Das Rheingold” in den Sinn kommen.
8. In den vergangenen Wochen haben wir häufig über den Mangel an Halbleitern berichtet, der für viele Technologieunternehmen und Automobilhersteller auch in Deutschland zum Problem wurde. Selten war die Hightech-Abhängigkeit von Asien so spürbar. Hinter der Stärke der dortigen Chipindustrie steckt ein milliardenschwerer Subventionswettlauf. Nun versucht Europa aufzuholen.
9. Und zum Abschluss noch ein Podcast-Tipp: In unserem täglichen Format Handelsblatt Today sprechen wir über die wichtigsten Nachrichten und Entwicklungen an den Finanzmärkten. Diese Woche hat meine Kollegin Mary-Ann Abdelaziz-Ditzow mit Handelsblatt-Aktienanalyst Ulf Sommer über die immer neuen Rekordstände an den Börsen diskutiert. Er hat die Chancen und Risiken abgewogen und kommt zu dem Schluss, aktuell sei ein guter Zeitpunkt, um Aktien zu kaufen. Aber hören Sie selbst.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Start ins Wochenende.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr Sebastian Matthes
Chefredakteur Handelsblatt
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