Morning Briefing Union mit Potpourri der guten Laune
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
jahrzehntelang waren die politischen Aufgaben in Deutschland klar verteilt: Die Linken versprachen das Rote vom Himmel herunter. Die Konservativen wackelten dazu sauertöpfisch mit dem Zeigefinger und sprachen von ungedeckten Schecks. Im Wahlkampf 2021 ist es genau umgedreht. Die Rolle des Kassenwarts übernimmt diesmal Dietmar Bartsch: Es sei unseriös, dass CDU und CSU nicht erklärten, wie sie ihre Wahlversprechen bezahlen wollten, muffelte der Fraktionschef der Linkspartei.
Armin und Markus, die beiden verkappten Spontis, suchen derweil den Strand unter dem konservativen Pflaster. Kernaussage des gestern präsentierten Wahlprogramms der Union: Umbau auf eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2045, aber ohne zusätzliche Belastungen für Unternehmen oder Bürger, bei komplett abgeschafftem Solidaritätszuschlag, gesenkten Unternehmensteuern und voller Wahrung der Schuldenbremse. Das alles unter dem durchaus satiretauglichen Wahlslogan: „Stabilität und Erneuerung – Gemeinsam für ein modernes Deutschland.“

Man kann dieses Potpourri der guten Laune als einen weiteren Schritt der inhaltlichen Selbstentkernung der Union beklagen. Man kann aber auch einfach mal anerkennend durch die Zähne pfeifen: Da haben die Politfüchse Armin Laschet und Markus Söder wirklich sehr gut hingeschaut, wie Angela Merkel die letzten drei ihrer vier Bundestagswahlen gewonnen hat – nämlich bestimmt nicht mit klarer Kante. Und ein Hintertürchen haben sich die Parteivorsitzenden von CDU und CSU auch schon eingebaut: Einige besonders kostspielige Versprechen im gemeinsamen Wahlprogramm stehen unter Finanzierungsvorbehalt, einige andere haben es aus dem ursprünglichen Entwurf gar nicht erst ins endgültige Programm geschafft.
Mit CDU und CSU haben nun die letzten beiden Parteien im Bundestag ihr Wahlprogramm vorgelegt. Und kaum war das am Montag geschehen, begannen die Experten beim Institut der deutschen Wirtschaft schon mit dem Rechnen: Was bedeuteten die Steuerpläne der Parteien für den einzelnen Bürger, wer kann sich Entlastung erhoffen, wer muss künftig mehr bezahlen? Ein Wegweiser fürs Abstimmen nach Brieftasche.
Der Tag der Deutschen Industrie atmet seit jeher ein gehöriges Selbstbewusstsein. Die Bosse bitten zum Schaulaufen – und die Politiker und Politikerinnen bemühen sich in ihren Redeslots, größtmögliche Wertschätzung fürs produzierende Gewerbe auszustrahlen. Doch in diesem Jahr ist die Selbstsicherheit der Fabrikantenelite angeknackst. Es grassiert die Sorge vor den gewaltigen Kosten des CO2-Ausstiegs – und vor der Unsicherheit, wie diese Lasten verteilt werden sollen.
Angesichts des ambitionierten Zeitplans – faktische Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts – drängt Franziska Erdle, die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Metalle auf einen konkreten Plan: „Statt Zieldebatten fordern wir klare Aussagen, wie diese Ziele erreicht werden können.“
Unsere Grafik zeigt, wie berechtigt ihre Forderung ist: Um den CO2-Ausstoß um 40 Prozent zu senken, hat Deutschland 30 Jahre und eine untergegangene DDR sowie eine Corona-Pandemie als Windfall-Profit gebraucht. Von nun an soll es in Zehnjahresschritten weit drastischer abwärts gehen – und dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass der Bundestag das Ziel der Klimaneutralität Ende dieser Woche um weitere fünf Jahre auf 2045 vorziehen will.
Am heutigen Dienstag treten die Kanzlerin und die drei Bewerber um ihre Nachfolge beim Tag der Deutschen Industrie auf. Von ihnen werden Antworten in der Klimafrage erwartet. Und, kleiner Hinweis an die Redenschreiberzunft: Irgendwo im Manuskript die Worte „Grüner Wasserstoff“ einzubauen, gilt Mitte 2021 nicht mehr als vollwertiger Lösungsansatz.

Die Industrie-Ikone Bosch zur klimaneutralen Produktion zu führen – das wird Volkmar Denner wohl seinem Nachfolger überlassen. Der 64-Jährige dürfte seinen Chefposten bei dem Stiftungsunternehmen nach Informationen von Handelsblatt und „Manager Magazin“ zum Jahreswechsel räumen, wenige Monate vor dem Auslaufen seines Vertrags. Ein Nachfolger steht noch nicht fest. Mein Kollege Martin Buchenau schreibt, dass nicht nur dem Chef der Mobilitätssparte, Stefan Hartung, Chancen eingeräumt werden. Mögliche Kandidaten seien auch Markus Heyn und Harald Kröger.
Mit geradem Rücken die Verantwortung für Missgeschicke zu übernehmen, ist eine viel gepriesene Tugend – besonders wenn es darum geht, dass andere für ihre Missgeschicke geradestehen sollen. Bei eigenen Fehlleistungen erscheint hingegen das Prinzip „Teppichecke anheben, drunterkehren, pfeifend weggehen“ auch ganz attraktiv. Ein bisschen können wir daher mitfühlen mit dem ehemaligen Partner der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, Andreas Loetscher.
Der einstige Prüfer des mittlerweile insolventen Wirecard-Konzerns will auf dem Rechtsweg verhindern, dass der Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags wie geplant seinen Abschlussbericht veröffentlichen darf. Das haben die Handelsblatt-Reporter René Bender und Felix Holtermann erfahren. EY im Allgemeinen und Loetschers Arbeit im Besonderen dürften in dem Abschlussbericht nicht allzu gut wegkommen.
Und wir wissen: Loetscher hatte die Aussage vor dem Ausschuss verweigert.
Und dann ist da noch die Privatclub-Kette Soho House, über deren Börsenpläne die „Financial Times“ am Abend berichtete. Demnach wird für die poshe Marke eine Notierung in New York und eine Bewertung von rund drei Milliarden Dollar angestrebt. Das erscheint viel für den Betreiber von 28 Clubs rund um den Globus, darunter auch einem in Berlin. Doch der Wert der Soho Clubs lebt eben vor allem von dem Nimbus des „Members Only“: Laut den Börsenunterlagen, aus denen die „Financial Times“ zitiert, standen zum Jahresanfang 48.000 Interessenten auf der Warteliste für eine Mitgliedschaft, die in den USA immerhin 3400 Dollar pro Jahr kostet.
Am Werk ist jene unwiderstehliche Marketingmelange aus Verheißung und Verknappung, mit der die Luxusgüterbranche seit jeher Traummargen erzielt. Ihr hatte bisher nur der Komiker Groucho Marx etwas entgegenzusetzen, als er erkannte: „Ich mag keinem Club angehören, der mich als Mitglied aufnimmt.“
Dies war übrigens mein Debüt im Kreise der Morning-Briefing-Autoren. Wenn Ihnen etwas ge- oder auch missfallen hat, lassen Sie es mich gerne wissen, ich werde in den kommenden Monaten immer mal wieder die Vertretung von Hans-Jürgen Jakobs übernehmen.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Start in die Woche.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Christian Rickens
Textchef
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