Morning Briefing Viel Luft in den Dax-Bilanzen
Liebe Leserinnen und Leser,
in Zeiten der Corona-Krisenwirtschaft sind aufgeblähte Firmenbilanzen so ziemlich das Letzte, was in die Landschaft passt. Und doch sieht die Realität genau so aus, wie unsere aktuelle Titelgeschichte beweist. Durch überteuerte Zukäufe haben die 30-Dax-Firmen nach unseren Berechnungen rund 316,6 Milliarden Euro an Goodwill angehäuft, der eigentlich „Badwill“ heißen müsste. Es handelt sich um pure Hoffnungswerte aus kühn abgeschlossenen Deals, die keinen materiellen Gegenwert haben.
An der Spitze der Goodwill-Liste steht mit 15,5 Milliarden der Eon-Konzern, der die RWE-Tochter Innogy akquirierte. Langfristig drohen Abschreibungen – ganz so wie es bei Continental geschah. Dort wurden Zukäufe, die in der Elektro-Ära keine große Rolle spielen, in ihrem Wert drastisch reduziert.

Deutschland kann es Europa nicht recht machen. Erst störten sich alle an unseren hohen, quasi naturgesetzlichen Exportüberschüssen, dann an der Weigerung, Corona-Bonds mit aufzulegen. Und nun fällt in Brüssel auf, dass keine europäische Regierung die eigene Wirtschaft so alimentiert wie die deutsche.
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Jedenfalls zeigt sich EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in der „Süddeutschen Zeitung“ besorgt wegen der „riesigen Unterschiede“ bei den Corona-Staatshilfen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Fast die Hälfte falle auf die Bundesrepublik, so die dänische Politikerin. Es gebe das Risiko, sagt sie, dass dies den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerre – „und das ist zu einem gewissen Grad schon eingetreten“.
Wie es in der Europäischen Union unter Führung der unverzagten, aber noch wenig wirksamen Ursula von der Leyen weitergeht, wollen wir am morgigen Dienstag um 12 Uhr in einem Experten-Call klären. Auslands-Ressortleiterin Nicole Bastian und die Brüsseler Büroleiterin Ruth Berschens gehen wichtigen ökonomischen Fragen nach. Wie kommt die EU nach einem Wirtschaftsrückgang von geschätzt 7,4 Prozent in diesem Jahr wieder nach oben? Wird es noch etwas mit dem „Green Deal“? Und, natürlich: Steht die richtige Frau an der Spitze? Mein Vorschlag: Sie melden sich an und diskutieren mit!
Vor einigen Wochen hat AfD-Chef Jörg Meuthen über eine Spaltung seiner Partei in einen bürgerlich-konservativen und einen völkisch-populistischen Teil räsoniert. Nach internen Protesten zog er zurück – und betreibt jetzt mit einer Personalie doch genau dieses Schisma. Meuthen setzte im Vorstand den Rauswurf des Brandenburger Landeschefs und Rechtsaußen Andreas Kalbitz durch, was dessen Freunde zur Solidarität treibt. So bescheinigte Co-Parteichef Tino Chrupalla dem Gefeuerten, er habe „große Verdienste“. Und Fraktionschef Alexander Gauland gibt an, Meuthen vor seiner Aktion Parteiausschluss noch gewarnt zu haben: „Natürlich gibt es eine Zerreißprobe.“ Die AfD geht derzeit ganz in ihren internen Machtspielen auf, Fortsetzung folgt. Die Rechnung kommt vom Anwalt.

Große Koalitionen tendieren aus naheliegenden Gründen der Selbstoptimierung zu großen Kabinetten. Aber Israel, wo sich viele Parteien zur Regierung verabredet haben, schießt nun doch den Vogel ab: Das Land meldet sage und schreibe 36 Minister und 16 Vize-Minister.
Diese Notstandsregierung ist selber ein Notstand, worauf auch der Umstand hindeutet, dass Benjamin Netanjahu trotz einer Korruptionsanklage 18 Monate lang Premier bleiben darf. Dann soll sein bisher schärfster Rivale Benny Gantz folgen – es sei denn, der misstrauische Netanjahu trickst ihn vorher aus. „Wenn jemand paranoid ist, bedeutet das nicht, dass er keine Verfolger hat“, schrieb Schriftsteller Amos Oz zu solchen Situationen.
Wenn heute die Weltgesundheitsversammlung tagt, das höchste Entscheidungsgremium der Weltgesundheitsorganisation WHO, ist das Führungsversagen der USA im Kampf gegen die Pandemie ein Hauptthema. US-Präsident Donald Trump zeigte schon kurz nach Einzug ins Weiße Haus kein Interesse an der Bekämpfung von Gesundheitskrisen – weil das Thema nicht „America First“ voraussetzt, sondern die Zusammenarbeit von Staaten.
So hat nun die Bundesregierung darauf hingewirkt, dass man im Kreis der G7-Staaten abgestimmt handelt. USA und China werfen sich unterdessen immer stärker in eine Propagandaschlacht hinein. Die Amerikaner reden vom „Wuhan-Virus“ und der Schuld Pekings, die Chinesen hingegen inszenieren sich als Samariter in der Not, die anderen Ländern Schutzmasken und dergleichen liefern. Was Deutschland leistet, geht in der PR-Schlacht der beiden Supermächte unter, kommentieren wir.

Im Streit um Werkschließungen in Sonthofen, Mülheim/Ruhr und Zschopau beim Familienunternehmen Voith gehen CEO Toralf Haag und Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm in die Gegenoffensive. „Wenn wir uns nicht einigen können, wenn auch das Einigungsverfahren scheitert, dann sieht unser Rechtssystem vor, dass der Eigentümer entscheidet“, teilt Russwurm qua Handelsblatt-Doppelinterview den Streikenden von Sonthofen mit.
Es gebe faire Angebote zum Jobwechsel im Inland. Vorstandschef Haag spricht davon, den Konzern zukunftssicher zu machen: „Das ist kein kalter Kapitalismus.“ Die IG Metall sieht das anders und hat vor den heutigen Verhandlungen zum Sozialtarifvertrag Holzmännchen mit Warnwesten aufs Firmenareal gestellt. Die Figuren sollen die von Jobverlust bedrohten Mitarbeiter symbolisieren.
Er ist 30, trug bevorzugt maßgeschneiderte Zweireiher nebst Pochette, logierte gerne im Adlon in Berlin und jonglierte gegenüber Energiekonzernen so virtuos mit windigen Projekten, dass die Partner nun einen hohen Schaden fürchten: Das ist, in Kürze, die Geschichte des Hendrik Holt aus dem Emsland, den die Ermittler wegen „fingierter Windparkbeteiligungen“ arretierten und zum Beispiel einen Mercedes AMG und 200 Schmuckstücke beschlagnahmten.
Zuletzt gab es das Geheimprojekt „Munich“, eine angeblich gigantisch große Pipeline mit 34 Windpark-Projekten über insgesamt 1,5 Gigawatt, von denen freilich kaum einer etwas weiß. Holt & Co sollen Dokumente gefälscht haben und traten doch noch im Februar als Sponsoren der Münchener Sicherheitskonferenz auf – bei einem Lunchevent. Solche Karrieren hat Thomas Mann mit seinen Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull gut getroffen: „Welch eine herrliche Gabe ist nicht die Phantasie, und welchen Genuss vermag sie zu gewähren!“
Und dann ist da noch ein ovaler Zeitungskiosk mit Würstchenvertrieb, den sie in der alten Regierungshauptstadt Bonn „Bundesbüdchen“ nannten. Der denkmalgeschützte Bau lag einst gegenüber dem Kanzleramt und war Anlaufstation vieler Politiker. Helmut Kohl hat sich von hier Frikadellen und belegte Brötchen bringen lassen. Nachdem die Bude 2006 einem Umbau des alten Regierungsviertels weichen musste, ist sie nun – an anderer Stelle – wieder aufgestellt worden.
Ein gemeinnütziger Verein namens „Historischer Pavillon“, unterstützt von zwei Stiftungen, finanzierte Sanierung und Wiederaufbau. Immerhin musste Büdchenbetreiber Jürgen Rausch rund 400.000 Euro Kosten selbst tragen. Devotionalien aus dem Kohl-Deutschland kann er nicht vorweisen, er sei „einfach nicht der Typ, der sich mit Promis schmückt.“
Ich wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in diese Woche. Es grüßt Sie herzlich Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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