Morning Briefing Von der Micky-Maus-Veranstaltung „Triell“
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
wenn Robert Habeck und Markus Söder aus vollem Herzen einer Meinung sind, dann kann etwas nicht richtig sein in diesem Wahlkampf. „Wir sind steckengeblieben in dämlichen, in dummen Debatten, die von den politischen Mitbewerbern hochgezogen wurden und die eigentliche Diskussion verstellt haben“, sagt der Co-Chef der Grünen und bezieht sich auf Plagiate und den Planeten, den es zu retten gilt. „Seit Monaten wird in diesem Wahlkampf über alberne Nebensächlichkeiten diskutiert. Statt weiterhin Stilfragen zu diskutieren, sollten wir uns endlich auf das Wesentliche konzentrieren“, heißt es aus dem CSU-Chefbüro.
Die Erkenntnisse sind nicht neu, und so fragt man sich, warum das Volk mit gleich drei TV-Triellen überfüttert wurde. Auch der letzte der Termine, am gestrigen Sonntag beim Investorenfernsehen von ProSieben, Sat.1 und Kabel1, trat nicht den Gegenbeweis an. Immerhin waren die Moderatorinnen professionell im Vergleich zum Chaos-ARD-ZDF-Team vorige Woche, es kamen sogar Außenpolitik und Europa vor.
Und wir wissen nun, dass Micky Maus schon vor 30 Jahren den Klimawandel thematisierte – weil die Eltern von Fragestellerin Linda Zervakis in ihrem Kiosk auch Walt-Disney-Comics verkauften.

Unionskandidat Armin Laschet könnte sich an eine Micky-Maus-Weisheit halten: „Über sich selbst zu lachen, heißt, sich selbst zu lieben.“ Im Triell versuchte er sich mit Non-Stop-Erklärungen gegen eine phasenweise große Rot-Grün-Allianz mit Olaf Scholz und Annalena Baerbock.
Im Handelsblatt-Gespräch hatte die Grünen-Kandidatin zuvor schon offen bekannt: „Ich hielte es für richtig, wenn die Union in die Opposition ginge.“ Die CDU stehe für Stillstand und sei ohne Führung und Richtung. „Am liebsten würde ich gemeinsam mit der SPD regieren.“
- Angesprochen auf die Wirtschaft lautet Baerbocks Botschaft – ja, ihr Deal: „Wir geben der Industrie Planungssicherheit. Im Gegenzug braucht es die klare Zusage, den Weg hin zur Klimaneutralität auch wirklich einzuschlagen.“
- In Sachen Peking wiederum verkündet sie: „Wer ein souveränes, starkes Europa will, sollte nicht einknicken, bloß weil in China gehustet wird.“
Egal, ob sich Baerbocks Wünsche erfüllen oder ob das Gegenteil eintreten wird – es wird immer damit zu tun haben, wie sich FDP-Chef Christian Lindner entscheidet. Vielleicht darf man an dieser Stelle einmal an den einstigen Parteivordenker und FDP-Generalsekretär Karl-Hermann Flach (1929-1973) erinnern: „Wir sind gegen jede Form elitärer Herrschaft, ob sie im Gewand konservativer Machtansprüche oder in Gestalt linker Funktionärsinteressen droht. Gesellschaftliche Machtkonzentrationen sind immer schädlich, von welcher Seite sie auch ausgehen.“
So geht es also in die letzte Woche vor der 20. Bundestagswahl. Nie zuvor hatten Messdaten so viel Einfluss auf die Politik. Dazu zählt, wer gerade wie lange beim Triell redet und wer in welchen Umfragen wie viele Prozentpunkte gewinnt oder verliert.
Letzter Triell-Endstand: Scholz 42 Prozent, Laschet 27 Prozent, Baerbock 25 Prozent. Es ist ein wenig der Versuch, in puncto Spannung die Fußball-Bundesliga zu kopieren, etwa mit der Frage, ob der Zweite am letzten Spieltag noch Meister werden kann.
Wie sehr Deutschland nach zwölf Jahren „Groko“ als Industrieland schwächelt, zeigt ein noch unveröffentlichtes Standortranking des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Es hat anhand von 61 Indikatoren genau 45 Staaten verglichen. Vorne liegen jetzt die Schweiz, die USA und die Niederlande. Deutschland rutschte vom dritten auf den vierten Rang.
In der Standort-Studie heißt es hierzu: „Der insgesamt positive Rangplatz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass seit 2013 die bisherigen Schwächen des Standorts Deutschland noch ausgeprägter wurden.“
Die Marke Deutschland ist demnach noch okay, doch Mängel in der Infrastruktur, in der Digitalisierung und im Bürokratieabbau sorgen für Abzüge im ökonomischen Gesamteindruck. Die politische Begleitmelodie lieferte Multiaufsichtsrat Wolfgang Reitzle auf dem FDP-Parteitag: „Wo sind wir überhaupt noch führend?“, fragte er und antwortete gleich selbst: „Ganz sicher bei Steuern, Umverteilung und vor allem natürlich beim Strompreis.“ Anders gesagt: Die Republik trägt Bleiweste.
Der Essener RWE-Konzern war unter den ersten, der die neue Ökopolitik verstanden hatte. Bis zum Jahr 2030 sicherte sich das Unternehmen langfristig gegen das Risiko im Handel mit CO2-Zertifikaten, die wiederum zum Ausstoß klimaschädlicher Gase berechtigen. Man begann in Essen schon frühzeitig, spätestens nach 2017, mit der Politik der Absicherung – und kann nun vom drastisch gestiegenen CO2-Preis profitieren.
Im Übrigen erzeugten die Braunkohlekraftwerke von RWE im ersten Halbjahr 21.500 Gigawattstunden Strom, ein Plus von fast 50 Prozent. Die Steinkohlekraftwerke wiederum legten um gut ein Drittel auf 3400 Gigawattstunden zu. Als das Thema „Klimawende“ aufgerufen wurde, scheinen die Verantwortlichen noch einmal weggehört zu haben.

Über das russische Staatswesen kann man lange streiten, eine lupenreine Demokratie jedenfalls ist sie nicht. Und so verwundert es keinen, dass sich zur gerade abgeschlossenen Parlamentswahl die kritischen Stimmen mehren: Sie beklagen Manipulation und Unterdrückung der Opposition.
Die Kremlpartei Geeintes Russland, Machtbasis von Präsident Wladimir Putin, kommt nach der bisherigen Auszählung als stärkste Kraft auf 45,9 Prozent der Stimmen – bisher hatte sie die absolute Mehrheit.
Die Kommunistische Partei wiederum erhielt 21,5 Prozent bei der Listenwahl. 110 Millionen Menschen waren zur Wahl des Parlaments aufgerufen, 14 Parteien stellten sich zur Wahl. So viel ist sicher: Der Putinismus macht weiter. Der große Winston Churchill wusste: „Russland ist ein Rätsel innerhalb eines Mysteriums, umgeben von einem Geheimnis.“
Und dann ist da noch der Cumbre-Vieja-Vulkan auf der Kanareninsel La Palma, in dessen Innerem sich nahezu elf Millionen Kubikmetern Magma verschoben haben. Die Folge: Der Boden hob sich in der Umgebung um rund zehn Zentimeter an, es kam zu tausenden Erdbeben von einer Stärke von bis zu 4,0. Erstmals seit 50 Jahren brach der Vulkan dann aus, spuckte Lava und Asche, eine hohe Rauchsäule war zu sehen.
Die örtlichen Behörden riefen die Bevölkerung zu „extremer Vorsicht“ auf und leiteten die Evakuierung der Umgebung ein. Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez persönlich brach auf, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Wenn der deutsche Schlager intensive Liebe betexten will, fällt ihm oft das Wort „Vulkan“ ein – aber diese Liedwerke werden die zahlreichen La-Palma-Fans eine Weile wohl nicht hören wollen.
Ich wünsche Ihnen einen geordneten Start in die Woche.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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