Morning Briefing Zerknirschung in Peking
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
das Schöne am jetzt verstärkt einsetzende Interesse an den Wahlen in den USA ist der geografische Lerneffekt. Das „Heute-Journal“ des ZDF hat verspätet begriffen, dass Iowa doch etwas östlicher liegt als auf der Landkarte gezeigt, also nicht Colorado ist. Und Donald Trump musste verstehen, dass Kansas City nicht die Hauptstadt des Bundesstaates Kansas ist, sondern die größte Stadt Missouris. Kapiert haben die Nicht-Amerikaner, was ein „Caucus“ ist – die Wahl von Unterstützern der Präsidentschaftskandidaten durch die jeweilige Partei. Bei den Republikanern ist Donald Trump gesetzt, bei den Demokraten lag gestern Abend Bernie Sanders vorn.

Selbstkritik wie in besten stalinistischen Zeiten Russlands, als Versager sich selbst an den Pranger stellen mussten, kommt aus China. Dort hat die kommunistische Regierung „Fehler“ im Umgang mit dem Coronavirus eingeräumt. Der Ständige Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei räumte ein, die Reaktion auf die Epidemie habe „Fehler und Schwierigkeiten“ im Notfallmanagement offengelegt. Die Eindämmung der Krankheit, an der inzwischen mindestens 426 Menschen gestorben sind, werde „direkten Einfluss“ auf die wirtschaftliche und soziale Stabilität des Landes haben, erklärt Staatspräsident Xi Jinping – „und auch auf Chinas Öffnung“. Das klingt nach jener „splendid isolation“, die Großbritannien einst erfand und die die USA sich jüngst verordneten.
In Brüssel gibt Ursula von der Leyen (CDU) die Rolle von Europas erster Antreiberin, einer EU-Kommissionspräsidentin, die sich den Himmel als Limit setzt. In ihrem letzten politischen Job als deutsche Verteidigungsministerin hatte sie ähnlich schwungvoll begonnen, am Schluss aber Chaos hinterlassen. „Die Zahlen sind nicht gut genug“, sagte ihre Nachfolgerin und Parteifreundin Annegret Kramp-Karrenbauer auf einer Bundeswehr-Tagung, es fehle überall an einsetzbaren Waffensystemen. Von der Leyen habe zwar etliche Trendwenden eingeleitet, „aber zur Wahrheit gehört auch: Das reicht noch nicht.“ Und dann distanzierte sich AKK auch noch von der Berater-Manie der Vorgängerin, von der Rüstungsbeschaffung mit „externem Sachverstand“. Diese Methoden hätten „nicht zu den Ergebnissen geführt, die wir uns wünschen.“ Von der Detonation dieser Handgranate wird man auch in Brüssel etwas mitbekommen haben.
Ökonomisch könnte man den Regierenden rund um Angela Merkel bescheinigen, dass mit abnehmendem Grenznutzen ihrer Arbeit die Grenzkosten für Kommunikation proportional ansteigen. Je stärker also die „GroKo“ abwirtschaftet, desto teurer werden die Versuche, das noch Erwirtschaftete positiv zu erklären. Aus einer Aufstellung der Bundesregierung, erstellt nach einer Anfrage der FDP, geht hervor, dass die Ausgaben für PR-Arbeit beträchtlich von 26,3 Millionen (2014) auf aktuell 42,8 Millionen Euro ansteigen. Mit einem PR-Etat von 11,1 Millionen ist dabei das zuletzt von der SPD verantwortete Arbeitsministerium ein ungekrönter König in der Kategorie „bestellte Wahrheiten“.
Womöglich ist es die letzte Bilanz von Joe Kaeser. Der letzte Auftritt als CEO von Siemens auf der Hauptversammlung, ein „König Joe“ vor dem Abdanken. Der Mann, der sich nach eigenem Bekunden quasi selbst als Hegemon des Münchener Konzerns abgeschafft hat, wird solide, aber glanzlose Zahlen präsentieren, zeigt unsere beliebte Bilanzanalyse. Auf Anti-Kaeser-Kurs sind die Klimaaktivisten gegangen: Sie protestieren morgen beim Rendezvous der Aktionäre gegen die Beteiligung von Siemens am Kohleprojekt in Australien. „Damit verrät der Vorstand die Werte des Unternehmens“, wettert Helena Marschall von Fridays for Future, die als Rednerin auftreten wird. Kaeser gibt sich konziliant („Meine Tür ist offen“), will aber lieber „großartiges Neues“ verkünden. Darunter macht es der 62-Jährige auch im Spätherbst seiner Karriere nicht.
Wenn etwas schiefläuft in der Wirtschaft, sieht man nicht nur die im Licht, sondern auch die im Dunkeln. Jene Wirtschaftsprüfer zum Beispiel, die noch bei jedem Skandal die Bilanzen vorher testiert haben, und die in der Regel zu den „Big Four“ gehören: PWC, EY, KPMG und Deloitte. Bei der 2016 an windigen Cum-Ex-Steuerspargeschäften fallierten Maple Bank geht Insolvenzverwalter Michael Frege nun gegen EY vor – und verklagt nach unseren Informationen die Prüfer vor dem Landgericht Stuttgart auf 95 Millionen Euro. EY habe bei Erstellung und Abgabe falscher Steuererklärungen mitgewirkt und die Jahresabschlüsse der Bank geprüft, die 450 Millionen Euro Schaden verursacht hat. Die Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück. Im Falle eines Falles können sie mit Freges Bruder Campino („Zehn kleine Jägermeister“) zur Trostspendung singen: „Einmal trifft’s jeden, ärger dich nicht / So geht’s im Leben, du oder ich.“
Ein Paradebeispiel für unzureichende Wirtschaftsprüfung lieferte vor 18 Jahren die Firma Arthur Andersen, die in den USA die Bilanzen von gleich zwei Crash-Konzernen gecheckt hatte: die von Enron und Worldcom. Der Mann hinter Worldcom war der legendäre Bernard („Bernie“) Ebbers, der aus einer Klitsche in Mississippi einen Telekommunikationskonzern formte, etwa durch Kauf von MCI. Doch dann kam heraus, dass der Mann, der sich weiterhin wie früher zu High-School-Zeiten als eine Art „Basketball-Coach“ sah, den Wert der Firma und damit seiner Aktien künstlich aufblähte. Ebbers wurde 2005 zu 25 Jahren Haft verurteilt. Im vorigen Dezember kam der Pleitier aus gesundheitlichen Gründen frei; am Sonntag ist er im Kreis seiner Familie im Alter von 78 Jahren verstorben.

Transparenz hat Sundar Pichai versprochen, der zum Chef der Google-Mutterfirma Alphabet aufgestiegene Manager. Seine aktuellen Bilanzzahlen werden dem Anspruch gerecht, lösten jedoch vier Prozent Kursverlust aus. Man hatte sich an der Börse mehr versprochen, vor allem vom vierten Quartal: Statt 47 Milliarden Dollar Umsatz waren es nur 46,1 Milliarden. Dabei kam die Videoplattform YouTube 2019 durch Werbung auf immerhin gut 15 Milliarden Dollar Umsatz, der Gewinn des ganzen Konzerns lag bei imposanten 34,4 Milliarden. Das ist mehr, als die deutschen Medienkonzerne Bertelsmann, Springer, Burda, Bauer und Funke zusammengenommen in einem Jahr einnehmen.
Und dann ist da noch Gerhard Schindler, von 2011 bis 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes, der so etwas wie der „John Bolton der Bundesrepublik“ ist. Genauso wie ein Buch des einstigen Nationalen Sicherheitsberaters in den USA aufgrund eines Vetos des Weißen Hauses geblockt wurde, so liegt auch ein Werk Schindlers auf Eis. Sein 284-Seiten-Erguss heißt – originell wie ein Aktenvermerk – „Erinnerungen an den Bundesnachrichtendienst“ und führte zu einer fast zweijährigen Prüfung durchs Kanzleramt, wie WDR, NDR und „Süddeutsche Zeitung“ berichten. Nun steht fest: Das Buch kann so nicht erscheinen. Zu viele Interna würden ausgebreitet, etwa zum dienstäglichen Treff von Top-Geheimdienstlern im Kanzleramt. Insgesamt aber sollen Schindlers Memoiren harmlos wie ein Schlapphut sein und höchstens mal dekuvrieren, dass man in diesem Gewerbe Informanten mit „Geld, Geld, Geld“ gewinne – und manchmal auch mit Viagra. Das Buch läuft vorerst in der Rubrik „Enthüllungen, die uns erspart bleiben“.
Ich wünsche Ihnen einen unterhaltsamen Tag mit anregender Lektüre. Es grüßt Sie herzlich
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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