Weekend-Briefing Laschets Versprechen, Höhepunkt der Chipkrise, Immobilienhype : Der Wochenrückblick des Chefredakteurs
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
die Zahlen könnten kaum schlechter sein: Nur rund 20 Prozent der Deutschen sind mit dem Online-Angebot der Behörden zufrieden. Längst gehört es zum Alltag, private Reisen online zu buchen, Bankgeschäfte auf dem Smartphone zu erledigen und Mails per App zu diktieren.
In Behörden dagegen hat man es immer noch mit Papier, Stempel und Zahlstelle zu tun: Der Besuch auf dem Amt ist jedes Mal wie eine Zeitreise in die 80er-Jahre.
Das Thema kommt nun im Wahlkampf an. Auf dem ersten GovTech-Gipfel des Handelsblatts überboten sich Spitzenpolitiker mit ehrgeizigen Zielen für die Modernisierung des Staates.
Grünen-Chef Robert Habeck versprach im Gespräch mit mir sogar, die Behörden in nur einer Legislaturperiode zu digitalisieren. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz will das Thema zur „Chefsache“ machen. Und Armin Laschet schlägt vor, die Verantwortung dafür in einem neuen, mächtigen Digitalministerium zu bündeln.
In meinem Interview mit ihm machte der Kanzlerkandidat der Union einen wichtigen Punkt: Wenn sich jetzt nichts tue, „dann wird das irgendwann auch zu einem Misstrauen in staatliche Institutionen führen“.

Deshalb sind die ehrgeizigen Ziele richtig. Aber Ziele allein reichen nicht. Es braucht eine konkrete Strategie. Doch genau an diesem Punkt blieben Laschet, Habeck und Scholz zu vage.
Wollen wir hoffen, dass es ihnen am Ende nicht so geht wie Peter Altmaier. Der Bundeswirtschaftsminister wettete 2017 auf einer Handelsblatt-Veranstaltung mehr als ein Dutzend Flaschen Weißwein darauf, dass Deutschlands Verwaltung 2021 die modernste Europas sein werde. Die Wette hat er verloren.
Was uns diese Woche noch beschäftigt hat:
1. Gleich aus mehreren Gründen liegt ein spannendes politisches Wochenende vor uns. Zunächst wäre da der Parteitag der Grünen, auf dem die Partei entscheiden muss, ob sie in der Mitte anschlussfähig bleiben oder ob sie sich mit völlig unrealistischen Forderungen wieder Richtung fünfzehn Prozent manövrieren will. Der Politikwissenschaftler und frühere Grünen-Politiker Hubert Kleinert bringt es auf den Punkt: Die Partei sitze auf einem „Pulverfass“. Meine Berliner Kollegen werden das ganze Wochenende über verfolgen, ob dieses Pulverfass nun in die Luft fliegt.
2. Der Westen ist zurück: Das ist aus meiner Sicht der positive Teil der Botschaft, die vom G7-Treffen ausgeht. US-Präsident Joe Biden selbst spricht – nicht frei von Hybris – von einem „Wendepunkt der Weltgeschichte“.
Er will die G7, die Nato und die EU auf seinen Kampf gegen China einschwören. Für Europa steht ökonomisch aber ungleich mehr auf dem Spiel als für die USA. Dem G7-Treffen in Cornwall haftet zudem etwas Anachronistisches an. Es erinnert an die Jahre einer übersichtlichen Welt der letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts.
So verständlich und richtig es ist, dass die G7 ihre demokratischen Werte beschwören: Die alte Welt, in der die westlichen Demokratien das Maß aller Dinge zu sein schienen, wird nicht zurückkehren. Und die heutige Welt wird auch nicht besser dadurch, dass die – vielleicht mit Ausnahme der USA – ökonomisch schrumpfenden Demokratien den dynamischeren Rest der Welt ausgrenzen, kommentiert mein Kollege Jens Münchrath.
3. Was wurde nicht alles geschrieben über das Ende der deutschen Autoindustrie und Teslas uneinholbaren Vorsprung. Doch so einfach ist die Sache nicht. Zumindest im Premiumgeschäft, das zeigen aktuelle Zahlen, hängen deutsche Autokonzerne Tesla ab. Vorerst jedenfalls. Wir sehen: Das Rennen ist immer noch offen.

4. Wir sprachen hier schon öfter über die Lieferengpässe. Besonders bei Chips spitzt sich die Lage immer weiter zu. In den nächsten Wochen dürfte die Krise ihren Höhepunkt erreichen.
Damit rechnet jedenfalls der Einkaufsvorstand des VW-Konzerns: „Wir stehen vor den härtesten sechs Wochen“, sagte Murat Aksel im Handelsblatt-Interview. Mehr als 100.000 Autos konnten bei VW wegen fehlender Halbleiter nicht gebaut werden.
5. Wenn die Chip-Krise etwas Positives hat, dann die Erkenntnis, dass die Europäer das Feld vielleicht doch nicht komplett aus der Hand geben sollten. Im Handelsblatt sagte Bosch-Aufsichtsratschef Franz Fehrenbach einen der wichtigsten Sätze der Woche: Wenn wir Europäer die Position im Spannungsfeld zwischen USA und China halten wollen, brauchen wir technologische Souveränität.
Wir müssen deshalb die wichtigen Technologiefelder definieren und in diese massiv investieren, um ein relevanter Player zu bleiben.“ Das war keine leere Forderung. Einen Tag nach diesem Handelsblatt-Interview eröffnete Bosch eine Chipfabrik, in die der Stiftungskonzern eine Milliarde Euro investierte.

6. Die Rente ist mit Wucht im Wahlkampf angekommen. Der Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hatte vorgeschlagen, das Renteneintrittsalter schrittweise auf 68 Jahre anzuheben, um das System vor dem Kollaps zu retten. Scholz und andere hielten mit harten Worten dagegen. Dabei steht Deutschland vor dem Beginn eines massiven, fast zwanzig Jahre anhaltenden Alterungsschubs, der das Rentensystem an den Rand des Zusammenbruchs bringen wird.
Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup seziert die Lage scharf: „Eine sichere Rente ist möglich“, schreibt er, „doch der Preis dafür ist exorbitant hoch. Ein Ausweg wäre, das gesetzliche System auf Armutsvermeidung zu fokussieren.“ Wenn Sie nur einen Text zum Thema lesen wollen, um die Lage zu verstehen, lesen sie Rürups Analyse.
7. Kaum eine Frage wird unserer Redaktion von Wirtschaftsinteressierten häufiger gestellt als diese: Wann kommt die Pleitewelle? Nicht so bald, analysiert mein Kollege Ulf Sommer. Trotz starker Gewinneinbrüche in 2020 sind viele Unternehmen robust aufgestellt. Und er schreibt das nicht einfach so: Seiner Analyse liegen aggregierte Daten aus 7000 Unternehmensbilanzen zugrunde.
8. Die Sparkassen stehen vor einem gewaltigen Problem, wie unser Finanzressort vergangene Woche herausfand: Auf Druck der Finanzaufsicht müssen sie ihr Sicherungssystem umbauen. Dabei stehen fünf Milliarden Euro im Feuer. Im öffentlich-rechtlichen Finanzsektor löste die Nachricht regelrechte Schockwellen aus.
9. Kaum ein Thema elektrisiert die Leserinnen und Leser des Handelsblatts so sehr wie die Entwicklungen am Immobilienmarkt. Und das ist kein Wunder: Bezahlbarer Wohnraum ist in den großen Städten kaum noch zu finden, attraktive Rendite-Immobilien schon gar nicht.

2020 lagen die Haus- und Wohnungspreise in Deutschland 62 Prozent höher als vor zehn Jahren.
In Frankfurt haben sich die Preise für Eigentumswohnungen zwischen 2011 und 2020 verdoppelt. Noch höhere Steigerungen verzeichnet Berlin, wo die Preise für Einfamilienhäuser um 148 Prozent stiegen. Eine neue Handelsblatt-Serie analysiert deshalb, wo sich der Immobilienkauf noch lohnt. Auftakt dafür ist die Titelstory dieser Woche.
Ihnen ein schönes Wochenende.
Herzlichst,
Ihr
Sebastian Matthes
Chefredakteur Handelsblatt
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