Weekend-Briefing Zukunft – welche Zukunft?, Angst vor Linksruck, Subventionswahnsinn E-Auto: Der Wochenrückblick der stellvertretenden Chefredakteurin
Guten Morgen allerseits,
eine Geschichte haben unsere Abonnentinnen und Abonnenten in der vergangenen Woche besonders gern gelesen. Darin ging es um das, um was es beim ersten TV-Triell zwischen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz nicht ging: die Zukunft.
Ernüchtert waren vor allem einige Start-up-Unternehmer, die Gestalter der Wirtschaft von morgen. Wenige Wochen vor der Wahl lasse man sich „minutenlang über genderkonforme Sprache aus, statt sich mit konkreten Ideen zur Gestaltung unseres Landes und Europas zu befassen“, kritisiert zum Beispiel Tao Tao, Mitgründer des Reise-Start-ups Getyourguide.
Auch unsere Redaktion war sich einig: zu viel kleinteilige Gegenwartsbewältigung, zu wenig Diskussion über die (digitale) Zukunftsfähigkeit unsere Landes. Dabei müssen wir genau darüber reden. Deutschland landet im aktuellen „Digital Riser Report“, einem renommierten Digital-Ranking, auf dem drittletzten Platz der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (hinter Italien!). Wir haben zahlreiche Digitalbaustellen – von Technologieförderung über digitale Bildung, Verwaltung und Gesundheit bis zum Netzausbau. „Selbst bei einer der dringlichsten Fragen unserer Zeit, dem Klimaschutz, kam das Potenzial neuer Technologien kaum zur Sprache“, sagt Tao Tao.
Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Am 12. September gibt es das zweite TV-Triell. Vielleicht lautet das Motto dann „Fortschritt statt Floskeln“.
Was uns diese Woche sonst noch beschäftigt hat:
1. Der steile Abwärtstrend bei der Union versetzt immer mehr Unternehmer in Unruhe. Eine linke Mehrheit im Bund erscheint rechnerisch möglich – und weder Scholz noch Baerbock schließen eine Koalition mit den Linken aus. Für Nikolaus Stihl wäre Rot-Rot-Grün „wirtschaftspolitisch und sicherheitspolitisch der Worst Case“. Martin Herrenknecht wird noch deutlicher: „Wo die Welt von einer Krise in die andere schlittert, brauchen wir in Deutschland sicher keinen Mix aus rückständigen linken Utopien und supergrünem Klimaaktionismus.“
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt dagegen geht im Handelsblatt-Interview mit der Linkspartei auf Tuchfühlung: „Es gibt in der Sozialpolitik, der Kindergrundsicherung und bei Mindestlöhnen sicher Schnittmengen.“
Mit einem „Zukunftsteam“ will Laschet das Ruder drei Wochen vor der Bundestagswahl noch herumreißen. Das Handelsblatt stellt seine acht Hoffnungsträger, darunter vier Frauen und vier Männer, vor. Die Wirtschaft ist allerdings skeptisch angesichts der fehlenden Prominenz.

Das Team von Armin Laschet (von links): Dorothee Bär, Friedrich Merz, Silvia Breher, Joe Chialo, Andreas Jung, Karin Prien, Peter Neumann und Barbara Klepsch.
2. Deutschland will bereits 2045, und damit fünf Jahre früher als die EU, klimaneutral sein. Nach Energieerzeugung und Industrie liegt der Verkehr – und dazu gehören natürlich auch die Lastwagen auf unseren Straßen – auf Platz drei der größten CO2-Verursacher hierzulande. Doch statt weniger gibt es immer mehr Lkw-Verkehr und ein Ende des Brummi-Booms ist nicht in Sicht. Die Folge der von der Politik verpassten Verkehrswende: Deutschland ist eine Republik im Dauerstau.
Klar ist: Die nächste Regierung muss Mobilität drastisch verteuern, wenn sie die Klimaziele erreichen will. Für Autofahrer könnte das bedeuten, dass der Preis für Benzin womöglich um 70 Cent je Liter oder mehr steigt.
3. Apropos Klimaschutz: Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe bringen die ersten Klimaklagen in Deutschland gegen Volkswagen, Daimler und BMW auf den Weg, wie das Handelsblatt im Vorfeld der Verkündung am Freitag erfuhr. Die Verfahren stützen sich dabei nach ihren Angaben vor allem auf das „wegweisende Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts“. Das Gericht hatte im April die Klimagesetzgebung als unzureichend kritisiert und den Gesetzgeber zur Nachbesserung verpflichtet.
4. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft, die dem Handelsblatt vorliegt, offenbart: Die Wahlversprechen der Parteien sind ohne eine Lockerung der Schuldenbremse nicht finanzierbar. Doch die steht bei den Bürgern hoch im Kurs, wie die Grafik unmissverständlich zeigt. Ein Dilemma par excellence.
5. Die Immobilienpreise hierzulande steigen und steigen. Die neun teuersten Stadt- und Landkreise sind in einer einzigen Region zu finden: Sie liegen allesamt in Oberbayern. Wohnen wird aber nicht nur in Deutschland immer teurer. Wir zeigen in einem großen Überblick, wie sich die Preise in sieben europäischen Ländern entwickeln – und wie groß Experten das Risiko einer Blase einschätzen.
6. Ming Yang Smart Energy, einer von Chinas größten Windkonzernen, bringt ein neues Mega-Windrad auf den Markt. Es soll 264 Meter vom Meeresboden in die Höhe ragen. Zum Vergleich: Der Kölner Dom ist gerade mal 159 Meter hoch. Bislang lieferten sich europäische Unternehmen wie Vestas und Siemens Gamesa oder auch die Amerikaner von GE das Wettrennen auf hoher See. Jetzt bringt sich die Konkurrenz aus China eindrucksvoll in Stellung.
7. Eine Handelsblatt-Umfrage unter Dax-Konzernen und großen Familienunternehmen kommt zu dem Ergebnis, dass verwaiste Büros und leere Kantinen auch anderthalb Jahre nach Corona-Ausbruch allerorts die Arbeitsrealität sind. Daran dürfte sich angesichts steigender Infektionszahlen vorerst auch nichts ändern.
8. Deutschland pusht den Elektroauto-Boom. Doch der Preis dafür ist enorm, so die Quintessenz unseres Wochenendtitels „Subventionswahnsinn Elektroauto“. Laut Berechnungen der Research-Einheit der Deutschen Bank sponsern die Steuerzahler hierzulande jedes E-Auto mit mehr als 15.000 oder sogar 20.000 Euro, je nach Fahrzeugklasse. Die Analysten ziehen einen drastischen Vergleich: So gaben die öffentlichen Haushalte im Jahr 2019 pro Schüler lediglich 8.200 Euro aus.
Stichwort Elektroautos: Wussten Sie eigentlich, dass Tausende Schnellladesäulen in Deutschland noch illegal in Betrieb sind? Wir erklären, warum.
9. Und dann ist da noch der leidige Bahnstreik. Das Bahn-Management war am späten Donnerstagabend in erster Instanz mit einem Eilantrag gegen den laufenden Arbeitskampf gescheitert. Die Bahn ging in Berufung, doch auch die wurde am Freitag zurückgewiesen. Die GDL werde den Streik nun bis zum geplanten Ende am Dienstag um zwei Uhr fortsetzen, kündigte der Vorsitzende Claus Weselsky am Freitag an. Sie kann es sich leisten, denn die Streikkasse ist prall gefüllt.
Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende – und allen in der Bahn starke Nerven!
Herzlichst
Ihre
Kirsten Ludowig
Stellvertretende Chefredakteurin Handelsblatt
Das Morning Briefing plus können Sie im Rahmen Ihres Handelsblatt-Digitalabonnements kostenfrei erhalten oder hier separat abonnieren.

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.