Autotest Audis Stärkster: Der E-Tron GT RS im Handelsblatt-Autotest

Der Elektrosportwagen ist Audis leistungsstärkstes Auto.
Düsseldorf Noch einmal. Linker Fuß auf die Bremse, rechter aufs Gaspedal, linker Fuß verlässt die Bremse – es ist eine Pedalkombination, die ich im Audi E-Tron GT RS in den zwei Testwochen ständig aufs Neue wiederhole. Und egal wie oft ich es tue, der Gedanke danach ist immer derselbe: Das. Ist. Nicht. Wahr.
Diese Reihenfolge löst beim leistungsstärksten Auto, das Audi jemals gebaut hat, die sogenannte „Launch Control“ aus, der perfekte Start aus dem Stand. Es dauert dann kaum eine Sekunde, um das 2,4 Tonnen schwere Gefährt auf 50 Kilometer pro Stunde zu beschleunigen, nach weiteren zwei Sekunden fahre ich 100 und nach zehn Sekunden hat der Wagen die 200 Kilometer pro Stunde geknackt – der absolute Wahnsinn.
Es gibt Verbrenner, die schneller beschleunigen. Aber nur in einem Elektroauto kommt man dem Düsenjet-Gefühl nahe. Denn hier liegt die Kraft sofort an. Sobald ich auf das Gaspedal tippe, reißt es mir den Kopf nach hinten.
Freunde und Bekannte, die ich mitnehme, ringen nach Luft. In ihren Gesichtern vermischen sich Angst und Faszination. Selbst hartgesottene Verbrenner-Fans können ihre Endorphin-Schübe während der Beschleunigung nicht verbergen. Nur meine Freundin hasst das Auto. Ihr Fazit: Zu breit, zu protzig, zu schnell und auf dem Beifahrersitz nicht gerade magenschonend.
Nach dem ersten E-Tron, der 2019 vorgestellt wurde, und dem E-Tron Sportback hat Audi mit dem GT RS sozusagen die Speerspitze seiner Elektromodellpallette präsentiert. Es ist das einzige Elektromodell, das Audi in Deutschland im Werk Neckarsulm bauen lässt.

Die olivgrüne Lackierung heißt bei Audi „Taktikgrün“.

Der E-Tron GT ist knapp zwei Meter breit. Unter dem Kennzeichen versteckt sich das Nachtsichtgerät.
Die ersten E-Tron Modelle von Audi waren die Eintrittskarten in den Elektroautomarkt. Mit dem Sportwagen GT RS will Audi nun beweisen, dass sie mit Tesla mithalten können. Eine Art herausforderndes: „Hey Elon, guck dir mal unser neuestes Elektrospielzeug an!“
Die Leistungswerte und der Preis des Fahrzeugs sind eine Kampfansage: 85 Kilowattstunden Nettobatteriekapazität, 646 PS im Boost-Modus, 830 Newtonmeter, Preis des Testwagens: 180.000 Euro. Der Wagen teilt sich die Entwicklungsplattform mit dem Porsche Taycan Turbo.
Doch auch wenn Audi beim E-Tron GT vieles richtig macht, in einigen Disziplinen hinken die Ingolstädter nach wie vor hinter dem Elektrokonkurrenten aus den USA hinterher. So war im Testwagen die Software, derzeit so ziemlich das wichtigste Thema in der Autoindustrie, insbesondere bei der Audi-Mutter VW, nicht frei von Fehlern. Und auch bei der Reichweite lässt der Wagen Punkte liegen. Dazu später mehr.
Das fünf Meter lange, knapp zwei Meter breite und gefühlt halb so hohe Auto fällt auf. Nie habe ich mich in einem Auto beobachteter gefühlt. An der Schnellladesäule ruft mir einer zu: „Endlich mal ein schönes Elektroauto!“
Teure Sonderausstattung
In den Testwagen hat Audi alles reingesteckt, was sie zu bieten haben. Das Dach besteht aus Karbon und kostet 4000 Euro extra. Die Bremsen sind so groß wie Familienpizzen, bestehen aus Keramik und sorgen für eine extreme Verzögerung. Preis: Schlappe 5600 Euro. Die Dekorleisten im Innenraum sind aus Karbon, was sonst?
Die Hinterräder lenken natürlich mit, was noch mal knapp 1400 Euro zusätzlich kostet. Eingebaut ist auch ein Nachtsichtgerät mit Fußgängererkennung, der Dachhimmel und das Lenkrad sind in Alcantara eingehüllt. Die Sitze haben eine Massagefunktion mit elf verschiedenen Modi. Insgesamt kostet die Sonderausstattung über 40.000 Euro.

Beim Öffnen des Fahrzeugs bietet der E-Tron GT Außenstehenden eine kleine Lichtshow.

Vorderer und hinterer Kofferraum haben zusammen ein Volumen von 451 Litern.
Auf der Hinterbank ist die Beinfreiheit ausreichend, die flache Linienführung lässt den Kopfraum aber klein ausfallen. Der Kofferraum fasst 366 Liter, der kleinere Kofferraum unter der Fronthaube 85 Liter. Eine Soundanlage fabriziert ein elektrisches Motorgeräusch. Das klingt gewöhnungsbedürftig und lässt sich leider nicht ganz abschalten.
Zu den Highlights zählt neben dem Antrieb auch das Fahrwerk. Das variabel einstellbare Luftfahrwerk erlaubt sehr gemütliches und angenehmes Fahren, im „Dynamic“-Modus wiederum bleibt der Wagen auch in scharfen Kurven sehr stabil.
Ich merke jedenfalls in den zwei Wochen, wie dieser Wagen allmählich meinen Fahrstil verändert. Jede rote Ampel, an die ich als Erster heranfahre, ist ein Segen. Auf Autobahnauffahrten fahre ich zunächst mit 60 Kilometer pro Stunde, später mit 70, dann 80, 90, am Ende denke ich, dass es auch mit 100 Kilometer pro Stunde geht. Der Wagen vermittelt Kontrolle, doch wo ist die Grenze? Während der Fahrt hat mich das kaum interessiert, erst zu Hause angekommen erschrecke ich vor mir selbst.
Man fährt mit der Gewissheit, eines der schnellsten Autos weit und breit zu haben. Egal welcher Verbrenner einem an der Ampel begegnet oder auf der linken Spur auf der Autobahn hinter einem drängelt. Ein Tritt aufs Gaspedal manifestiert den tiefen Bruch zwischen der alten und der neuen Motorenwelt.
Bevor der Verbrennungsmotor die entsprechende Drehzahl aufgebaut hat und seine Kraft in einem lauten pubertären Brüllen entfalten kann, ist der Elektro-Audi flüsterleise bereits 100 Meter enteilt. Und bevor die Benzin-Porsches, -Ferraris und -McLarens damit beginnen, diesen Rückstand wieder aufzuholen, fährt man mit Geschwindigkeiten, die auf der Autobahn nichts zu suchen haben, also mehr als 250 Kilometer pro Stunde.
Die flotte Fahrt allerdings kostet eine Menge Strom. Die angegebene Reichweite von 472 Kilometern ist in der Praxis unerreichbar. Ich komme aufgrund der zahlreichen Beschleunigungen im Schnitt auf 380 Kilometer. Verglichen mit den über 600 Kilometer Reichweite, die ein Tesla schafft, ist das ein schwacher Wert. Der Verbrauch liegt bei etwa 30 Kilowattstunden pro 100 Kilometer. Bewegt man den Audi „normal“ liegt der Verbrauch zwischen 22 bis 25 Kilowatt Stunden.

Zum Glück hat Audi im E-Tron GT im Gegensatz zu anderen Audi-Modellen die haptischen Knöpfe nicht entfernt. Das erleichtert die Bedienung während der Fahrt erheblich.

Im Innenraum findet man so gut wie gar kein Hartplastik. Alles ist unterschäumt oder aus Leder. Nur die Getränkehalter sind deplatziert.
Glücklicherweise spendiert Audi dem E-Tron GT eine 800-Volt-Ladetechnik, die Gleichstromladen ermöglicht. An der Schnellladesäule komme ich zeitweise auf über 250 Kilowatt. Innerhalb von 50 Minuten lade ich den Audi an der Schnellladesäule von acht auf 100 Prozent. Von zehn auf 80 Prozent, die Spanne, in der die maximale Ladeleistung anliegt, geht es innerhalb von gut 25 Minuten. Das ist noch immer deutlich langsamer als Tanken von Benzin, aber schneller als mit konventioneller Ladetechnik.
Gut sind auch die hochauflösenden Displays, die sich von jenen eines Smartphones nicht mehr unterscheiden. Nicht ganz auf Smartphone-Niveau ist allerdings die Latenz bei der Bedienung des Infotainment-Systems. Ein Manko, das die traditionelle Autoindustrie nach wie vor nicht in den Griff bekommt.
Es ist nicht dramatisch, nichts ruckelt wirklich stark. Es ist aber in Nuancen nicht so flüssig, wie man es von seinem Smartphone gewohnt ist. Ruft man auf seinem Smartphone beispielsweise Google Maps auf, erscheint es sofort und in einem flüssigen Vorgang. Beim Audi E-Tron hingegen drückt man auf den Navigationsbutton im Infotainment-System und dann passiert zunächst einmal für knapp eine Sekunde nichts.
Jedes Mal blitzt dann für Bruchteile einer Sekunde die Frage bei mir auf, ob ich den Button jetzt richtig angeklickt habe oder nochmals drücken muss. Und kurz bevor ich den Button noch einmal drücken möchte, erscheint die Navigation und baut sich grafisch auf.
Das mag kleinlich wirken. Doch dieses Auto kostet so viel wie eine kleine Eigentumswohnung im Speckgürtel einer Großstadt. Mein Handy kostet keine 500 Euro und ist schneller.
Ärgerlicher Infotainment-Ausfall
Leider ist im Testwagen das Infotainment-System dann auch im Zeitraum von zwei Wochen dreimal ausgefallen. Auf dem Display war nur ein Ladebalken zu sehen mit der Aufschrift „Das System wird geladen. Bitte warten …“ Ich konnte dann weder das Radio noch die Navigation bedienen und auch keine grundlegenden Einstellungen vornehmen. Nur ein harter Reset des Infotainment-Systems konnte das Problem lösen.
Auf Nachfrage versichert Audi, dass das eine Ausnahme sei. Der Fehlerspeicher des Testwagens habe keine Erklärung liefern können.
Nach zwei Wochen und einer Menge ausschweifender Beschleunigungsorgien und flotter Kurvenfahrten, frage ich mich am Ende dann doch: Wer braucht so ein Auto überhaupt?
Ein Auto, das keiner braucht, aber viele haben wollen, so hat es Ferdinand Piëch mal ausgedrückt. Der Audi E-Tron GT RS dürfte daher genau im Sinne des ehemaligen VW-Patriarchs sein.
Mehr: Beim Porsche Panamera macht der Plug-in-Hybrid mehr als die Hälfte der Zulassungen aus. Doch kann der leistungsstarke Sportwagen sein Sparversprechen halten?
Technische Daten
- Länge: 4,99 Meter
- Breite: 1,96 Meter/2,16 Meter mit Rückspiegel
- Höhe: 1,41 Meter
- Radstand: 2,90 Meter
- Leergewicht: 2350 Kilogramm
- Kofferraumvolumen: hinten: 366 Liter, vorne: 85 Liter
- Motoren: zwei Elektromotoren (vorn und hinten)
- Max. Leistung: 475 kW/646 PS
- Max. Drehmoment: 830 Nm
- Beschleunigung: 0–100 km/h: 3,3 Sekunden (3,1 Sekunden eigene Messung)
- Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h
- Batteriekapazität: 93,4 kWh
- Verbrauch: 19,3 kWh/100 km
- Reichweite: 472 Kilometer (WLTP)
- Laden: Wallbox (11 kW): ca. 9:15 Stunden, Schnellladesäule (270 kW) 0 bis 100 Prozent: etwa 50 Minuten, 10 bis 80 Prozent: etwa 22 Minuten
- Preis: 138.200 Euro
- Preis des Testwagens: 179.919 Euro
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