Elektromobilität China-Schnäppchen mit Platz zum Übernachten – der Aiways U5 im Handelsblatt-Autotest

Chinesisches Elektro-SUV zum Schnäppchen-Preis. Die Umweltprämie abgezogen, kann er locker für unter 30.000 Euro zu haben sein.
Düsseldorf Neulich auf dem Parkplatz der Touristeninformation in Rurberg am Rursee. Es ist Corona-Lockdown, 22.30 Uhr, mitten im Nationalpark Eifel und direkt am Seeufer hängt unser mintfarbenes Elektro-SUV durstig an der einzigen Stromtanke weit und breit.
Der Mitarbeiter vom Ordnungsamt der Gemeinde Simmerath, ein stämmiger Kerl mit grauen Schläfen, blickt uns streng über den Rand seiner Fielmann-Brille an: „Können Sie mir mal verraten, was Sie hier machen?“, fragt er. Wir, das sind meine Partnerin Ina und ich, schlucken. Er weiß, dass er in diesem Moment die Macht hat. „Es ist Ausgangssperre - wissense, nä!?“
Aufgeregt schildere ich ihm in allen Einzelheiten, was uns widerfahren ist und wieso wir mit zwei Bettdecken und Kissen auf einer prallen Luftmatratze mit umgeklappter Rückbank im Kofferraum liegen. „Zunächst haben wir einen Tagesausflug von Bonn in die Eifel gemacht“, beginne ich. „Und dann ist uns irgendwie gegen 21 Uhr vollkommen der Saft ausgegangen, weil wir vorher keine E-Tanke gefunden haben.“
Zum Glück zeigte uns die App die Ladesäule hier in Rurberg an. Aber die lädt leider so langsam, dass unser 63-kwW-Akku erst in zehn Stunden wieder voll ist. „Deswegen müssen wir leider im Auto schlafen, aber wir bleiben hier drinnen und gehen nicht raus, versprochen“, beteuere ich. „Hmmm, ja aber es ist auch Beherbergungsverbot, und eigentlich wären jetzt 250 Euro pro Person fällig, wissense, nä?“

... für den ersten Härtetest: eine Übernachtung zu zweit bei umgeklappter Rücklehne. Schließlich ist Lockdown, und es herrscht Übernachtungsverbot.

... für die erste Tour in die nahegelegene Eifel. Dass uns der Strom ausgehen würde und wir wegen der langen Ladedauer tatsächlich im Auto schlafen müssen, war da noch nicht zu ahnen.
Wer baut den Aiways U5?
Am Ende kommen wir trotz Übernachtung in unserem provisorischen Elektro-Hotel mit einer mündlichen Verwarnung und ohne Geldstrafe davon. Und zugegeben: Auffälliger hätten wir in einem kleinen Eifeldorf kaum übernachten können. Schließlich ist unser Testauto auf deutschen Straßen ein echter Exot. Wir testen das neue Elektro-SUV Aiways U5 des chinesischen Herstellers Aiways.
Was fast genauso klingt wie ein amerikanischer Zahnpflegekaugummi ist das 2017 gegründete Start-up der chinesischen Unternehmer Samuel Fu und Gary Gu, das pro Jahr eigenen Angaben zufolge 300.000 E-Autos produziert. Zum Vergleich: Der amerikanische Elektroautobauer Tesla produzierte 2020 etwa 500.000 Autos.
Wie teuer ist das Aiways-SUV, und wann kommt es?
Mit einem Einstiegspreis von 35.403 Euro (ohne Förderung) ist das mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete Mittelklasse-SUV extrem günstig und kostet nur halb so viel wie zum Beispiel der Mercedes Einstiegs-Stromer EQC. Gekauft werden kann es in Elektrofachmärkten von Euronics, über A.T.U. oder über die Aiways-Webseite, und wer es heute in den Warenkorb legt, bekommt das Auto in zwei Wochen geliefert.
Mir wurde der Aiways in Premium-Version von einem Fahrer aus der Europazentrale in München bis nach Bonn gebracht. Der Mann liefert normalerweise Porsche-Käufern ihre Premium-Autos aus. Sein Fazit nach rund 600 Kilometern: „Wirklich ein gutes und solides Fahrzeug, vor allem bei dem Preis! Nur bei der Software haben die Asiaten es etwas übertrieben, weil es ständig piepst und warnt. Aber ich zeig Ihnen gleich mal, wo Sie das abschalten können.“

4,68 Meter lang, hübsche Leichtmetallfelgen und eine zarte Dachreling – für die gibt es allerdings noch kein Trägersystem.

Futuristische Optik von vorn ohne Kühlergrill – muss man mögen.
Mein erster Eindruck: schlicht und zweckmäßig, aber alles andere als ein Billigheimer. Die Verarbeitung ist sauber, die Materialien wertig und der Platz im Auto riesig. Von hinten betrachtet erinnert mich der Aiways an einen Volvo XC40. Nur die nahezu geschlossene Frontpartie gefällt mir nicht – so ganz ohne Lamellen? Vielleicht ist das besonders futuristisch, aber mein Fall ist es nicht.
Entschädigt werde ich dafür mit den versenkten Türgriffen, die erst ausfahren, wenn ich mich dem Fahrzeug nähere, einem gigantischen Panoramadach – schließt sich von selbst ab einer bestimmten Geschwindigkeit – und zwei versteckten Stauräumen unter dem Kofferraum. Sowieso punkten die Chinesen mit vielen Aufbewahrungsmöglichkeiten und auf der Rückbank mit einer Beinfreiheit, die selbst Zwei-Meter-Mitfahrer glücklich macht.
Es ist allerdings gerade die ungewöhnliche Front, die immer wieder neugierige Blicke auf sich zieht. Am Morgen nach der Autoübernachtung am Rursee kommt ein Mann über den Parkplatz auf uns zu. „Wahnsinn, sachense mal, was ist denn datt für ein außerirdisches Jefährt?“ Der Mann, der sich als Herbert vorstellt, könnte mein Vater sein: Cashmere-Schal auf weißem Hemd, schulterlanges braunes Haar und Ledersakko. Er glaube eigentlich an die Überlegenheit von Wasserstoffautos, sagt er.

Fühlt sich sichtlich wohl im Aiways – Herbert inspiziert das Elektro-SUV und ist beeindruckt. Vor allem das Lenkrad findet er sehr gelungen.

Aufgeräumt, hochwertig verarbeitet und ohne unnötigen Schnickschnack. Nur das Handschuhfach habe ich vermisst, das haben die Entwickler einfach mal weggelassen.
Trotzdem will er sich diesen „lindgrünen Hübschen“ mal von innen anschauen und staunt. Besonders edel findet er die glänzend schwarze Mittelkonsole mit dem Drehschalter für die Fahrstufen, zwei Becherhaltern und einem Touch-Bedienfeld für Heizung und Klimaanlage. Im Alltagstest musste ich allerdings feststellen, dass die Klavierlack-Oberfläche empfindlich ist und schnell hässliche Kratzer bekommt. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass die Klimaanlage auf der kältesten Stufe nicht kalt genug ist – aber das ist natürlich eine sehr subjektive Bewertung.
Albtraumszenario: Ladekabel hängt fest
Herbert inspiziert alles ganz genau, fährt die komfortablen Echtledersitze einmal in alle Himmelsrichtungen, lobt den aufgeräumten Look des Cockpits, drückt sich ein bisschen durchs Menü des scheinbar schwebenden 12,3-Zoll-Touchscreens, packt ans ovale Lenkrad und fragt höflich, ob er denn „die Damen“ zum heutigen Ausflugsziel nach Vogelsang begleiten dürfe. Darf er nicht. Aber ein Blick unter die Motorhaube (viel Stauraum für die beiden Ladekabel; Typ2 und CSS) sei ihm noch gegönnt.
Nein, hier gibt es nichts zu meckern. Herbert ist überzeugt: „Also da hammse schon ihren ersten Kunden, die Chinesen, die Knutschkugel würde ich mir doch glatt bestellen für mein Carport.“ Wir verabschieden uns freundlich und rollen das Ladekabel wieder ein (an einer Schnellladestation hätten wir den Aiways übrigens von zehn auf 80 Prozent in rund 35 Minuten aufladen können ...). Diesmal ohne Komplikationen, denn es ist schon zweimal vorgekommen, dass sich das Kabel einfach nicht lösen ließ.

Unter der Motorhaube lassen sich die Kabel (Typ2 und CSS) gut verstauen – die dazugehörige Tasche ist eher ein Witz. Es dauert ewig, bis das Kabel da drin wieder seinen Platz hat.

Aufgeladen wird der Aiways über die Buchse, die sich auf der Fahrerseite unter dem LED-Scheinwerfer befindet.
Obwohl ich den Ladevorgang via App beendet hatte, klemmte der Stecker weiter fest in der Buchse, die sich beim Aiways unter dem linken LED-Scheinwerfer auf der Fahrerseite befindet. Normalerweise gibt der Aiways die Entriegelung automatisch frei, wenn das Laden beendet oder abgebrochen wird. Oder die blockierte Verriegelung lässt sich entriegeln, indem man die Zentralverriegelung betätigt.
Zum Glück hatte ich mir die Handynummer des Fahrers gespeichert, der mir das SUV geliefert hatte und konnte ihn um Rat fragen, nachdem ich minutenlang verzweifelt am Stecker gezogen und geruckelt hatte. Die Lösung: Wenn's wieder klemmt, einfach auf der Fernbedienung zwei Knöpfe gleichzeitig drücken, und das Auto ist befreit. Später habe ich diesen Kniff auch in der Bedienungsanleitung entdeckt, aber auf die Idee muss man ja erst mal kommen.
Wie fährt sich der Aiways U5?
Wir gleiten also lautlos davon, hören die Vögel bei geöffnetem Fenster zwitschern, und das Display zeigt 400 Kilometer an: Das wird reichen, um zu unserem nächsten Ausflugsziel an die Mosel zu kommen, wo wir wieder im Aiways übernachten möchten. Wir haben im Lockdown nämlich aus der Not eine Tugend und aus dem Aiways einen Tiny-Camper gemacht.
Eigentlich war geplant, den Autotest mit einem XXL-Dachzelt von Thule zu machen, aber obwohl der Aiways eine Dachreling hat, war der Spaß nicht möglich. Denn: das E-SUV ist so neu und unbekannt auf dem europäischen Markt, dass es dafür noch keine passenden Trägersysteme gibt. Da muss man sich also noch ein wenig gedulden.

Viel Stauraum hat der Aiways im Innern zu bieten. Besonders praktisch: das Fach unter der Mittelkonsole.

Auch im Fonds auf den hinteren Sitzen bietet der Chinese viel Platz – und auf den Außenplätzen jeweils Isofix-Halterungen für Kindersitze.
Bis dahin schläft man aber absolut komfortabel bei umgelegter Rückbank – der Kofferraum punktet hier mit 1555 Liter Volumen – auf einer einfachen SUV-Luftmatratze, die es für unter 100 Euro zu kaufen gibt. Beim Aufpusten ist mir sogar aufgefallen, dass es hinten im Kofferraum einen zusätzlichen 12-Volt-Anschluss gibt – praktisch auch für Kühlboxen oder Wasserkocher.
An der Fahrweise des U5 gibt es von mir als Otto-Normalkundin nichts zu kritisieren. Beim Tritt aufs Pedal schiebt das SUV an und ist in 7,8 Sekunden von 0 auf 100. Das ist für ein E-Auto kein überragender Wert, für ein SUV in dieser Preisklasse aber durchaus beachtlich.
Die meiste Zeit bin ich im Sportmodus gefahren – einfach, weil es viel Spaß macht und der Aiways am direktesten und spritzigsten reagiert. Natürlich muss ich dann Abstriche bei der Reichweite machen. Aber so 320 bis 350 Kilometer waren im Schnitt durchaus drin. Wer rekuperiert und defensiver fährt, kann da also sicher noch mehr rausholen.
Es gibt ein paar Schwachpunkte, wo der Hersteller noch nachbessern sollte. So gibt es zum Beispiel weder ein Handschuhfach noch herausnehmbare Fußmatten. Auch der Kunststoffhebel, mit dem ich die Motorhaube öffnen muss, ist so wackelig und labil, dass ich immer Angst hatte, ihn abzubrechen.

Der Kunststoffhebel zum Öffnen der Motorhaube wirkt im Gegensatz zum Rest eher billig verarbeitet. Hier sollte Aiways unbedingt nachbessern, schließlich benutzt man ihn oft.

Das Panoramadach lässt sich leider nur über das Display öffnen und schließen. Nettes Feature: Ab einer bestimmten Geschwindigkeit schließt es sich automatisch.
Und dann wäre da noch das Bediendisplay! Einige Funktionen, zum Beispiel öffnen und schließen des Panoramadachs, lassen sich ausschließlich darüber steuern. Für meinen Geschmack könnte die Software auch noch direkter und schneller reagieren, wenn ich irgendwo draufdrücke. Dass der Aiways U5 kein Navi an Bord hat, störte mich hingegen gar nicht. Ich bin es sowieso gewohnt, über mein Handy auf Autofahrten zu navigieren, und das konnte ich im Aiways problemlos per USB-Kabel anschließen und mit dem Bildschirm synchronisieren.
Unterm Strich gibt es mit dem Aiways also viel SUV für wenig Geld. Und er ist mitnichten nur halb so gut wie der Mercedes EQC, nur weil er nur halb so viel kostet. Mir ist es nach dem Testzeitraum richtig schwergefallen, den „lindgrünen Hübschen“ wieder herzugeben.
Technische Daten Aiways U5
- Länge: 4,68 Meter
- Breite: 1,87 Meter
- Höhe: 1,7 Meter
- Radstand: 2,8 Meter
- Gewicht: 1770 kg
- Kofferraumvolumen: 432 - 1555 Liter
- Elektromotor:150 kWh / 204 PS
- Batterie: 63 kWh
- Maximales Drehmoment: 310 Nm
- Reichweite: 400 km (WLTP), 503 km (NEFZ)
- Vmax: 170 km/h, 0-100 km/h: 7,8s
- Preis: ab 35.403 Euro (ohne Förderung)
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