Elektromobilität Neuer Fixstern am Autohimmel – Polestar 2 im Handelsblatt-Autotest

Wie genau das in Limousinenhöhe angelegte SUV die chinesische Metropole widerspiegelt, bleibt womöglich den Designern vorbehalten. Platz bietet der Stromer jedenfalls.
Düsseldorf Dem Polarstern kommt in der Astronomie besondere Bedeutung zu: Er ist nicht nur der hellste Stern im Bild des Kleinen Bären, sondern wegen seiner Himmelsposition in Nähe des Pols wird er auch als geeignetes Mittel zur Feststellung der geografischen Nordrichtung genutzt. Ein richtungsweisender, ein Fixstern am Himmel.
Polestar, Polarstern, so heißt auch die Hybrid- und Elektroeigenmarke der Automobilkonzerne Volvo und Geely. „Da haben sie sich aber viel vorgenommen“, denke ich mir, als ich den weißen Schlitten vor meiner Haustür mustere. Der Testwagen ist der Polestar 2, nach der Kleinserie das erste Volumenmodell der Hersteller. Hat er das Zeug zum Fixstern, gibt er auf der Straße künftig die Richtung vor?
Das Auto soll einerseits dem Model 3 des bisherigen Nordsterns Tesla Konkurrenz machen, im Premiumsegment andererseits Stromern wie Mercedes EQC oder dem Audi E-Tron. Zwei Preise bescheinigen dem Elektrowagen Top-Leistungen: Erst im November erhielt der Polestar 2 das „Goldene Lenkrad 2020“ in der Kategorie „Mittlerer SUV“, wenige Wochen zuvor den Titel „German Car of the Year“ in der Kategorie „Luxus“. Viel Vorschusslorbeer. Die Frage ist, wie sich das in China im Rückgriff auf schwedisches Know-how gebaute SUV im Alltag schlägt.
Ich lasse das Auto erst einmal auf mich wirken. Der Polestar 2 ist in der Farbe „Snow“ lackiert, hat ein riesiges Panoramaglasfenster im Autodach, randlose Seitenspiegel und goldene Bremsen sowie Ventilkappen. Extravagant, aber ziemlich schick.
Abgesehen vom Design, das den Stil der chinesischen Megametropole Schanghai aufgreifen soll, erscheint mir der Elektrowagen vor allem eins: zu groß für die Stadt. Parkplätze sind Mangelware, mit Glück kann ich meinen eigenen Kleinwagen irgendwo dazwischen quetschen. Das SUV mit seiner Länge von 4,61 Metern und Breite von 1,8 Metern erscheint mir für diese Millimeteraktionen zu wuchtig, aber das werde ich ausprobieren müssen.
In der Standardausführung kostet der Polestar 2 55.825 Euro. Mein Testwagen ist allerdings deutlich teurer, denn es kommen einige Extras hinzu: die Außenfarbe für 1000 Euro, das Ausstattungspaket „Perfomance Peak“ mit 6000 Euro und das Innendesign mit 4500 Euro, um nur einige Posten zu nennen. Im Einstiegspreis liegt er damit über dem Tesla, aber deutlich unter Audi und Mercedes.

Die Familienbeziehung zu Volvo kann das Joint-Venture-Produkt nicht leugnen.

Das Logo des E-Autos stilisiert den namensgebenden Nordstern.
Das Wageninnere erinnert mich an die Luxusplätze der ersten Klasse im Flugzeug. Und laufe nicht nur neidisch vorbei, sondern habe auf einmal eine Ahnung, wie sich das anfühlen muss. Die Mittelkonsole ist so riesig und vor allem hoch, dass meine Beifahrerin und ich es uns richtig gemütlich machen können. Es ist genug Platz, um die Arme abzulegen, das iPhone zu laden und Trinkbecher abzustellen. Ja, so lässt sich nicht nur fahren, so ließe es sich auch fliegen.
Es fallen das 11,15 Zoll hohe Touchdisplay auf der Mittelkonsole und die farbigen Sicherheitsgurte auf. Über den Bildschirm lassen sich Fahrprogramme, Musikwünsche und diverse andere Funktionen des Polestar 2 steuern. Es ist das erste Elektrofahrzeug, dessen Software auf dem Betriebssystem Android aufsetzt. Alles einfach und selbsterklärend.
Die Gurte sind gerade für meine modebewussten Beifahrer ein hübsches Extra. Laut Beschreibung sollen die Gurte im selben Goldton wie Bremsen und Ventilkappen sein. Ich würde die Farbe eher als Knallorange bezeichnen. Das ist nicht unbedingt schlechter, aber eben kein Gold. „Was für eine geile Kombi mit den orangefarbenen Gurten“, meint unterdessen die erste Beifahrerin, während sie sich anschnallt. Das Farbenspiel weiß zu begeistern.
Sportlich angehaucht
In den nächsten Tagen merke ich während der Testfahrten vor allem eines: Bis ich und meine Mitfahrer losfahren können, dauert es. Vor Fahrtbeginn sind alle damit beschäftigt, es sich auf ihrem Platz gemütlich zu machen. Lenkrad- und Sitzheizung sowie die ergonomischen Lendenwirbelstützen wollen passgenau eingerichtet werden.
Klarer Vorteil für mich als Fahrerin: Später nörgelt niemand rum, weil er nach 20 Minuten nicht mehr sitzen kann. Ich warte deshalb geduldig und lasse mir derweil die Hände vom Lenkrad wärmen, bevor es endlich losgeht.
Dass ich keinen Motor aufheulen lassen kann, bedeutet nicht, dass der Wagen nichts kann. Mein Testwagen hat zwei Elektromotoren mit einer Gesamtleistung von 300 kW/408 PS, beschleunigt von 0 auf 100 km in 4,7 Sekunden und kann bis zu 205 km/h fahren. Von dieser Geschwindigkeit bekomme ich im Wageninneren nicht viel mit.
Lediglich der Tacho sagt mir, dass ich mit 200 über die Autobahn rase. Der Wagen fährt weiterhin geschmeidig über die A2, nichts ruckelt, nur der Wind pfeift etwas lauter. Man merkt ein bisschen Polestars Vergangenheit als Volvos hauseigener Tuner. Das macht definitiv Spaß.

Die Farbakzente springen ins Auge.

Der Polestar 2 lädt bis zu 150 kw – das ist Tesla-Niveau.
Spätestens nach einer solchen Fahrt muss ich den Polestar wieder aufladen. Der Wagen hat bei einer Batteriekapazität von 78 kWh eine Reichweite von 470 Kilometern, der Normverbrauch liegt laut Hersteller bei 19,3 kWh pro 100 Kilometer. Aber je schneller ich unterwegs bin, desto mehr Ladung frisst der Elektrowagen.
Zum Glück ist nicht nur AC- sondern auch DC-Laden möglich. An der passenden Säule kann ich so bis zu 150 kW laden und muss nicht lange warten. Aktuell ist das sogar auf dem Niveau von Teslas Superchargern. Der CCS-Stecker kostet, wie praktisch bei jedem Hersteller, extra. Serienmäßig sind nur ein sieben Meter langes AC-Kabel für die Steckdose zu Hause und ein 4,5 Meter langes Kabel für öffentliche Ladesäulen dabei. An einer Wallbox mit 11 kW braucht der Polestar 2 entsprechend bis zu zehn Stunden bis 100 Prozent (da die Leistungsabnahme mit vollerem Akku sinkt).
Assistenzsysteme nötig
Ich schließe den Wagen an einer Schnellladesäule in der Nähe an. Hier muss ich mich nicht erst um ein DC-Kabel kümmern, denn an der Säule steckt bereits eins. Das ist praktisch, und das Laden geht schneller als an anderen öffentlichen Säulen in der Umgebung. Ich starte die Ladung um 9.40 Uhr bei 38 Prozent und nutze die Zwischenzeit, um Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Zwei Stunden später nehme ich den Wagen vollgeladen wieder mit. Reichweite: 470 km. Gar nicht mal so schlecht. Die nächste Ladepause brauche ich also erst in ein paar Tagen einzulegen.
Ich verstaue meine Tüten im Kofferraum und parke aus. Das ist gar nicht mal so einfach, denn das Rückfenster im Polestar ist winzig. Klar, das Panoramadach braucht den ganzen Platz und lässt kaum noch Raum für ein Rückfenster. Beim Ausparken hilft mir das allerdings herzlich wenig.

Das Android-System setzt auf Höhe, nicht Breite.

Bis nach hinten reicht der gläserne Himmel – und zu den womöglich goldfarbenen Gurten.
Dafür gleichen die zahlreichen Hilfssysteme die schlechte Sicht wieder aus: Auf dem Display in der Mittelkonsole sehe ich meinen Testwagen und die Umgebung aus der Vogelperspektive. Durch das Anklicken kleiner Kamerasymbole an den Seiten des Fahrzeugs kann ich die Perspektive wechseln und mir nur das Bild der Front- oder Seitenkamera anzeigen. Alles funktioniert super, alles habe ich schon in anderen Testwagen gesehen.
Tatsächlich überrascht bin ich von den Radarsensoren in der Heckstoßstange. Wenn ich aus einer Parkbox rückwärts rausfahren möchte und andere parkende Autos mir die Sicht versperren, erkennen die Sensoren näherkommende Fahrzeuge, Radfahrer oder Fußgänger. Mein Testwagen bremst automatisch ab und warnt mich mit einem Piepsen vor dem Hindernis. Das macht das Ausparken mit dem Schlitten um ein Vielfaches einfacher. Das zu kleine Rückfenster fällt insofern gar nicht mehr auf.
Am Ende der Woche bin ich schon fast traurig, den Wagen wieder abgeben zu müssen. Natürlich brauche ich kein Panoramadachfenster, keine Lenkradheizung und keine 408 PS. Trotzdem habe ich mich an den ganzen Luxus schnell gewöhnt. Wer einmal erste Klasse geflogen ist, möchte danach wahrscheinlich auch nur ungern wieder zurück in die hinteren Reihen. Und tatsächlich gibt der Polestar 2 in seinem Gesamteindruck die Richtung vor, in die sich Elektromobilität bewegen kann – nur anders als der Stern am Himmel nicht als alleiniger Fixpunkt.
Technische Daten
- Fünftürige, fünfsitzige Fließhecklimousine;
- Länge: 4,61 Meter
- Breite: 1,8 Meter
- Höhe: 1,48 Meter
- Radstand: 2,74 Meter
- Batteriekapazität: 78 kWh
- Kofferraumvolumen: 405 – 1.095 Liter; plus vorne 35 Liter
- Antrieb: zwei Elektromotoren, gemeinsame Leistung 300 kW/408
- maximales Drehmoment: 660Nmab 1 U/min
- Allradantrieb, 1-Gang-Getriebe
- 0-100 km/h: 4,7 s, Vmax: 205 km/h,
- Reichweite: 470 km
- Normverbrauch: 19,3 kWh/100 Kilometer
- CO2-Ausstoß: 0 g/km
- Effizienzklasse: A+
- Preis: ab 56.440 Euro
Mehr: Pionier in der Provinz – das Tesla Model 3 im Handelsblatt-Autotest.
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Nun erleben wir, dass China alles daran setzt unsere Wirtschaft mit unfairen Mitteln d. h. mit unsere knowhow zu schwächen. So wie sie schon die Photovoltaikindustrie gekapert haben, werden sie auch unsere Kfz-Industrie und den Maschinenbau "übernehmen" ( Geely ist schon Großaktionär bei Daimler - Kuka gehört ihnen schon.....) und wir d. h. unsere Regierung "kuscht".