VDA-Präsidentin Hildegard Müller im Interview: „Klimawende nicht zum Nulltarif“
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Hildegard Müller im InterviewVDA-Chefin Müller: „Es ruckelt in der Welt und wir sind als Exportland mittendrin“
Müller spricht über die IAA und darüber, wie Auto, Bahn und Fahrrad verzahnt werden. Sie erklärt auch, weshalb ihre Industrie trotz hoher Gewinne Milliardenhilfen des Staates braucht.
Die VDA-Präsidentin eröffnet kommende Woche die IAA in München.
(Foto: dpa)
Die Präsidentin des Autoverbands VDA ist viel unterwegs dieser Tage. Nach Besuchen bei Mitgliedsfirmen in Baden-Württemberg und Niedersachsen hat Hildegard Müller einen Zwischenstopp in Berlin eingelegt, um über die Lage der Industrie und die Automesse IAA zu reden. Die Branchenschau, die Müller am Dienstag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in München eröffnen wird, ist schon heute ein Erfolg für die oberste Lobbyistin. Trotz Corona findet sie statt, um den Autobauern die Möglichkeit zu geben, ihre neuesten Modelle vorzustellen.
Frau Müller, in wenigen Tagen beginnt die Internationale Automobilausstellung, erstmals als „IAA Mobility“. Ist das nicht doppelt gemoppelt? Das Auto steht nach wie vor für Mobilität. Der neue Name zeigt, dass wir das Thema Mobilität in seiner Gesamtheit betrachten. Wir wollen mit allen Gruppen den Dialog über die Zukunft der Mobilität führen. Es ergibt keinen Sinn, dass jeder in seiner Blase denkt, diskutiert und plant: Wir brauchen integriertes Denken und die Diskussion darüber.
In der Zukunft werden demnach weniger Autos auf den Straßen sein, weil die Menschen auf andere Verkehrsträger ausweichen? Wenn Menschen einen intelligenten öffentlichen Nahverkehr oder autonome Systeme nutzen können, muss das Auto nicht immer die erste Wahl sein. In Metropolen etwa sind intelligente Verkehrssteuerung und Carsharing auch eine Lösung. Klar ist doch: Alle Verkehrsteilnehmer brauchen ihren Platz. Fußgänger ebenso wie Radfahrer oder die Autofahrer. Und die Lebensrealitäten von Stadt und Land unterscheiden sich stark.
Wenn alles so integriert sein soll: Wie sieht dann die Zukunft Ihres Verbandes aus? Wir stehen für die Industrie, die Automobile und die dazu notwendigen Komponenten entwickelt und herstellt. Von Reifen bis Software, von Licht bis Motor, von Datenräumen bis Ladeinfrastruktur. Und wir stehen für den Weg zur Klimaneutralität, die wir bis 2050 spätestens erreicht haben wollen – auf der Straße und in der Herstellung. Uns treten Digitalunternehmen bei, aber ein Gesamtverband von Rad bis Zug wollen wir nicht werden.
Warum will sich der Verband nicht öffnen, wenn Mobilität vielfältiger wird? Wir sind gut beschäftigt, die Zukunft des digitalen, klimaneutralen Automobils in Deutschland, Europa und den großen Märkten der Welt zu denken. Mit den anderen tauschen wir uns aus, das ist mir ganz wichtig: Ich will einen offenen Dialog, aber dazu müssen nicht alle anderen Branchen Mitglied bei uns sein.
IAA Mobility
Die Ausstellung wird um neue Mobilitätsträger, Technologien und Start-ups erweitert.
(Foto: dpa)
Eben jene Branchen sind vor allem eines: Wettbewerber. Jede Industrie lobbyiert und buhlt um Fördergeld des Staates. Wozu braucht Ihre Industrie eigentlich die Hilfe des Staates? Die Unternehmen der Autoindustrie investieren die Rekordsumme von 150 Milliarden bis 2025 in E-Mobilität, neue Antriebe und die Digitalisierung. Dieses Geld muss die Industrie erwirtschaften können. Fakt ist: Wenn wir die ambitioniertesten Klimaziele der Welt erreichen wollen, brauchen wir die weltweit besten Standortbedingungen für die Industrie. Ansonsten wandern Unternehmen und damit Arbeitsplätze ab, was weniger Steuereinnahmen und Sozialabgaben bedeutet.
Eine häufig vorgebrachte Drohung ... Die Förderungen sind richtig und auch notwendig, weil der Staat den Unternehmen kurz- und mittelfristige Ziele gesetzt hat, die durch den Markt allein in dem vorgegebenen Zeitrahmen nicht erfüllt werden können. Wir teilen die Idee der Klimaneutralität. Ich würde mir aber eine rein marktgetriebene Entwicklung wünschen. Aber die europäischen Klimaziele bis 2035 für die Autoindustrie schaffen wir nicht nur durch Nachfrage allein – und die dafür notwendige Infrastruktur für Ladesäulen, Ökostrom oder Breitband noch weniger.
Die 150 Milliarden Euro sind weniger als der Gewinn, den allein BMW, Daimler und VW in der Zeit summiert verdienen werden. Warum braucht die Branche so viel Steuergeld für eine lange angekündigte Transformation? Sie reden hier von wenigen Unternehmen, die im Übrigen viele Steuern und Löhne zahlen. Der VDA vertritt über 650 Unternehmen. Die Transformation ist für viele, insbesondere für die Zulieferer, eine große Herausforderung, weil sie abhängig sind vom Verbrennungsmotor. Natürlich wird es leider Unternehmen geben, die den Wandel nicht schaffen. Aber unser Ziel ist es, dass die Gesellschaft und die Beschäftigten die Transformation positiv wahrnehmen und die Chancen darin erkennen.
Aber warum soll denn der Steuerzahler den Kauf eines E-Autos bezahlen? Steuergelder werden aufgewendet, um politisch gewollte Entwicklungen zu unterstützen und zu beschleunigen. Es gibt Förderprogramme für Wissenschaft, Radwege, Digitalisierung der Bildung oder auch reduzierte Steuersätze auf Lebensmittel und Blumen. Klimaschutz ist, darüber besteht zum Glück Konsens in Deutschland, eine der zentralen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben unserer Zeit. Die Förderprämien für E-Autos sind Hilfen für die Verbraucher, um Vertrauen in neue Technologien aufzubauen und jetzt ein Produkt zu kaufen, das im Vergleich zum Verbrenner noch teurer ist.
Der Bund sponsert auch Ladesäulen. Warum? Was die Ladeinfrastruktur angeht: Wir investieren ja selbst in den Aufbau. Aber hier geht es um ein komplexes infrastrukturelles und energiewirtschaftliches System, bei dem etwa auch Energieunternehmen den besseren Zugriff haben.
Die Experten der Deutschen Bank haben ausgerechnet, dass ein E-Auto über den Lebenszyklus mit 20.000 Euro gefördert wird. Da ist doch für die Firmen der Anreiz weg, die Kosten zu reduzieren. Natürlich nicht. Das Elektroauto ist auf dem Weg, ein Massenprodukt zu werden. Anders wird es auch nicht gehen, da wir wettbewerbsfähige Preise für den Export unserer Autos erreichen müssen. Es ist daher gut, dass die Verbraucher für den Marktanlauf Unterstützung erhalten. Auf Dauer werden diese Instrumente nicht benötigt.
Vita Hildegard Müller
Hildegard Müller wurde am 29. Juni 1967 in Rheine geboren. Privat ist die Betriebswirtin im Rheinland tief verwurzelt. Neben ihrem Wohnsitz in Düsseldorf hat sie einen Wohnsitz in Berlin, von dem sie mit dem Auto oder dem Fahrrad zur Arbeit fährt.
Ihre Karriere führte Müller über viele Stationen. Nach dem Jobeinstieg bei der Dresdner Bank wurde sie im Oktober 2002 für die CDU in den Bundestag gewählt. In den Jahren 2005 bis 2008 war sie Staatsministerin im Bundeskanzleramt und damit nah bei Kanzlerin Angela Merkel, mit der sie heute noch eng verbunden ist. Im Anschluss übernahm Müller die Leitung des Energieverbands BDEW; im Mai 2016 wechselte sie als Vorständin zum Versorger Innogy. Seit anderthalb Jahren vertritt sie als VDA-Chefin die Interessen der Autoindustrie in Berlin.
Wie lange wird denn die Unterstützung nötig sein? Mit dem Massenmarkt kommen weitere Technologiesprünge und Skaleneffekte, sodass die Kosten für ein Elektroauto sicher sinken werden – sie werden dann niedriger sein als beim Verbrenner. Dann können die Hilfen wegfallen. Wann genau das sein wird, kann heute niemand sagen, aber die Dynamik ist hoch. Was man aber sagen kann: Die Prämie für E-Autos wirkt, das zeigt sich in den Absatzzahlen. Damit machen immer mehr Menschen Erfahrungen mit Elektromobilität.
Zuletzt wurde viel über den Mangel an Halbleitern geredet, der die Bänder zum Stehen brachte. Die Berater von EY sind indes der Auffassung, dass die Autobauer vom Chipmangel profitieren, weil die Nachfrage größer als das Angebot sei, sie sich damit auf margenstarke Autos konzentrieren und keine Rabatte mehr gewähren müssen. Es ist eine kühne These, dass wir wegen der Chipkrise die Preise für Autos anheben würden. Nach meiner Kenntnis ist dies nicht der Fall. Ich kann nur sagen, dass der Chipmangel die wirtschaftliche Erholung nach Corona ausbremst. Viele Autos können nicht gebaut werden. Der Mangel an Halbleitern trifft auch andere Industrien. Das Problem ist , dass der Markt von wenigen Herstellern dominiert wird.
Pendelt sich das nicht wieder ein? Der Markt kann das nicht alleine richten, da vermehrt wieder Protektionismus um sich greift. Dies sehen wir übrigens auch bei Rohstoffen. Um diese Engpässe zu beseitigen, ist die Politik gefragt. Es ruckelt in der Welt und wir sind als Exportland mittendrin.
Was ist die Lösung? Es geht nur über den Dialog und Handelsabkommen. Es ist falsch, dass wir Ceta und Mercosur – die Abkommen mit Kanada und Südamerika – immer noch nicht abgeschlossen haben. Wir werden auch intensiv mit China reden müssen. Der Markt erholt sich dort aufgrund der massiven Unterstützung des Staates. Die ist gut für chinesische Unternehmen, geht aber oft zulasten anderer.
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(Foto: dpa)
Die Elektrifizierung verändert die Mobilität. Ist aber nicht die Digitalisierung der Fahrzeuge der viel größere Umbruch? Das ist so. Wir sehen im Zuge der Digitalisierung, dass die Grenzen zwischen den Branchen aufbrechen. Wir können neue Formen der Mobilität, neue Geschäftsfelder rund um das Auto und die Logistik entwickeln und das Auto sicherer, effizienter und klimaschonender machen. Mit dem neuen Konzept für die IAA Mobility greifen wir genau diese Themen auf.
Ist denn vor diesem Hintergrund in der Branche der Wille noch da, in den Verbrenner zu investieren? Im Pkw-Bereich hat der Hochlauf der Elektromobilität klar Priorität. Die Werke werden dazu umgerüstet. Noch gibt es aber auch Effizienzpotenziale beim Verbrennungsmotor. Das ist wichtig für viele Märkte weltweit. Und bei den Nutzfahrzeugen sehen wir neben dem E-Antrieb auch Wasserstoff. Eines ist aber auch klar: Wir brauchen auch eine Lösung für die Fahrzeuge, die bereits heute im Einsatz sind. Viele von denen werden im Jahr 2030 und länger noch im Markt sein. Um deren Klimabilanz zu verbessern, braucht es E-Fuels. Bei weltweit 1,5 Milliarden Fahrzeugen mit Verbrenner ist das Potenzial für den Klimaschutz riesig!
Also synthetischen Sprit, der klimafreundlich sein soll. Der aber ist doch sündhaft teuer, weswegen etwa VW-Chef Herbert Diess den Einsatz von E-Fuels im Pkw-Bereich für utopisch hält. Ich sehe derzeit kein alternatives Konzept, wie die jetzt im Einsatz befindlichen Verbrenner – wie gesagt: Wir sprechen nicht über Neuwagen – ihren Beitrag für klimaneutrale Mobilität sonst leisten sollen.
Zur Realität gehört auch, dass Mobilität teurer werden wird, um die Klimaziele zu erreichen. Die Klimawende gibt es nicht zum Nulltarif. Aber wir können Klimaschutz mit Wachstum und Wohlstand zusammen entwickeln. Ansonsten scheitern wir alle gemeinsam an dieser Aufgabe.
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