Nio, Geely, BYD Konkurrenz für Daimler, VW und BMW: Chinesische Elektroautobauer drängen nach Europa

Der chinesische Autobauer Geely will mit dem Elektroauto Polestar 2 den europäischen Markt erobern.
Düsseldorf Die Zeiten, in denen die Exporthoffnungen chinesischer Autohersteller wie Landwind und Brilliance krachend im Crashtest zerschellten, sind vorbei. Stattdessen sichern sich die neuen Elektroauto-Produzenten aus der Volksrepublik Bestnoten wie zuletzt das E-Modell Polestar 2. Die Limousine, hergestellt von den Joint-Venture-Partnern Volvo und Geely, schnitt im ADAC-Test sogar besser ab als der E-Volkswagen ID4.
Diese neue Zuverlässigkeit ist Teil des Plans der chinesischen Staatsführung, das Land zu einem führenden Exporteur von Elektrofahrzeugen zu machen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der auf China spezialisierten Denkfabrik Merics, die dem Handelsblatt vorab vorliegt.
„Europa ist dabei der wichtigste Markt für die chinesischen E-Auto-Exporteure“, sagt Studienautor Gregor Sebastian. Auch dass sich Hersteller wie Polestar, aber auch Great Wall Motors kommende Woche auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in München präsentieren, zeigt deutlich ihre Ambitionen im deutschen Markt.
Bereits jetzt stammt jedes zweite Elektroauto weltweit aus China. Im ersten Halbjahr liefen nach Daten des chinesischen Automobilverbands CAAM eine Million Elektro-Modelle vom Band, doppelt so viele wie im Vorjahr. Ein neuer Rekord. Bis 2028 soll die Zahl auf acht Millionen E-Fahrzeuge pro Jahr steigen, schätzt der Datenanbieter LMC Automotive.
Bislang werden die meisten Fahrzeuge allerdings in China selbst abgesetzt. Mit rund einer Million verkaufter E-Autos im ersten Halbjahr ist das Land der größte Markt der Welt. Aufgrund der hohen Wachstumsraten in den vergangenen Jahren haben sich die lokalen Autobauer auf den Heimatmarkt fokussiert. Allerdings schwächt sich das Wachstum ab, auch weil die Regierung die vormals sehr hohen Kaufprämien für E-Fahrzeuge immer weiter kürzt.
Die Konsolidierung des Marktes dürften nur diejenigen der rund 90 lokalen E-Autobauer überleben, die eine gewisse Größe erreichen und dadurch Skaleneffekte erzielen, so Experte Sebastian. Er hält die Hersteller BYD, Geely, Nio, SAIC und Xpeng für besonders aussichtsreich. Einige davon dürften sich „auch in Europa durchsetzen“, glaubt er.
Deutschland für chinesische Autobauer „hochinteressant“
Als weltweit zweitgrößter und schnell wachsender Absatzmarkt für E-Autos ist Europa für Chinas Hersteller besonders vielversprechend. Für den Markteintritt wählen sie meist Norwegen, weil dort die Ladeinfrastruktur am besten ausgebaut ist. Doch zuletzt gingen bereits neun Prozent der chinesischen E-Auto-Exporte nach Deutschland.
„Norwegen ist nur der Anfang“, betonte auch William Li, Chef des chinesischen E-Auto-Newcomers Nio jüngst in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Das Unternehmen bereite den Einstieg in Europa intensiv vor, „und Deutschland ist hochinteressant für uns“, sagte er. Spätestens Ende 2022 sollen die Fahrzeuge auch hierzulande erhältlich sein.
Bereits seit Mitte 2020 ist das E-Modell Polestar 2 in Deutschland verfügbar. Vertrieben wurde die Limousine zunächst ausschließlich über das Internet. Inzwischen hat das Gemeinschaftsunternehmen aus Geely und Volvo Showrooms in Großstädten wie Hamburg und München eröffnet. Auch auf der IAA stellt sich die Marke vor.
Ebenfalls auf der IAA vertreten ist Great Wall Motors mit seinen E-Automarken Ora im Billigsegment und Wey in der Luxusklasse. Ab Herbst soll ein SUV der Marke Wey in Deutschland vorbestellt werden können.
Die Merics-Studie hat vier Strategien chinesischer Hersteller identifiziert, um europäische Märkte zu erobern: reine Exporte aus chinesischer Produktion, Exporte plus Entwicklungs- oder Designzentrum auf dem Zielmarkt, Produktion auf dem Zielmarkt sowie Übernahme eines lokalen Herstellers.
Geely mit guter Ausgangsposition für Markterfolg in Europa
Auf die „Exporte plus“-Strategie setzt beispielsweise Nio. Das Start-up mit Sitz in Schanghai eröffnete 2015, damals noch unter dem Namen NextEV, sein Designzentrum in München und warb hochkarätige Experten unter anderem bei BMW ab.
Die chinesischen Hersteller Aiways, BAIC, Chery, FAW, Geely und Great Wall Motor haben ebenfalls Design- oder Innovationszentren in Deutschland. Dass das keine Erfolgsgarantie ist, zeigt allerdings das Beispiel Byton. Dessen deutsche Tochter meldete im April Insolvenz an.
Eine gute Ausgangsposition für einen Erfolg in Europa hat der etablierte Hersteller Geely. Seit der Übernahme des schwedischen Herstellers Volvo 2010 hat der Autobauer aus Hangzhou einen Fuß im europäischen Markt. 2017 kaufte sich Geely-Gründer Li Shufu mit 9,7 Prozent bei Daimler ein und ist damit der größte Einzelaktionär in Stuttgart.
„Geelys globaler Kaufrausch wurde von der chinesischen Regierung unterstützt“, schreibt Studienautor Sebastian. Der Konzern nutze das Know-how und die Forschungs- und Entwicklungskapazitäten von Volvo und verfüge über eine europäische Produktion. Gleichzeitig profitiere das Unternehmen von seinem Größenvorteil und kann bei Beschaffung und Produktion die Kosten drücken.

Ab Herbst soll ein SUV der Great-Wall-Marke in Deutschland vorbestellt werden können.
Das zahlt sich aus. Der Plug-in-Hybrid Volvo XC40 war im ersten Halbjahr eines der vier meistverkauften elektrifizierten Modelle in Europa. Nun will das Unternehmen mit der rein elektrischen Luxusmarke Polestar den Kontinent erobern. Auch mit Daimler wird kooperiert: So wird der Smart demnächst in China gebaut, auch eine Zusammenarbeit bei Motoren ist auf dem Weg.
Unterstützt wird die Exportstrategie auch von den jeweiligen Provinzregierungen in China, in deren Region so zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen sollen. Wie weit das gehen kann, wurde 2019 deutlich, als die Stadtregierung von Hefei Nio vor der Insolvenz rettete.
Doch nicht nur die chinesischen Autobauer können von den hochgesteckten Exportzielen der chinesischen Regierung profitieren. „Solange die Produktion in ihrem Hoheitsgebiet stattfindet, interessieren sich die lokalen Regierungen nicht allzu sehr für die Eigentumsverhältnisse ihrer lokalen Champions“, weiß Merics-Experte Sebastian.
Deutsche Hersteller produzieren in China für China und die Welt
Dazu passt, dass Audi in seiner vergangene Woche vorgestellten Strategie bis 2030 betonte, das Angebot der in China produzierten Elektroautos auszuweiten. Nach dem Motto „In China für China“ treibe der Hersteller vor Ort „Innovationen aktiv voran“, sagte China-Chef Werner Eichhorn. Mutterkonzern Volkswagen will sich ebenfalls verstärkt um die Elektrokunden in China kümmern. Auch Unternehmen wie Bosch und Continental, die stark in China vertreten sind, profitieren von der neuen Exportstrategie. Denn bei Newcomern wie Nio liegt der Anteil ausländischer Zulieferer bei 70 Prozent, schätzt Sebastian.
Der deutsche Premiumhersteller BMW wird von der Stadt Shenyang im Nordosten Chinas sogar fast wie ein heimisches Unternehmen umhegt. Denn die Region soll nach den Vorstellungen der Provinzregierung mithilfe von BMW ein bedeutender Exportstandort für die Autoindustrie werden. Dazu passt der Plan, den vollelektrischen iX3 ausschließlich in Shenyang zu produzieren und von dort aus in die Welt zu exportieren.
Als erster ausländischer Hersteller durfte BMW denn auch die Mehrheit an einem Gemeinschaftsunternehmen im Automobilbereich übernehmen. Ab 2022 soll das Joint Venture BMW Brilliance Automotive (BBA) voll in der BMW-Bilanz konsolidiert werden.

Das vollelektrische Modell soll ausschließlich in Shenyang produziert und von dort aus in die Welt exportiert werden.
Das Ende des Joint-Venture-Zwangs für nicht-chinesische Autobauer ist eine erstaunliche Kehrtwende in der chinesischen Industriepolitik. Statt nationale Champions zu schaffen, verfolge die Regierung nun das Ziel, „globale Wertschöpfungsketten anzusiedeln“, heißt es in der Studie. Zumindest vorerst. Experte Sebastian geht davon aus, dass „diese Entscheidung wahrscheinlich nur vorübergehend sein wird“.
Denn auf Dauer wird die chinesische Führung die hohen Marktanteile ausländischer Hersteller auf dem Heimatmarkt, aber auch bei Exporten wohl nicht tolerieren. Zuletzt waren mehr als 90 Prozent der E-Auto-Exporte aus China Fabrikate des US-Herstellers Tesla, der in einer Gigafactory in Schanghai für den Weltmarkt produziert.
Mehr: Nio, Aiways, Xiaopeng – Wie Chinas Elektroauto-Hersteller derzeit Europa erobern
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"Wohlstand auf Chinesisch", Süddeutsche Zeitung, 30.8.2021
Der Artikel ist interessant. Zitat:
" "Wir können einigen Menschen erlauben, zuerst reich zu werden, die dann andere anleiten und ihnen helfen, um gemeinsam reich zu werden", lautet einer der Schlüsselsätze von Staats- und Parteichef Xi Jinping. "Gemeinsam reich werden", der "gemeinsame Wohlstand", auf Chinesisch "gongtong fuyu", darum geht es und auch um die Macht der chinesischen Digitalkonzerne, die die Führung in Peking seit Monaten zurechtstutzt."
Link: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/china-vermoegen-wohlstand-1.5396371