BMW Motorräder: Designchef Ola Stenegard schraubt am Image
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BMW MotorräderDesignchef Ola Stenegard schraubt am Image
Der Schwede Ola Stenegard hat die Motorräder von BMW radikal verändert. Seine Ideen paaren Tradition und Moderne. Der Designchef ist dabei Trendscout, Markenbotschafter und Werbeikone zugleich. Ein Besuch.
Stenegard mit Handelsblatt-Redakteur Christian Schnell.
(Foto: Thomas Einberger für Handelsblatt)
München Himmlischen Beistand gibt es in diesem Schuppen auch. Die heilige Madonna der Beschleunigung („Holy Madonna of Acceleration“) hält die Wacht über der gemütlichen Sitzecke aus schwarzem Leder. Im Herzen trägt sie einen feurigen Motorradkolben, aus den Boxen dröhnt Rockmusik. Einige Holzstufen höher steht ein Mac auf gläsernem Schreibtisch. Arbeit, Hobby und Freizeit liegen hier eng beieinander.
Gelegentlich kommen Fremde vorbei in der dörflichen Idylle nahe dem Münchener Flughafen, sehen Motorräder, Hebebühne und Werkstatt und fragen spontan nach einem Termin für einen Kundendienst. Der Mann mit der Basecap, dem Vollbart, den Ohrringen, der Hornbrille und den vielen Tattoos auf den breiten Unterarmen erklärt ihnen dann freundlich und mit skandinavischem Akzent, dass das hier gar keine öffentliche Werkstatt ist. Er sagt aber auch nicht, um was es sich bei der wilden Mischung von Schrauberschuppen, Partyraum und Arbeitsplatz tatsächlich handelt.
Radikaler Imagewandel durch Stenegard
Ola Stenegard ist bei der Motorradsparte von BMW eine ganz große Nummer. Nur dass der „Head of Vehicle Design“, so sein offizieller Titel, nicht regelmäßig in einem stylischen Büro in der Münchener Zentrale zusammen mit bärtigen Nerds sitzt und dabei neue Skizzen vorantreibt. „Der Ola“, wie sie ihn bei BMW überall nur nennen, ist weit mehr: Trendscout, Aushängeschild eines neuen Markenimages und sogar Schauspieler in den Werbespots der Marke.
Ola Stenegard
„Ich schraubte schon mit sieben Jahren zusammen mit meinem Bruder an Motorrädern.“
Quelle: @argum
Weil er anders ist als all das, wofür die Motorräder von BMW jahrzehntelang standen, stellen sie ihn nun gerne nach vorne. Traditionalisten achteten bis vor wenigen Jahren streng darauf, dass die Historie von mittlerweile über 90 Jahren hoch gehalten wurde. Immerhin baute man in München Motorräder weit vor dem ersten Auto. Ingenieurskunst bei Fahrwerk und Sicherheit stand dabei ganz oben.
Die Japaner konnten ruhig sportlicher, Harley-Davidson cooler oder die Österreicher von KTM jugendlicher wirken - mit einer BMW bestand zumindest immer die Option, an einem verlängerten Wochenende ohne Probleme auch mal bis zum Nordkap und zurück zu fahren. Ohne technische Probleme, mit den neuesten technischen Finessen und ohne schmerzendes Hinterteil.
Ein Image, das sich in den vergangenen Jahren radikal verändert hat – auch dank Ola Stenegard, der vor zwölf Jahren zu BMW kam. Die Münchener bauten erstmals eine Rennmaschine und fuhren der Konkurrenz von Anfang an davon. Die S 1000 RR war Stenegards erstes „Baby“, wie er selbst es nennt.
Auf der anderen Seite der Skala nutzte er die Tradition der Marke für einen gerade aufkeimenden Trend. Junge Leute zwischen 20 und 30, die in der Szene lange Jahre fehlten, entdeckten plötzlich die Freiheit auf zwei Rädern. Weil ihnen aber das Geld fehlte und sie sich ohnehin von den Altvorderen abheben wollten, bauten sie jahrzehntealte Maschinen nach ihren Geschmacksvorstellungen um.
Mit der Flex
Mit den Ideen geht es dann in die Werkstatt an die Umsetzung.
(Foto: Thomas Einberger für Handelsblatt)
Zuerst in Japan und den USA, kurze Zeit später auch in Schweden, Spanien und Frankreich. Eine Szene neben der eigentlichen Szene entstand. Und Stenegard war branchenweit einer der Ersten, der sie überhaupt für voll nahm. Vor allem die Japaner haben es ihm angetan. „Hier sind die Leute komplett offen für neue Trends: Lifestyle, Essen, Motorrad, Jeans“, schwärmt er.
Szene-Festivals wie das „Wheels and Waves“ an Frankreichs Atlantikküste oder das „Glemseck“ nahe Stuttgart zogen plötzlich eine neue Generation von Bikern an. Junge Kerle mit alten umgebauten Maschinen. Und sogar viele junge hübsche Frauen, ebenfalls auf oft doppelt so alten kunstvoll verzierten Kisten. Sie alle trafen sich abends beim Bier zum Open-Air-Kino oder zur Buchlesung.
80 von ihnen verloren sich bei ersten Treffen im Jahr 2012 am Strand in Frankreichs Südwesten. Im vergangenen Jahr waren es schon 10.000. Diesmal im Juni werden es noch mehr sein. Vor allem, weil mittlerweile die Medien weltweit über diese völlig andersartigen Motorradtreffen berichten.
Von Anfang an dabei war Ola Stenegard. Weil er hier einen Trend erkannte. Und eine Zielgruppe, die in ihren Old-School-Klamotten nicht das technisch Perfekte, sondern den Ursprung des Motorradfahrens suchte. Es war die Chance, die er erkannte – für die bis dato im eigenen Saft schmorende Branche, deren Kunden im Schnitt bereits an die 50 Jahre alt waren..
In der bierbäuchige Feierabend-Desperados mit Totenkopf-Emblemen das Gefühl von Freiheit und Abenteuer pflegten. Oder in der Freiberufler mit dickem Bankkonto beim Harley-Händler den kompletten Ausstattungskatalog ankreuzten, was den Preis für ein Freizeitgerät dann locker weit jenseits der 20.000 Euro katapultierte.
Szene-Treff Wheels & Waves
Im Jahr 2012 trafen sich erstmals in Biarritz an der französischen Atlantikküste Motorradfahrer, die anders waren, als das, was bis dato auf den Zweirädern unterwegs war: Junge, gebildete und gut aussehende Männer und auch Frauen waren auf alten Motorrädern in Second Hand-Klamotten unterwegs. Rasch wuchs die Szene und expandierte rund um den Globus, von Japan bis nach Südamerika.
Der bekannteste Treff in Deutschland wird Anfang September das Festival Glemseck 101 nahe Leonberg sein. Zudem findet Wheels & Waves vom 13. bis 16. Juni in Biarritz statt - wohl mit mehr als 10.000 Besuchern.
„Die jungen Leute sind doch davon völlig überfordert“, stellt sich Stenegard eindeutig auf die Seite derer, die das bewusst so nicht mehr wollen. Die neue Szene ist anders. Und Stenegard war schnell ein Teil davon. BMW war der erste Hersteller, der mit eigenem Stand in Biarritz vertreten war. Dort entstand auch die Idee, ein modernes Motorrad im „Heritage-Look“ zu entwickeln. Eine besondere Herausforderung, wollte man doch auch den kritischen Blicken der Szene auf ihren umgebauten 70er- und 80er-Jahre Retrobikes standhalten. Die Gefahr war groß, sich damit gehörig zu blamieren.
Beruflicher Weg war früh klar
Stenegard wagte den Spagat. Und landete einen Volltreffer. Die RnineT, eine Reminiszenz an den Klassiker R 90 aus den siebziger Jahren, schlug vor über zwei Jahren dermaßen ein, dass potenzielle Käufer bei der Neubestellung auch noch heutzutage monatelang bis zur Auslieferung warten müssen.
Stenegard brach unterdessen mit einer weiteren Tradition in München. Galt es unter Anhängern der Marke in früheren Jahren als das Gesetz der Gruppe, die Maschine in möglichst unverfälschtem Originalzustand zu belassen, lud er die neue Szene quasi dazu ein, jetzt so viel wie möglich zu verändern. Zwar findet sich in Gebrauchtanzeigen von BMW-Motorrädern immer noch häufig das Wort „unverbastelt“, auch wenn der Duden diesen Begriff nicht aufführt. Die Kenner wissen aber was gemeint ist. Stenegard auch. Es ist die alte Welt, die weiterlebt und das auch soll: „Bei uns sind mittlerweile beide Wege möglich“, versucht er zu vermitteln.
Schon früh war Stenegards beruflicher Weg vorgegeben, doch vom Bauernhof auf der schwedischen Insel Gotland bis zum obersten Motorrad-Designer bei BMW in München war es dann doch kein ganz direkter Weg. „Meine Mutter zeichnete sehr gut. Und ich selbst schraubte schon mit sieben Jahren zusammen mit meinem Bruder an Motorrädern“, erinnert sich der 45-Jährige an die Zeit in den siebziger Jahren im hohen Norden.
Wobei der Begriff Motorrad dabei aus heutiger Sicht reichlich übertrieben wirkt. Jeder Bauernhof in Schweden hat schließlich mehrere Kettensägen in der Scheune. Weil Platz reichlich vorhanden war, wurde auch nichts weggeworfen. Selbst wenn die Maschinen nicht mehr richtig funktionierten. Für den siebenjährigen Ola ein unglaublicher Schatz, enthielten sie doch einen Zweitaktmotor mit 250 Kubikzentimetern. Den in ein Fahrrad eingebaut und mit einer Welle zur Achse verbunden, schon war das Motorrad fertig.
Seit 2003 ist er nun in München bei BMW. Deutsch hat er erst hier gelernt, mit „saucool“ auch gleich ein Lieblingswort gefunden. Vieles sei hier so, der Job, das Umfeld, die Richtung. Deswegen benutze er das Wort auch so oft.
Leben auf dem Bauernhof
Einzig mit der deutschen Mentalität hat er gelegentlich noch seine Probleme. Die Doppelhaushälfte, in der die fünfköpfige Familie einst lebte, hat er längst wieder aufgegeben. Die Nachbarn hätten sich beschwert, wenn er am Sonntag in der Garage mit dem Winkelschleifer hantiert hat, berichtet er. In der Weite einer schwedischen Insel habe das nie jemanden gestört.
Der Designer
Am Schreibtisch entstehen die ersten Ideen.
(Foto: Thomas Einberger für Handelsblatt)
Frau Stenegard lebt jetzt mit den zwei Jungs und dem Mädchen im Alter von acht, zwölf und sechszehn Jahren wieder auf Gotland, auf einem Bauernhof mit Pferden und 15 Hektar Land. Und Ola fliegt alle zwei Wochen hoch. Weil er ohnehin ständig quer über den Globus jettet, ist das quasi Routine. 36 Bordkarten hat er im vergangenen Jahr irgendwann innerhalb von sechs Wochen gezählt. Fast alle Kontinente waren dabei, ist die neue Szene doch mittlerweile überall anzutreffen, nur eben in anderen Ausprägungen. Daraus gilt es eine Melange an Motorrädern zu kreieren, die mit dem hohen Anspruch des Hauses BMW zusammenpasst. Und die natürlich hier ein neues Publikum erreicht.
Ist er in München, dann schauen am Abend die Kollegen mit ihren Maschinen bei seinem Schuppen im Umland vorbei. Es wird geschraubt, gedengelt und geflext, dabei gefachsimpelt, Neues ausprobiert, ein Bier getrunken und Rockmusik gehört. Über zu viel Lärm beschwert sich hier in der Nähe des Flughafens niemand. Direkt hinter dem Schuppen liegt der Friedhof. Und über allem wacht ohnehin die heilige Madonna der Beschleunigung.
Die Meilensteine der Konzerngeschichte
7. März 1916
1 von 15
Die Bayerischen Flugzeugwerke werden in München gegründet.
(Foto: BMW)
1922
2 von 15
Das Unternehmen wird in Bayerische Motorenwerke (BMW) umbenannt. Hier das Werk Milbertshofen in den 1920er-Jahren.
(Foto: BMW)
1923
3 von 15
Das Unternehmen baut sein erstes Motorrad, das R32.
(Foto: BMW)
1928/1929
4 von 15
BMW übernimmt die Fahrzeugwerke in Eisenach und baut sein erstes Auto. Der Dixi entsteht in Lizenz des englischen Autobauers Austin.
(Foto: BMW)
1932
5 von 15
BMW entwickelt den 303 – mit der seither charakteristischen Niere als Kühlergrill.
BMW baut Motoren für die Luftwaffe und beschäftigt rund 25.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Nach Kriegsende verliert das Unternehmen das Werk Eisenach.
(Foto: BMW)
1952
7 von 15
Erstes Nachkriegsauto ist 1952 der große „Barockengel“ 501, 1955 folgt die winzige Isetta.