Harley Davidson Sportster 48 im Test: Wer cool sein will, muss leiden
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Harley Davidson Sportster 48 im TestWer cool sein will, muss leiden
Wer Harley-Davidson kennt, und weiß, was einen bei diesen Oldtimern ab Werk erwartet, wird mit der Sportster Forty-Eight gut bedient. Wer den Kult um die Marke nicht versteht, dem bringt auch dieses Retro-Bike nichts.
Die Hard Candy Custom-Lackierung des Peanut-Tanks ist in verschiedenen Fabtönen erhältlich. Der Preis für die XL1200X, wie die Sportster Forty-Eight auch heißt, liegt bei 11.275 Euro.
(Foto: PR)
Düsseldorf Glimmerlack, glänzender Chrom und viel mattes Schwarz, dazu fette Speichenfelgen mit einer Bereifung, wie aus den 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und, natürlich, ein satt blubbernder Auspuffsound. Diese Mischung verfehlt ihre Wirkung nicht: Einladend cool, diese kleine Harley! Ein Retro-Bike, wie es viele Motorrad-Fans gerne in ihrer Einfahrt stehen hätten.
Die Sportster Forty-Eight, wie die XL1200X auch heißt, wendet sich mit ihrer schmalen Silhouette, vergleichsweise wenig Leistung aus 1.200 ccm Hubraum und vielen optischen Effekten sowie extrem niedriger Sitzposition an Harley-Einsteiger und Frauen.
Slammed Look oder Bobber nennt der Amerikaner das, was Harley-Davidson da auf die typische, fette Scorcher-Bereifung gestellt hat. Die Forty-Eight wirkt auf nette Art zusammengestaucht. Das ganze Bike ist optisch außer dem prominent hoch platzierten Tank total retro und reduziert. Alles ist extrem niedrig, tiefergelegt, kompakt – eben das Gegenteil der Bezeichnung XL, eher wie Klamottengröße XS.
Den bereits 1948 – daher der Modellname Forty-Eight – eingeführten „Peanut“-Tank mit einem schlichten Chromdeckel zu verschrauben, wohlgemerkt nicht zu verschließen, könnten auch Benzindiebe begrüßenswert finden. Allerdings ist hinter der wunderbar lackierten Oberfläche mit ihren schillernden Metall-Flakes nicht viel zu holen: Im besten Fall sind es 7,9 Liter Benzin. Hat der Fahrer die Sportster seit dem letzten Tanken mehr als 100 km bewegt, gluckern höchstens noch zwei Liter Reserve.
Man kann es dennoch nicht unmodern nennen, dieses Bike, das Harley seit rund vier Jahren am Start hat, und das so bewusst mit der Tradition spielt. Elektrischer Starter, Keyless-Go-Schlüssel, ABS, Riemenantrieb, Benzineinspritzung, Alarmanlage, elektronische Drehzahl und Ganganzeige, sogar ein paar Info- und Lichtspielereien sind möglich. Das ist alles auf der Höhe der Zeit. Und mehr, als in einem echten Retro-Bike drin sein müsste.
Harley verlangt im Gegenzug den Käufern einiges ab, das weit über den Kaufpreis (von 11.275 Euro) hinausgeht: Der auf den ersten Blick großzügig geschneiderte Solositz lässt es nicht wirklich zu, Hintern und Steiß zu entlasten.
Und das wäre zwingend nötig, denn die Sitzhaltung ist eine Zumutung. Auf dem rüttelnden Folterstuhl länger als eine halbe Stunde durchzuhalten nur unter Schmerzen möglich. Die weit vorne angebrachten Fußrasten und die ausgeformte Sitzschale erlauben genau eine Körperhaltung. Bewegung und damit Entlastung gut durchgerüttelter Körperteile haben die Techniker in Milwaukee nicht vorgesehen. Angesichts von durchschnittlichem Alter, Gewicht und Sportlichkeit der typischen Harley-Zielgruppe sag ich mal: Gewagter Ansatz.
Zumal die hintere Federung, klassisch verchromt, auf ein Minimum beschränkt wurde. Auf Straßen zweiter und dritter Kategorie rüttelt es so ackerfurchenmäßig, dass Gebissträger um ihre Dritten bangen müssen. Bahnübergänge und Schlaglöcher umfährt man am besten weiträumig, sie schlagen sonst auf die Bandscheiben durch.
Ein fettes Scorcher-Vorderrad: wunderschöne Optik in Kombination mit schwarz glanzlackierten Felgen und Edelstahlspeichen. Gutes Einlenkverhalten, easy Handling im Stadtverkehr.
(Foto: Frank G. Heide)
Der Lenker sieht – wie viele Details an der Maschine – toll aus, könnte aber etwas breiter und etwas weiter nach hinten gekröpft sein. So macht man zwangsläufig einen Buckelrücken, weil der Hintern extrem tief und weit hinten in der Maschine sitzt, der Oberkörper aber nach vorne muss.
Gleichzeitig ruhen die Füße auf hoch und weit nach vorn verlegten Fußrasten. Eine orthopädisch bedenkliche Haltung, die einen unschönen Nebeneffekt hat: Die stets mit lautem Klonk rastende Gangschaltung und die recht schwer zu dosierende Fußbremse zu bedienen, das sind jedesmal echte Willens- und kleine Kraftakte.
Das Fahrgefühl ist nicht weniger mechanisch-individuell: Dicke Pneus vorn und hinten wirken im Stand cool, rollen mit Drahtspeichenfelgen aber gefühlt holprig ab.
Auf mittelprächtigem Stadt-Asphalt und bei nur 40 km/h stellt sich ein Traktorgefühl ein, und als Nicht-Harley-Kenner denkt man; Respekt, was die sich trauen. Und damit durchkommen. Die Zielgruppe steht offenbar auf Selbstquälerisches. Auf der anderen Seite: Der Geradeauslauf ist OK, und im Stadtverkehr ist die 260 Kilo schwere Fuhre erstaunlich leicht zu dirigieren.
Ungewöhnlich Individuelles findet sich vorn: Der zeitgemäße Startknopf hilft dem Fahrer, cool rüberzukommen. Denn was ist uncooler, als Helm und Handschuhe überzustreifen, und zu merken, dass der Zündschlüssel noch in der engen Hosentasche steckt? Bei der Sportster Forty-Eight ist das egal, sie hat – gar nicht retro – ein Keyless-Go-System.
Kurze Harley-Fahrer-Typologie
In seinem Aufsatz "Magie einer Marke" greift der Hamburger Soziologe Kai-Uwe Hellmann eine eingängige Typisierung verschiedener Gruppen von Harley-Davidson-Fahrern auf, von der leider nicht belegt ist, aus welcher Quelle sie stammt. Unterhaltsam und zutreffend ist ist allemal, auch wenn es einigen Harley-Fahrern nicht gefallen wird ...
MOPS steht für „mom-and-pops-bikers“: Paare, die ihre Harley als normales Transportmittel benutzen.
RUBS sind „Rich Urban Bikers“: vorwiegend Männer, die sich mit Blick auf ihr fortgeschrittenes Alter und vor dem Hintergrund ihres beruflichen Erfolgs (Anwälte, Broker, Ärzte etc.) eine Harley (problemlos) leisten (können), um das Lebensgefühl der Teenager und Outlaws nochmals in sich aufleben zu lassen.
SEWERS steht für „Suburban Weekend Riders“: Vorstadtbewohner, die unter der Woche ein ganz normales Leben führen, in den weitverzweigten „suburbs“ mit den vielen gleich aussehenden Einfamilienhäusern wohnen und zum Wochenende ihre Harley aus der Garage holen, um eine kleine Spritztour zum nächsten Harley-Treffpunkt zu machen.
„Retired Idiots On Tour”: zumeist ältere Personen, die ihren verdienten Ruhestand dazu nutzen, ihre Freizeit und ihre finanzielle Abgesichertheit zu genießen, indem sie sich eine Harley kaufen und längere Überlandfahrten machen.
MUGWUMPS („My Ugly Goldwing Was Upsetting My Peers”): ehemalige Fahrer einer Honda Goldwing, deren Behäbigkeit und betuliches Image im Bekanntenkreis auf wenig Gegenliebe gestoßen ist, weshalb sie sich zu einem Markenwechsel genötigt sahen.
„Aspiring Hardass Bikers”: Vermutlich handelt es sich hierbei um Harley-Fahrer, die vorgeben, besonders lange Fahrten übers Land zu unternehmen, mit den entsprechenden Folgen fürs eigene Gesäß.
„Bought A Sportser, Therefore a Radical Dude”: Diese Bezeichnung betrifft das prätentiöse Gehabe mancher Harley-Fahrer, die sich durch den Besitz einer solchen Maschine im antibürgerlichen Image der Harley-Kultur sonnen.
„I got the look, Own one Soon”: Personen, die zwar gerne eine Harley hätten, sich aber keine leisten können und sich statt dessen durch entsprechende Kleidungsstücke und die zugehörigen Accessoires schmücken, um den Anschein von Harley-Besitz und H.O.G.-Zugehörigkeit zu erwecken; siehe auch HOOTS ...
„Have one Ordered, True Story”: HOOTS sind den IGLOOS sehr ähnlich, nur begnügen diese sich mit der nur vorgetäuschten Tatsache, dass sie demnächst eine Harley besitzen werden, deren Bestellung schon erfolgt ist.
Außerdem hat sie Spiegel, die bewusst unter dem Lenker montiert wurden. Das sieht nach coolem Customizing aus, und greift ein bekanntes Problem vieler Motorräder auf: Der Fahrer sieht im Rückspiegel oft mehr von seinen Ellenbogen als vom Verkehr. Nicht so bei der Forty-Eight, da sieht man im Rückspiegel hauptsächlich die Unterseite von Händen und Unterarmen sowie seine Oberschenkel.
80 km/h im vierten Gang und 100 bis 120 km/h im fünften (und damit letzten) Gang scheinen ideale Geschwindigkeiten für das luftgekühlte 68 PS-Triebwerk zu sein. Kein Problem, wenn man allein auf der Landstraße ist. Für die Autobahn heißt das aber: rechte Spur ist erste Wahl, hin und wieder mal einen Brummi überholen, viel mehr ist nicht drin.
Wer 160 km/h schafft, fühlt sich, als lache er dem Sensenmann frech ins Antlitz.
Will man die Fahrspur ordnungsgemäß wechseln, also mit Blinker, lernt man eine weitere Harley-Entwicklung kennen, die andere Hersteller längst wieder verbannt haben: Den einzelnen Blinkknopf, rechts und links am Lenker, jeweils mit dem Daumen zu bedienen. Die Schalter sind schön groß und auch mit Handschuhen gut zu bedienen.
Man kann sie manuell ausschalten, die Maschine macht das aber auch automatisch, und zwar über einen Schräglagensensor gesteuert, was in der Praxis gut funktioniert. Grundsätzlich haben wir aber Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Anordnung: Denn wer rechts blinken will, muss seine Handstellung am Gasgriff, und damit zwangsläufig die Geschwindigkeit verändern.
Die Schokoladenseite: Der Peanut-Tank wurde schon 1948 verbaut, daher die Namensbezeichnung Forty-Eight. Neu ist dessen Lackierung namens Hard Candy Custom, mit besonders großem Metallglitter und extra vielen Schichten Klarlack. Leider fasst der Behälter nur 7,9 Liter Sprit.
(Foto: Frank G. Heide)
Aber so sind sie halt in Milwaukee. Eigenwillig, unorthodox, luftgekühlt, gut durchgerüttelt. Und weil dieses Prinzip seit 110 Jahren erfolgreich ist, werden echte Harley-Davidson-Fans auch die meisten der genannten Kritikpunkte als „liebenswerten Eigenheiten“ abtun. Und sogar ein bisschen stolz auf sich selbst sein, weil sie das alles so cool aushalten.
Damit das so bleibt, bitte immer schön auf die Tankanzeige achten: Die Reserveanzeige leuchtet nach sechs bis sieben Liter Verbrauch auf, das sind rund 100 Kilometer. Und der Rest ist schneller weg, als einem lieb ist. Aber wer möchte schon eine fette Harley schieben? Die wiegt trocken immer noch 251 Kilo.
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