Acatech-Chef Henning Kagermann „Innovation läuft am besten in der Krise“

Der Ex-SAP-Chef ist Präsident der deutschen Akademie der Technikwissenschaften Acatech sowie Internationaler Repräsentant und Berater der Plattform Industrie 4.0.
Sind Sie zufrieden mit der bisherigen Arbeit der Plattform Industrie 4.0?
Ja, der Schulterschluss zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und Gewerkschaften war wichtig. Aber nachdem die Prozesse der Zusammenarbeit aufgesetzt und gemeinsam Konzepte für technischen Standards zur Übertragung von Daten erarbeitet wurden, müssen wir uns jetzt der Phase II widmen: der Umsetzung von Industrie 4.0 in der Fläche, dazu gehört etwa die Beschäftigung mit Schlüsselthemen für die Mittelständler, wie IT-Sicherheit und neue Geschäftsmodelle. Wir müssen uns auch den gesellschaftspolitischen Debatten um selbstlernende Systeme oder die Zukunft der Arbeit stellen.
Die Bundesregierung will einen neuen Ordnungsrahmen für Plattformen. Sehen Sie die Gefahr, dass nun neue Geschäftsmodelle abgewürgt werden?
Wir befinden uns noch in einer Experimentierphase, da müssen wir mit Regulierung umsichtig sein, damit wir nicht die Regulierung der alten Welt in die neue Welt bringen.
Sehen Sie überhaupt Bedarf an neuen Regeln?
Ja, in vielen Bereichen, insbesondere bei den Daten. Daten sind der Rohstoff des 21 Jahrhunderts. Daten haben einen Wert und diejenigen, die die Daten erzeugen und den Wert erkennen, die wollen auch Geld verdienen. Man muss also abwägen, wo man das Eigentum an Daten schützt und wo Daten der Gemeinschaft dienen. Dieses Dilemma ist im Bereich der Gesundheit besonders offensichtlich.
Wenn die Daten von Patienten dazu dienen könnten, eine Krankheit besser zu erforschen, sollten sie dann der Forschung zur Verfügung gestellt werden?
Ja, wenn dadurch Hunderten Menschen geholfen werden kann, dann übertrifft – einen angemessenen Schutz der Privatheit vorausgesetzt – der Wert für die Gemeinschaft das Eigeninteresse. Das muss die Gesellschaft aber jetzt aushandeln. Und dann muss der Gesetzgeber vielleicht auch regulativ eingreifen.
Gilt das auch für Industrie 4.0? Wem sollten die Daten gehören, die etwa bei Prozessen entstehen - dem Unternehmen, das die Maschine gebaut hat, oder dem, das die Maschine nutzt?
Da braucht es keine Gesetze, das wird man über die Verträge regeln, weil in dem Bereich Unternehmen mit Unternehmen verhandeln. Es gibt keinen Endverbraucher, der besonders geschützt werden muss. Wichtiger bei Industrie 4.0 ist die Zukunft der Arbeitsplätze.
Viele Menschen befürchten, dass durch die Digitalisierung Arbeitsplätze verloren gehen. Können Sie das verstehen?
Dieser Punkt ist bisher bei all meinen Reisen im Ausland immer hoch gekommen, es ist also kein deutsches Thema. Ich bin da aber ein Optimist. Wichtig ist, dass wir die Digitalisierung gestalten, dann werden durch Wachstum neue Arbeitsplätze entstehen. Gefährlich wird es nur, wenn wir zurückfallen, denn es trifft immer die Langsamen.
Wie ist die deutsche Wirtschaft bei der Digitalisierung der Arbeit aufgestellt?
Die großen Firmen arbeiten mit Hochdruck daran. Sie haben erkannt, dass sie sich wandeln müssen und dazu gehört auch eine entsprechende Weiterqualifizierung ihrer Mitarbeiter.
Wie sieht es bei den Mittelständlern aus?
Das Bewusstsein hat sich verbessert. Trotzdem sind die Zahlen nicht gut genug und die Zeit geht ins Land. Es muss da mehr Gas gegeben werden. Die Plattform Industrie 4.0 wird mehr Projekte anstoßen und noch stärker mit den Mittelständlern reden, was ihnen fehlt und dann auf die spezifischen Bedarfe eingehen. Ich habe die große Sorge, dass zu viele kleinere Unternehmen sagen, "weiter so" ist die richtige Strategie. Der Wirtschaft geht es ja gerade auch so gut. Innovation läuft am besten in der Krise.
Im vergangenen Jahr ist die Diskussion darüber entbrannt, ob man die deutschen Unternehmen, die gut sind in Zukunftstechnologien, nicht besser vor Übernahmen aus dem Ausland schützen muss. Sehen Sie da Bedarf?
Wenn es die einzige Firma in einer Schlüsselindustrie ist, dann ist es Aufgabe der Bundesregierung, da aufzupassen. In vielen Bereichen ist das aber nicht der Fall.
Gibt es dafür schon ausreichende Instrumente?
Ja, die Gesetze reichen aus. Man muss aufpassen mit neuen Gesetzen, die die Investitionstätigkeiten stark beschneiden würden. Man sollte zunächst versuchen, anderen Ländern in bilateralen Gesprächen die roten Linien aufzuzeigen, ohne neue Gesetze.
Herr Kagermann, vielen Dank für das Gespräch.
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