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AfD-Vordenker Marc Jongen Sloterdijk-Schüler auf Abwegen

Marc Jongen, der einst bei Sloterdijk promovierte, gilt als Chefideologe der AfD. Seinetwegen rückte Vizekanzler Gabriel den Philosophen in die Nähe der Rechtspopulisten. Was treibt ihn an?
14.07.2016 - 20:41 Uhr Kommentieren
Sloterdijk: „Mein akademisch bislang unauffälliger ‚Schüler‘ setzt sich seit einiger Zeit als ‚Vordenker‘ der AfD in Szene – meiner Empfehlung ungeachtet, die Partei so bald wie möglich zu verlassen.“ Quelle: picture alliance/dpa
Marc Jongen, Alternative für Deutschland (AfD)

Sloterdijk: „Mein akademisch bislang unauffälliger ‚Schüler‘ setzt sich seit einiger Zeit als ‚Vordenker‘ der AfD in Szene – meiner Empfehlung ungeachtet, die Partei so bald wie möglich zu verlassen.“

(Foto: picture alliance/dpa)

Parteiphilosoph, AfD-Vordenker, Chefideologe – die Begriffe, mit denen Marc Jongen wahlweise betitelt wird, hört er selbst nicht so gern. „Ich sehe mich als intellektuellen Vertreter meiner Partei“, erklärt er im Gespräch.

Doch damit redet er seine Rolle in der „Alternative für Deutschland“ zu klein. Jongen, Jahrgang 1968, sitzt zwar in keinem Parlament, ist aber als Mitglied der Programmkommission für die Leitplanken der Bundespartei mitverantwortlich. In Baden-Württemberg ist er zudem stellvertretender Sprecher der AfD – und schielt auf ein Bundestagsmandat für 2017.

Noch ist Politik offiziell nur sein Nebenberuf: Jongen ist seit 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung. Er arbeitet in der Verwaltung und lehrt Philosophie. Sein Seminar vergangenes Semester: „Klassiker der Ästhetik“. Viele Jahre war Jongen auch Assistent des ehemaligen Uni-Rektors: Peter Sloterdijk. Er promovierte bei seinem wissenschaftlichen Vorbild und hielt Dutzende Lehrveranstaltungen mit seinem Doktorvater. Bis 2013 – da trat Jongen in die AfD ein.

Im Handelsblatt-Essay distanziert sich Sloterdijk nun von seinem einstigen Schüler, aber auch dessen Partei. Nicht zum ersten Mal. Jongen setze sich als „Vordenker“ in Szene, obwohl Sloterdijk ihm geraten hatte, die AfD so schnell wie möglich zu verlassen. Diese nennt er eine „Unmöglichkeitspartei“ für Frustrierte und wehrt sich vehement gegen die Vorwürfe, selbst Stichwortgeber für die Rechtspopulisten zu sein.

In einem Gastbeitrag für den „Spiegel“ hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel Sloterdijk jüngst einen „rechten Ideologielieferanten“ genannt und dabei auf die Verbindung zu Jongen hingewiesen. Aus Sloterdijks Seminar komme „der smarte Ideologe der AfD, der schafspelzweich darüber philosophiert, warum die amtierende Bundesregierung die Deutschen zu ‚Knechten von Einwanderern‘ mache“, schrieb Gabriel.

Smart ist Jongen allemal. Er gibt den wissenschaftlichen Pragmatiker, redet wohlüberlegt, seine Thesen begründet er philosophisch. Damit hebt er den AfD-typischen Populismus auf eine intellektuelle Ebene.

Doch im inhaltlichen Kern gibt es oft wenig Unterschiede zu den Phrasen von Parteichefin Frauke Petry oder den Entgleisungen des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke. Ende März warnte Jongen etwa im „Deutschlandradio Kultur“ davor, dass sich die Bevölkerung in Deutschland durch den Zustrom der Flüchtlinge „völlig austauscht“. An gleicher Stelle dozierte er Wochen später über den Zorn, der „in den unteren Registern des Volkes hochkocht“ und über den man sich angesichts der „Überschwemmung“ von Einwanderern nicht wundern müsse. Im Mai beschwor er im Interview mit der „Zeit“ den Verlust der deutschen Sprache und des deutschen Staates herauf, in der Schweizer „Weltwoche“ warb er für eine „vertiefte Besinnung auf das ‚Wir‘“ – sonst würde sich Deutschland in der Flüchtlingskrise „selbst verflüchtigen“.

Jongens politisches Erweckungserlebnis

Diesem „Wir“ gehört Jongen indes erst seit 2011 an, damals erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft. Geboren ist er in Meran, Südtirol. Die Mutter ist Italienerin, der Vater Holländer. „Deutsch ist meine Muttersprache“, betont er. „Im Jahr 1999 bin ich für ein Doktoratsstudium nach Deutschland gekommen, irgendwann will man dann auch richtig dazugehören.“ Und sein politisches Erweckungserlebnis? „Die Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm im Bundestag 2012.“ Die Demokratie war für ihn damals nur noch Fassade. „Das Finanzkapital zieht die Fäden, die Politiker tanzen danach“, dachte er – und beschloss, in die Politik zu gehen. Die größten Schnittmengen sah er mit der AfD. Jongen trat in die Partei ein, als es den Landesverband im Ländle noch gar nicht gab. Er kandidierte 2013 für den Bundestag – erfolglos. Ein Jahr später verpasste er den Einzug ins EU-Parlament nur knapp: Sieben AfD-Kandidaten kamen rein, er stand auf Listenplatz acht.

An Profil gewonnen hat Jongen zuletzt im Streit um die Antisemitismus-Vorwürfe gegen den baden-württembergischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon. „Hier schreibt sich jemand in die Tradition antisemitischer Hetzliteratur“, erklärte er in einem Gastbeitrag der „Jungen Freiheit“. Die AfD dürfe die Aussagen Gedeons nicht als Teil ihres Meinungsspektrums akzeptieren. Nachdem sich die Fraktion bei dem Thema zerstritt und aufspaltete, leitete Landeschef Jörg Meuthen nun ein Parteiausschlussverfahren ein.

Auch ein Erfolg für Jongen. Er will, dass die AfD in dieser Frage mehr Haltung zeigt, sich vom Rechtsextremismus abgrenzt. „Wir brauchen einen offenen und ehrlichen Umgang mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte“, sagt er. Jongen glaubt, dass die Partei sonst nicht mehr ernst genommen wird, wenn es um seriöse Politikfelder geht.

Eine Seriosität, die der Philosoph sich auch selbst gern anheften will. Denn: An seiner Hochschule wird‘s allmählich eng für ihn. Als das ganze Ausmaß seiner politischen Aktivität öffentlich wurde, forderten Kollegen Jongens Absetzung, Studenten störten seine Seminare. Klar ist: In der Wissenschaft sieht Jongen seine Zukunft nicht mehr. „Wer sich zur AfD bekennt, wird nirgendwo in Deutschland eine Professur bekommen“, behauptet er. In der Politik könne er gerade sowieso mehr bewegen.

Derzeit schreibt er an einer „psychopolitischen Gegenwartsdeutung“, wie er es nennt. Darin will Jongen die krisenhaften Umbrüche unserer Zeit durchleuchten. Nicht im Parteiauftrag, wohlgemerkt. Er möchte auf sich als Person aufmerksam machen, will in Deutschland gern als konservativer Vordenker wahrgenommen werden.

Mit seinem geistigen Vorbild Sloterdijk will er indes nicht brechen: „Dass Peter Sloterdijk die AfD ablehnt, muss ich akzeptieren“, sagt Jongen. „Angesichts des Bildes, das die Partei gegenwärtig abgibt, kann ich das sogar nachvollziehen.“ Das persönliche Verhältnis sei dadurch natürlich belastet. Philosophisch könne es aber nie zu einem Bruch kommen: „Dafür habe ich zu viel von ihm gelernt“, sagt Jongen. „Und bin ihm dafür auch viel zu dankbar.“

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