Alterssicherung Zusatzvorsorge, Bürgerversicherung, Rentenniveau: Wo die Ampel zusammenfinden kann

Die Rente dürfte bei etwaigen Koalitionsverhandlungen mit Grünen und Liberalen kein unlösbares Problem sein.
Berlin SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz verspricht „ein würdiges Leben im Alter“ – und hat dabei vor allem ein stabiles gesetzliches Rentenniveau im Blick. FDP-Chef Christian Lindner fordert ein „neues Denken“ und will die Alterssicherung mit einer Aktienrente zukunftsfest machen. Und die Grünen machen sich für eine Garantierente stark, um Altersarmut entgegenzuwirken.
Auf den ersten Blick liegen teils Welten vor allem zwischen den rentenpolitischen Plänen von SPD und Grünen auf der einen und FDP auf der anderen Seite. Bei näherem Hinsehen lassen sich aber durchaus Gemeinsamkeiten erkennen, die eine tragfähige Basis für eine Dreierkoalition sein könnten.
„Die Ampel muss vor allem mit viel Schwung die Mischung aus Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung neu austarieren“, sagt Martin Werding, der an der Universität Bochum den Lehrstuhl für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen innehat. Und bei der ergänzenden Vorsorge passten die Konzepte der Parteien ganz gut zusammen.
So will die FDP mit der Aktienrente eine kapitalgedeckte Säule innerhalb der gesetzlichen Rente aufbauen. Die Grünen plädieren für einen Bürgerfonds als Ergänzung. Nach SPD-Vorstellungen sollen Bürger freiwillig Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Versicherung leisten und zusätzlich mit einem öffentlich verwalteten Standardprodukt privat vorsorgen können.
Beim Aufbau einer stärkeren Kapitaldeckung dürfte sich also relativ leicht ein gemeinsamer Nenner finden lassen, auch wenn noch viele Fragen offen sind. Etwa die, welche Rolle die Betriebsrente und die Sozialpartner dabei spielen, wie verpflichtend ergänzende Vorsorge sein soll und ob ein Vorsorgefonds oder ein Standardprodukt vom Staat oder privaten Anbietern verwaltet wird.
Einigungspotenzial sehen Rentenexperten auch bei einem ersten Schritt hin zu einer Bürgerversicherung. Alle drei möglichen Koalitionspartner könnten wohl damit leben, Selbstständige zu einer angemessenen Vorsorge zu verpflichten, sagt Ökonom Gert G. Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der Mitglied der von der Großen Koalition eingesetzten Rentenkommission war.
Wichtig sei nur, dass es Wahlfreiheit bei Form der Absicherung und eine Altershöchstgrenze für die Vorsorgepflicht gebe. Dass eine Ampelkoalition auch Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einbezieht, kann sich Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden dagegen nicht vorstellen. Denn das würde für den Staat sehr teuer.
Beim Thema Renteneintrittsalter, das im Wahlkampf noch für hitzige Debatten gesorgt hatte, sehen Wagner und Ragnitz nur wenig Konfliktpotenzial. Eine Ampel werde an der Rente mit 67 festhalten, die ja ohnehin erst 2031 vollständig greift, erwartet der Ifo-Forscher. Deshalb bestehe keine Notwendigkeit, schon jetzt über eine mögliche weitere Anhebung zu entscheiden. Reformen könnte es laut Ragnitz bei den Ab- und Zuschlägen für einen früheren beziehungsweisen späteren Renteneintritt geben, um der FDP-Forderung nach mehr Flexibilität beim Renteneintritt entgegenzukommen.
Wichtig für den Arbeitsmarkt und die Sozialkassen wäre, dass möglichst viele Erwerbstätige auch tatsächlich gesund bis zum Renteneintritt durchhielten, sagt Wagner: „Ich hoffe, dass man sich auf effektive Maßnahmen einigt, die Frühverrentungen wegen Erwerbsminderung durch Prävention weniger notwendig machen und die Rehabilitation für gesundheitlich Beeinträchtigte verbessern.“ Die Rentenkommission habe dazu Vorschläge gemacht, die auf eine bessere Zusammenarbeit von Arbeitsagentur, Kranken-, Renten- und Unfallversicherung hinausliefen.
Einen großen Streitpunkt dürfte es aber auf jeden Fall geben: die Stabilisierung des Rentenniveaus. SPD und Grüne haben in ihren Wahlprogrammen versprochen, es dauerhaft oder zumindest langfristig bei mindestens 48 Prozent zu halten – und Scholz hat das im Wahlkampf auch immer wieder zum Thema gemacht.
Ökonom Werding sieht das mit Sorge: „Sollte sich die SPD mit ihrer Forderung nach einem dauerhaft stabilen Rentenniveau und keiner weiteren Erhöhung des Rentenalters durchsetzen, dann wird aus dem latenten Generationenkonflikt ein dauerhafter.“ Auch Wagner warnt vor Vorfestlegungen: „Der Glaube, man könne eine Rentenformel formulieren, die über Jahrzehnte Sicherheit gibt, ist naiv.“ Er rät, einen Alterssicherungsrat einzusetzen, der der Politik hilft, immer wieder gute Kompromisse zu finden.
Ifo-Forscher Ragnitz gibt zu bedenken, dass eine Stabilisierung des Rentenniveaus über 2025 hinaus angesichts des Renteneintritts der Babyboomer teuer werde. Wenn die Liberalen aus Rücksicht auf die Arbeitgeber auf Beitragsstabilität pochten, dann müsse der Steuerzuschuss steigen. Für die Liberalen sind Steuererhöhungen aber eine rote Linie, die sie in Koalitionsverhandlungen nicht überschreiten wollen. Möglicherweise lasse sich eine gesichtswahrende Lösung über die Mehrwertsteuer finden, sagt Ragnitz.
Denkbar wäre natürlich auch, das Thema zu vertagen, da das Rentenniveau nach geltendem Recht bis 2025 ohnehin nicht unter 48 Prozent sinken darf. Auf Zeit zu spielen sei für die SPD aber keine Option, heißt es aus Fraktionskreisen. Scholz habe mehrfach seinen Willen betont, eine Fortschrittskoalition zu bilden, die länger als eine Wahlperiode hält. Das werde aber nicht gelingen, wenn man in der Rentenpolitik keine tragfähige und alle zufriedenstellende Lösung finde und dann in vier Jahren wieder über die Alterssicherung streite.
Ein Kompromiss könnte darin liegen, die Sicherung des stabilen Rentenniveaus zumindest in die ab 2025 beginnende Wahlperiode hinein zu verlängern. Denn auch die Rentenkommission hatte empfohlen, prinzipiell am System der Haltelinien für Rentenniveau und Beitragssatz festzuhalten, sich aber nicht auf eine Höhe festgelegt. Hier dürfte es in Koalitionsverhandlungen noch viel Diskussionsbedarf geben.
Ähnliches gilt für die erst Anfang dieses Jahres in Kraft getretene Grundrente. Die SPD würde diese gern entbürokratisieren, die Grünen wollen sie zu einer Garantierente weiterentwickeln, die deutlich mehr Menschen als bisher einbezieht und finanziell besserstellt. Die FDP dagegen plant dagegen, in der Grundsicherung einen Freibetrag für Einkünfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung einzuführen.
Wie auch immer die bestehenden Konflikte gelöst werden, teuer dürfte die Rentenpolitik einer Ampelkoalition wohl auf jeden Fall werden, erwartet Ifo-Ökonom Ragnitz: „Denn die Kostentreiber der vergangenen Reformen werden wohl nicht angefasst.“ Dazu zählen etwa die Rente mit 63 oder die Mütterrente, aber auch die „doppelte Haltelinie“ für Rentenniveau und Beitragssatz.
Mehr: Rentenexperte Axel Börsch-Supan: „Keine Partei traut sich zu sagen, was gesagt werden müsste“
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.