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Ampel versus Jamaika Finanzen, Renten, Klima, Digitalisierung – Wo die Konfliktherde der möglichen Koalitionen liegen

Egal, ob SPD oder Union die Regierung führen, in jedem Dreierbündnis müssten die Parteien untereinander Zugeständnisse machen. Bei einigen Themen dürften sich jedoch schnell Kompromisse finden.
28.09.2021 - 04:00 Uhr 1 Kommentar
Am Ende wird es bei der Regierungsbildung darauf ankommen, wer welche inhaltlichen Zusagen macht. Quelle: Reuters
Laschet, Scholz, Baerbock, Lindner

Am Ende wird es bei der Regierungsbildung darauf ankommen, wer welche inhaltlichen Zusagen macht.

(Foto: Reuters)

Berlin Die „Elefantenrunde“ mit den Spitzenkandidaten der Parteien am Sonntagabend stellte sich wie ein Gemälde der aktuellen Lage dar. ARD und ZDF hatten wie üblich Union und FDP auf die eine, SPD und Grüne auf die andere Seite gesetzt. Der Studioboden dazwischen wurde so zur symbolischen Spielfläche, auf der sich entscheidet, wer die neue Bundesregierung stellen wird.

Denn klar ist: Grünen-Chefin Annalena Baerbock oder der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, einer der beiden wird diese Spielfläche queren und sich der anderen Seite zuschlagen müssen. Einer von beiden wird seinen natürlichen Partner verlassen, weil es nur zu dritt für eine Mehrheit reicht: Jamaika oder Ampel.

Die SPD hat zwar das bessere Ergebnis eingefahren. Am Ende wird es aber auf die Inhalte ankommen. „Entscheidend wird sein, wer gegenüber der FDP beziehungsweise den Grünen die meisten Zugeständnisse machen kann und will“, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Je nach Thema gibt es klare Unterschiede, welche Konstellation leichter zusammenzuführen wäre.

Finanzpolitik

Das offensichtlich größte Auseinanderdriften zwischen den vier Parteien zeigt sich in der Steuerpolitik: Union und FDP wollen runter, SPD und Grüne rauf. Besonders schwer dürfte es den Liberalen fallen, sich bei ihrem Kernthema zu bewegen. Die Grünen hingegen könnten in einer Jamaika-Koalition gut damit leben, wenn sie ihre Ausgabewünsche im Bereich Klimaschutz anders als über Steuererhöhungen finanziert bekämen.

Dennoch scheint die Hürde für die FDP in einer Ampelkoalition nicht unüberwindbar. Parteichef Lindner hat bereits angedeutet, dass bei Verzicht auf Steuererhöhungen beschleunigte Abschreibungen für private Klimaschutzinvestitionen ein Mittel zur Entlastung sein könnten. „Die FDP hat sich damit wirtschaftspolitisch an eine Ampel angenähert“, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Überschaubares Konfliktpotenzial birgt auch die Schuldenbremse. Sie ist im Grundgesetz verankert. Weder eine Ampel- noch eine Jamaika-Koalition kommt auf die nötige Zweidrittelmehrheit, um daran etwas zu ändern.

In einer Jamaika-Koalition dürfte sich eine Einigung daher vergleichsweise leicht herstellen lassen. Die Union hat im Wahlkampf zwar mit der schwarzen Null, also einem ausgeglichenen Staatshaushalt, geworben und ist damit über die Schuldenbremse hinausgegangen. Doch selbst konservative Ökonomen stehen kaum hinter dem Konzept. Hinzu kommt die schlechte Verhandlungsposition der Union als nur zweitstärkste Kraft hinter der SPD.

„Die schwarze Null wird garantiert keine Sondierung überleben“, sagt Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung.

Die Ökonomen haben einige unterschiedliche Ansichten zum Ausgang der Wahl. Quelle: Imago Images
Hüther, Felbermayr, Dullien, Bofinger, Südekum, Fuest (v.l.)

Die Ökonomen haben einige unterschiedliche Ansichten zum Ausgang der Wahl.

(Foto: Imago Images)

Einigkeit herrscht in allen Parteien, dass es für die großen anstehenden Herausforderungen wie Klimawandel und Digitalisierung massive Investitionen braucht – und damit ein Instrument neben der Schuldenbremse. Wie dieses aussehen kann, scheint bei den Grünen unklar. Die Partei wollte die Schuldenbremse um eine Investitionsregel erweitern – was aber wieder eine Grundgesetzänderung nötig machen würde. In einer Jamaika-Koalition könnten Union und FDP den Grünen also alternative Vorschläge machen.

Ähnlich wäre die Lage bei einer Ampel. FDP-Chef Lindner will zwar die Schuldenbremse nicht aufweichen, hat aber klargemacht, dass es Möglichkeiten für Investitionen geben muss. Der Wirtschaftswissenschaftler Jens Südekum hält das Konzept zur Aktienrente der FDP dahin gehend für eine Blaupause: „Die FDP hat in dem Konzept geschrieben, dass sie sich die Einrichtung eines Staatsfonds – zumindest für eine Übergangszeit – vorstellen kann.“ Das sei übertragbar auf andere Bereiche, um große Investitionen zu stemmen, genauso wie die SPD es plane.

Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, fürchtet bei so einem Vorgehen allerdings Widerstand des linken Flügels der Sozialdemokraten. „Ein Staatsfonds würde Aktienvermögen vergrößern, was den Parteilinken missfallen wird“, sagt Felbermayr. Wenn auch nicht die Schuldenbremse selbst, so könnte doch das Instrument zum Investieren für Konfliktpotenzial bei einer Ampel sorgen.

Mindestlohn

Beim Thema Mindestlohn hätte es die Ampel einfacher als Jamaika, weil sich SPD und Grüne klar für eine Anhebung auf zwölf Euro ausgesprochen haben. FDP-Chef Lindner könnte diese Kröte schlucken, wenn die Lohnuntergrenze nicht auf einen Schlag, sondern in Stufen angehoben würde oder im Gegenzug die Hinzuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger reformiert würden.

Als möglichen Weg zur Einigung sieht Ifo-Präsident Fuest die Mindestlohnkommission. Diese könne ein Gutachten darüber erstellen, wie schnell die Lohnanhebung funktionieren kann, ohne den Arbeitsmarkt zu sehr zu belasten. „Die Kommission wäre ganz nach dem Gusto der FDP wieder Teil der Überlegungen, die SPD bekäme ihre zwölf Euro“, so der Ökonom.

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Die Union hat immer darauf gepocht, dass die Entscheidung über den Mindestlohn weiter der unabhängigen Kommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern überlassen bleiben soll. Ein Jamaika-Bündnis könnte sich aber eventuell darauf verständigen, der Kommission neue Regeln zu geben, damit sie schneller als bisher zu den zwölf Euro gelangt. Dafür hatte sich lange vor der Wahl schon der Sozialflügel der Union starkgemacht.

Klimapolitik

In der Energie- und Klimapolitik könnte es mit Blick auf eine Ampel besonders für die FDP schwierig werden, ihre Positionen durchzusetzen. Die Liberalen betonen die Bedeutung des Emissionshandels und eines CO2-Preises als Lenkungsinstrumente im Klimaschutz und wünschen sich vor allen Dingen Technologieoffenheit.

IfW-Präsident Felbermayr hält aber ausgerechnet die Grünen für den flexiblen Akteur bei ihrem Kernthema. „Beim Klimaschutz traue ich den Grünen zu, dass sie mit marktwirtschaftlichen Mechanismen zufriedenzustellen sind“, sagt er.

Natürlich favorisiere die Partei eine Verbotspolitik. „Aber die CO2-Bepreisung ist letztendlich das stärkste Verbot: Wer kein Zertifikat hat, darf nichts ausstoßen“, meint Felbermayr. Sollte dem so sein, könnten sich die Grünen in einem Jamaika-Bündnis vielleicht sogar wohlerfühlen als in einer Ampel. Denn beim CO2-Preis liegt die Ökopartei mit der SPD recht weit auseinander.

Die Grünen hatten schon früh im Wahlkampf eine Erhöhung auf 60 Euro im Jahr 2023 gefordert. Die Große Koalition hat dagegen für 2023 einen Preis von 35 Euro ins Gesetz geschrieben. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat im Wahlkampf immer wieder betont, es müsse für höhere CO2-Preise einen belastbaren sozialen Ausgleich geben, und vor einer Überforderung der Bürgerinnen und Bürger gewarnt.

Für Debatten unter den potenziellen Partnern dürfte die Forderung der Grünen sorgen, den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Es ist nicht zu erwarten, dass die Grünen hier große Kompromissbereitschaft zeigen.

Das schnelle Aus für die Kohle gehört zur DNA der Ökopartei. Insbesondere CDU-Parteichef Armin Laschet, Ministerpräsident des Kohlelandes NRW, dürfte sich schwertun, den in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode gefundenen Kompromiss für einen Kohleausstieg wieder aufzuschnüren.

Rentenpolitik

In der Sozialpolitik könnten die potenziellen Bündnispartner sowohl in einer Jamaika- als auch in einer Ampelkoalition einen gemeinsamen Nenner finden. Bei der Rente beispielsweise wollen Union, FDP und Grüne die kapitalgedeckte Vorsorge stärken. Konflikte dürfte es darüber geben, ob das innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung passieren soll, wie es die Liberalen mit ihrer Aktienrente fordern, oder außerhalb. Hier wird man sich aber einigen können.

Die Grünen könnten es schwer haben, in einer Jamaika-Koalition die versprochene Festschreibung des Rentenniveaus auch über 2025 hinaus durchzusetzen, weil weder Union noch FDP das in ihren Programmen vorsehen. Umgekehrt werden SPD und Grüne in einer Ampel von den Liberalen wohl Zugeständnisse beim Rentenniveau verlangen.

Das ist per Gesetz aber ohnehin noch bis 2025 festgelegt, und für die Zeit danach könnte eine rot-grün-gelbe Koalition Perspektiven von einer neuen Rentenkommission entwickeln lassen.

Große Schnittmengen in einem Ampelbündnis gibt es bei dem Vorhaben, Kinder aus dem Hartz-IV-System herauszuholen. SPD und Grüne haben sich im Wahlkampf für eine eigenständige Kindergrundsicherung starkgemacht. Die FDP sieht vor, familienpolitische Leistungen in einem Kinderchancengeld zu bündeln. Auch wenn sich die Konzepte unterscheiden, wird eine Ampel hier wohl schnell auf eine gemeinsame Position kommen.

Schwieriger würde es in einem Jamaika-Bündnis, weil die Union das Hartz-IV-System im Wesentlichen unangetastet lassen möchte. Da sich aber neben den Grünen (Garantiesicherung) auch die FDP für Reformen ausspricht („liberales Bürgergeld“), dürfte die CDU/CSU eine Koalition an dieser Frage kaum platzen lassen.

Wohnungs- und Baupolitik

In der Mietenpolitik sind es vor allem die direkten Differenzen zwischen Grünen und FDP, die überwiegen. Während die Grünen eine weitere Mietenregulierung und einen bundesweiten Mietendeckel durchsetzen möchten, wollen die Liberalen davon nichts wissen. „Ein Kompromiss könnte darin liegen, stärker in den sozialen Wohnungsbau zu investieren“, regt Ökonom Fuest an. Dann habe man auch gleich die SPD mit im Boot. Damit würde auch die FDP leben können – vor allem im Vergleich zu einem bundesweiten Mietendeckel.

Digitalisierung

Dass es mehr Tempo braucht, darüber sind sich die Verantwortlichen über die Parteigrenzen hinweg einig – insbesondere mit Blick auf die digitale Verwaltung. So klar die gemeinsamen Ziele, so unterschiedlich allerdings die befürworteten Wege, um sie zu erreichen. Während sich Union und FDP für ein eigenständiges Digitalministerium aussprechen, bremsen SPD und Grüne – ein solches eigenes Ressort sei für die Koordinierung nicht nötig.

Am Ende dürfte allerdings auch der FDP klar sein, dass ein eigenes Ministerium eines gewaltigen Kraftakts an personeller und organisatorischer Umstrukturierung bedarf. Ein Kompromiss in einer Ampel könnte das NRW-Modell sein, bei dem das Digitalressort an das Wirtschaftsministerium angegliedert ist. Andersherum würden die Grünen eine Jamaika-Koalition sicher nicht an der Einrichtung eines Digitalministeriums scheitern lassen.

Mehr: Ifo-Chef Fuest sieht Chancen für Scholz-Regierung

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1 Kommentar zu "Ampel versus Jamaika: Finanzen, Renten, Klima, Digitalisierung – Wo die Konfliktherde der möglichen Koalitionen liegen"

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  • Der Wähler hat kein falsches Votum abgegeben, aber ein schwieriges Wahl - Ergebnis zwingt nun die
    möglichen Parteien nahezu, sich inhaltlich nur zu Kompromissen hin zu bewegen, was ein notwendiges
    Dreierbündnis der unterschiedlichen Partnern, erforderlich macht.

    Egal was kommt, die Regierung in welcher Konstellation auch immer, wird vor schwer lösbare Aufgaben
    gestellt, weil die alte CDU - SPD Koalition jahrelang nur noch verwaltet hat, doch diese beiden Parteien
    sprechen jetzt von Aufbruchstimmung......warum nicht vorher ???

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