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Andreas Barner im Interview „Ich wundere mich über Herrn Döpfner“: Stifterverband-Präsident fordert Kurswechsel vom Springer-Chef

Die „Bild“ gefährde Wissenschaftler, sagt Barner zu einem Bericht über Virologen, der sie als „Lockdown-Macher“ bezeichnet. Angesichts steigender Gewaltbereitschaft mahnt er: „Wehret den Anfängen!“
13.12.2021 - 16:32 Uhr 1 Kommentar
Barner macht sich Sorgen wegen der Gewaltbereitschaft in der deutschen Gesellschaft. Quelle: dpa
Andreas Barner

Barner macht sich Sorgen wegen der Gewaltbereitschaft in der deutschen Gesellschaft.

(Foto: dpa)

Berlin Andreas Barner, der Präsident des Stifterverbands, kritisiert dem Handelsblatt gegenüber Springer-Chef Mathias Döpfner: Dieser müsse umgehend dafür sorgen, dass die „Bild“-Zeitung aufhöre, Wissenschaftler anzugreifen und damit auch zu gefährden. Wenn etwa Virologen als „Lockdown-Macher“ bezeichnet würden, „laufen sie natürlich Gefahr, angegriffen zu werden“, sagte Barner und fügte hinzu: „und das alles nach dem Fackelzug vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin“. Diverse Forscher brauchen schon jetzt Polizeischutz. 

Vor wenigen Tagen hatte die Allianz der Wissenschaften – der Zusammenschluss der großen deutschen Forschungsorganisationen – den jüngsten Artikel der „Bild“ kritisiert. Einzelne Forschungsorganisationen haben Beschwerde beim Presserat eingelegt.

Gerade weil Döpfner auch Präsident des Verlegerverbandes ist, müsse er „bürgerliche Verantwortung“ übernehmen, fordert Barner im Interview. Es könne nicht sein, „dass die Einhaltung journalistischer Standards bei einer so großen Zeitung über den Presserat eingeklagt werden“ müsse, sagte der Chef des Verbands der Wirtschaft für die Wissenschaft, der zudem Aufsichtsratchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist. 

2020 rügte der Presserat einen Bericht der „Bild“ über eine angeblich „grob falsche“ Coronastudie des Virologen Christian Drosten zur Infektiosität von Kindern. Die Formulierung „grob falsch“ sei nicht von den Expertenmeinungen im Text gedeckt, urteilte der Presserat.

Entsetzt zeigte sich der langjährige Chef von Boehringer Ingelheim daneben über Attacken auf die Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci. Auch er mache sich Sorgen über die zunehmende Gewaltbereitschaft in der deutschen Gesellschaft: „1933 mahnt uns: Die Gefahr, dass die Lage kippt, besteht immer. Wehret den Anfängen!“

Hier lesen Sie das komplette Interview:

Herr Barner, die vierte Coronawelle trifft uns heftig. Wie konnte das passieren? Hat die Wissenschaft nicht genug gewarnt?
Die Wissenschaft war laut – aber es hat niemand zugehört. Medien und Politik wollten lieber glauben, dass wir über den Berg sind. Es erstaunt mich noch immer, dass ‚exponentielles Wachstum‘ nicht verstanden wird, wo sich am Anfang fast nichts tut – es aber zu spät ist, wenn die Steilkurve erreicht ist. Irritiert hat mich, dass die Ampelparteien nicht früher agiert haben. Jemand wie Karl Lauterbach hat deutlich gesagt: Wir müssen handeln, so geht es nicht weiter. Er hätte früher von seinen Leuten gehört werden müssen. Das Gleiche gilt für grüne Fachpolitiker, auch sie wurden nicht wirklich gehört.

Viele Menschen verunsichert, dass sich Forscher widersprechen oder im Zeitverlauf selbst korrigieren, sehnen sich nach Eindeutigkeit ...
Die Bandbreite der Diskussion ist unverzichtbar, solange sie seriös ist. Die Wissenschaft ist gut beraten, keine Extremposition einzunehmen, sondern differenzierte Konsenspositionen zu formulieren, wie es in beeindruckender Klarheit die Leopoldina macht.

Ist es hilfreich, wenn Medien einen Gegensatz zwischen Forschern wie Hendrik Streeck und Christian Drosten aufbauen?
Das Problem ist ein ganz anderes: Das Ziel der Ausgeglichenheit in der Berichterstattung hat dazu geführt, dass Medien Minderheitspositionen absolut unverhältnismäßig mehr Platz eingeräumt haben als seriösen Forschern neben Hendrik Streeck oder Christian Drosten. Die Absicht war gut und fair, das Ergebnis schlecht: So erhielten Positionen viel Raum, die wissenschaftlicher Qualitätskontrolle nicht standhalten.

Vor wenigen Tagen hat erstmals die Allianz der Wissenschaften – der Zusammenschluss der wichtigsten deutschen Forschungsorganisationen – einen Artikel der „Bild-Zeitung kritisiert, der führende Virologen als „Lockdown-Macher“ bezeichnet. Zu Recht?
Das ist richtig. Diese Art der „Bild“-Berichterstattung ist nicht akzeptabel. Ich wundere mich schon, dass Herr Döpfner seine SMS, in der er Deutschland als ‚DDR-Obrigkeitsstaat‘ bezeichnet, als Vergangenheit bezeichnet, Besserung gelobt und höhere Standards für die „Bild“-Zeitung einfordert – und dann hört man nichts mehr. Ich finde es sehr enttäuschend, dass die „Bild“-Zeitung nun Wissenschaftler erneut so angreift und damit auch gefährdet. Denn in dieser aufgeheizten Stimmung laufen sie natürlich Gefahr, angegriffen zu werden. Und das alles nach dem Fackelzug vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin.

Manche Verleger haben Herrn Döpfner kritisiert – dennoch bleibt er ihr Cheflobbyist. Finden Sie das nachvollziehbar?
Als Chef eines so großen Hauses wie Springer ist er natürlich wichtig für den Verband. Aber gerade weil er auch Verlegerpräsident ist, erwarte ich von ihm, dass er sicherstellt, dass die Standards eingehalten werden. Es kann nicht sein, dass diese bei einer so großen Zeitung über den Presserat eingeklagt werden müssen. Es gibt so etwas wie bürgerliche Verantwortung.

Viele Forscher und Forschungsmanager leben schon lange mit Bedrohungen, 2020 hat der Presserat „Bild“ wegen der Kampagne gegen Christian Drosten gerügt. Kommt der Aufschrei der Allianz zu spät?
Im Nachhinein muss man sagen: Früher wäre sicher besser gewesen. Christian Drosten hat auch mich sehr beeindruckt, gerade weil er sich nicht zu schade ist, sich öffentlich zu korrigieren. Aber sowohl dieses Dazulernen als auch der Disput gehören essenziell zur Forschung – und dürfen in Pandemiezeiten nicht für Schlagzeilen benutzt werden.

Sollte sich die Politik einmischen?
Ja, sie müsste sich schützend vor die Wissenschaft stellen, ebenso wie Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmen, die Gesellschaft insgesamt. Den meisten relevanten Gruppen war zu wenig klar, wie vulnerabel die Wissenschaft ist, wenn sie in der Öffentlichkeit steht.

Die Ampel beruft einen Krisenstab unter General Breuer – hilft das?
Nur wenn er die nötige Autonomie und Autorität bekommt. Wenn die Politik zuhört und Rat annimmt. Dass er im Kanzleramt angesiedelt ist, ist sicher von Vorteil. Für General Breuer spricht sehr, dass er bisher die Hilfe der Bundeswehr in der Pandemie gut und geräuschlos organisiert hat.

Der Anteil der Deutschen, die der Forschung gar nicht trauen, liegt nach dem Wissenschaftsbarometer relativ stabil bei rund sechs Prozent. Die Gruppe der misstrauischen Unentschiedenen ist jedoch seit 2020 von 20 auf über 30 Prozent gestiegen. Droht uns ein Dauerschaden weit über die Pandemie hinaus?
Ich sehe eher eine große Chance: Wir müssen die wissenschaftliche Beratung – zu Gesundheit, Klima, Digitalisierung etc. – institutionell integrieren. Darauf hat der Stifterverband ja bereits hingewiesen. England und Schweden haben Gremien, die sich regelmäßig mit der Regierung austauschen, also Gespräche führen statt nur Gutachten abliefern. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat bereits solche Räte in Baden-Württemberg installiert.

Die Biontech-Gründer bei der Verleihung des Deutschen Zukunftspreises 2021 für Technik und Innovation. Quelle: imago images/Political-Moments
Özlem Türeci und Ugur Sahin

Die Biontech-Gründer bei der Verleihung des Deutschen Zukunftspreises 2021 für Technik und Innovation.

(Foto: imago images/Political-Moments)

Die Aggression trifft nicht nur Forscher: Die Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci bekamen Hunderte Mails mit rassistischen Verunglimpfungen und Morddrohungen, als die News vom Impfstoff publik wurde ...
Das entsetzt mich sehr. Ich kenne beide seit vielen Jahren, mag sie sehr und habe enormen Respekt. Auch ich mache mir Sorgen, dass unsere Gesellschaft immer gewaltbereiter wird. 1933 mahnt uns: Die Gefahr, dass die Lage kippt, besteht immer. Wehret den Anfängen!

Zuletzt erschien in „Bild“ ein Artikel „Vom Impfgegner zum Impfbefürworter – Wie Sie nicht ihr Gesicht verlieren, wenn Sie ihre Meinung ändern“. Macht das aus Ihrer Sicht Hoffnung?
Abwarten. Ein einzelner Artikel steht noch nicht für eine neue Linie, aber die Richtung stimmt.

Mehr: Angesichts der dramatischen Lage schließt Kanzler Scholz einen Weihnachtslockdown nicht mehr aus

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  • Die heutige Medienlandschaft sollte mal tief in sich gehen und fragen als was man sich versteht. Viele Journalisten oder solche die sich so schimpfen stellen nicht mehr die Fakten und die Wirklichkeit dar sondern verbreiten nur noch ihre Meinung und versuchen die Dinge in ihre gewollte Richtung zu bringen.
    Eine objektive Berichterstattung findet häufig nicht mehr statt und wenn man die Polarisierung auf dem britischen und amerikanischen Markt sieht (Murdoch-Presse vai CNN) bekommt man nur noch das grausen und wendet sich ab.

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