Annalena Baerbock trifft Joschka Fischer „Große, große Tragödie“: Grüne fordern „große humanitäre Geste“ in Afghanistan-Krise

Für die Grünen-Kanzlerkandidatin und den früheren Bundesaußenminister spielt sich in Afghanistan eine „große, große Tragödie“ ab.
Berlin Es ist ein Termin wie geschaffen für die oberste Grünen-Wahlkämpferin Annalena Baerbock: ein Treffen mit Grünen-Urgestein Joschka Fischer, Vizekanzler und Bundesaußenminister von 1998 bis 2005. Ein Bildtermin auf der Stadtbrücke in Frankfurt an der Oder und eine anschließende Diskussion – das bedeutet Aufmerksamkeit, die dem Grünen-Wahlkampf möglicherweise einen kräftigen Schub verleihen könnte.
Über Europa wollten die beiden Grünen reden, aber natürlich geht es an diesem schicksalsträchtigen Tag für Afghanistan vor allem auch um das Land am Hindukusch. Fischer war deutscher Außenminister, als nach den Anschlägen vom 11. September 2001 westliche Truppen in Afghanistan einmarschierten und die Taliban entmachteten.
Fischer sprach von einer „großen, großen Tragödie“. Im Laufe der Jahre seien viele Fehler gemacht worden. Der große finale Fehler sei aber der überraschende Abzug der Truppen aus Afghanistan gewesen, wo die Taliban jetzt wieder die Macht übernommen haben: „Keine Verhandlungslösung, sondern: Wir packen ein und gehen“, sagte Fischer. Es bedrücke ihn, „wie kalt wir die Menschen zurückgelassen haben, die für unsere Soldaten, unsere Hilfsorganisationen gearbeitet haben“.
Klare Kontingente für die Aufnahme von Geflüchteten
Baerbock rief die Bundesregierung erneut zu schnellem Handeln auf, um Ortskräfte der EU-Mission in Sicherheit zu bringen. „Es muss klar sein, dass dafür jetzt alles Notwendige getan werden muss, auch mit Unterstützung der deutschen Bundeswehr, dass Menschen evakuiert werden“, sagte sie. Baerbock erinnerte daran, dass die Grünen bereits vor dem Beginn der Sommerpause im Bundestag beantragt haben, Menschen zu evakuieren. „Das ist nicht getan worden, man hat es einfach negiert.“ Jetzt gehe es um Stunden und um Tage.
Die Grünen-Vorsitzende wiederholte ihre Forderung, mit den Europäern, aber vor allem auch mit den Amerikanern und Kanadiern klare Kontingente abzusprechen, um Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Es gehe nicht nur „um uns Deutsche“. Es sei eine europäische Frage.
Dem Auswärtigen Amt warf sie vor, die Augen vor der Realität verschlossen zu haben. Fischer erklärte, man sei zu einer „großen humanitären Geste verpflichtet, da stimme ich Annalena voll zu“.
Sorge vor erneutem Terror
Der frühere Außenminister, der die Grünen 1998 in eine Koalition mit der SPD geführt hatte, erklärte, er hoffe, der Terror kehre nicht zurück. „Wenn der Terror zurückkehrt, dann werden wir in einer Situation sein, dass es dann wieder heißt, alles andersherum.“
Baerbock kritisiert Bundesregierung: „Augen vor der Realität verschlossen“
Eine Stunde lang diskutieren die Grünen-Kanzlerkandidatin und der frühere Grünen-Spitzenpolitiker über Afghanistan, über China, Russland, Belarus und Europa. Auch die zunehmende Bedrohung durch den Klimawandel und die notwendige Transformation der Wirtschaft ist Thema zwischen den beiden.
„Der Druck wird zunehmen“, prophezeit der heute 73-Jährige und sagt: „Wenn wir gut beraten sind, dann machen wir uns schnellstmöglich auf den Weg.“ Deutschland und Europa müssten sich „richtig reinhängen“.
Die Konfrontationen zwischen den USA und China sieht Fischer mit Sorge. Solange diese anhielten, sei es sehr schwierig, mit der Transformation voranzukommen. China sei von elementarer Bedeutung für den Umbau der globalen Weltwirtschaft.
„Also ist es unsere Aufgabe, dazu beizutragen, dass Klimakooperationen entstehen“, mahnte Fischer. Da habe Europa eine „sehr wichtige Rolle zu spielen – moderierend, dämpfend einzuwirken“. Und klarzumachen, „dass der Erhalt der gemeinsamen Lebensbasis, des Weltklimas, von entscheidender Bedeutung für uns alle ist, egal wo wir zu Hause sind“.
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