Anne Will-Talkshow „Werde nicht zuschauen, dass wir 100.000 Infizierte haben“: Merkel geht mit Ländern hart ins Gericht

Die Bundeskanzlerin fordert die Länder zum Handeln auf.
Berlin Sollte man Angela Merkels Regierungsstil mit einem Wort beschreiben, wäre einem wohl „Entschlossenheit" kaum eingefallen. Wer die Kanzlerin am Sonntag Abend in der Talkshow „Anne Will“ erlebt hat, wird das nicht mehr sagen können. So kämpferisch hat man Merkel selten erlebt.
„Ich werde nicht zuschauen, dass wir 100.000 Infizierte haben“, sagte die Kanzlerin. Das sei ihr Amtseid, das sei ihre Verpflichtung. „Viel Zeit haben wir nicht“, sagte sie weiter und ging mit etlichen Bundesländern hart ins Gericht.
Die nächtliche Ministerpräsidentenkonferenz vom vergangenen Montag auf den Dienstag, mit dem dann schnell wieder zurückgezogenen Beschluss einer Osterruhe, sei eine „Zäsur“ gewesen, betonte Merkel. „Da kann es jetzt nicht einfach so weitergehen, wir treffen uns alle vier Wochen und machen das genauso weiter.“
Das sähen auch viele Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten so. Wenn sich dies nicht in „sehr absehbarer" Zeit ändere, werde sie überlegen, wie dies bundeseinheitlich geregelt werden könne, sagte die Kanzlerin. Eine Möglichkeit sei die Änderung des Infektionsschutzgesetzes und „ganz spezifisch zu sagen, was muss in welchem Fall geschehen“, warnte sie.
„Wir sind verpflichtet qua Gesetz, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Und im Augenblick ist die Eindämmung nicht da.“ Allerdings müssten die Länder im Bundesrat einer Gesetzesänderung zustimmen. Sie setze auf Einsicht. Offenbar machten sich immer noch einige Illusionen über die Pandemie und die Gefährlichkeit der Virus-Varianten.
“Eine Möglichkeit ist, dann noch mal das Infektionsschutzgesetz anzupacken und ganz spezifisch zu sagen, was muss in welchem Fall geschehen”, warnt Angela #Merkel, wenn die Infektionszahlen nicht sinken. #AnneWill pic.twitter.com/teYgDpXJ6C
— ANNE WILL Talkshow (@AnneWillTalk) March 28, 2021
Merkel sagte mit Blick auf das Agieren der Länder: „Die Umsetzung ist nicht so, dass ich überzeugt bin, dass wir die dritte Welle brechen können.“
Kanzlerin fordert schnelles Handeln
Merkel zeigte sich unzufrieden und besorgt. Eigentlich haben man klare Grenzen eingezogen, das Testen könne jetzt nicht die Ausrede für Lockerungen sein. „Deshalb brauchen wir im Moment keine Ministerpräsidentenkonferenz, sondern Handeln in den Länder.“
Scharf ging sie mit der Pandemiepolitik in Berlin, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland ins Gericht. Namentlich nannte sie auch den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und möglichen Kanzlerkandidaten der Union Armin Laschet.
Merkel betonte, sie habe sich die Notbremse, ob in Berlin, auch in NRW „nicht so gedacht“. Wenn die Länder nicht allesamt rigoros die Beschlüsse für eine Corona-Notbremse umsetzen und auch Optionen wie regionale Ausgangssperren ziehen, drohte sie notfalls mit Maßnahmen des Bundes über das Infektionsschutzgesetz.
“Das Land hat eine Umsetzung gewählt, die zu viel Ermessungsspielraum mit sich bringt”, kritisiert Bundeskanzlerin Angela #Merkel den derzeitigen Weg von NRW-Ministerpräsident Armin #Laschet. #AnneWill pic.twitter.com/1qPjNeEmCA
— ANNE WILL Talkshow (@AnneWillTalk) March 28, 2021
Sie kritisierte auch Regelungen für Modellregionen, in denen vermehrtes Testen nicht für die Reduktion der Infektionszahlen, sondern für weitere Öffnungen eingesetzt werde. Merkel befindet sich damit auf Kriegspfad mit den Ländern.
Merkel musste sich immer wieder Fragen nach ihrer Autorität gefallen lassen. Die Impfkampagne stottert, die Teststrategie geht nicht auf, und die Kontaktverfolgung steht still. Insofern wirkte der zusätzliche Lockdown, der epidemiologisch sicherlich notwendig ist, wie ein Konzept von vorgestern.
Merkels Auftritt bei Anne Will war generalstabsmäßig vorbereitet
Aus Merkels Sicht war der Auftritt generalstabsmäßig vorbereitet worden. Am Freitag gab ihr Haus- und Hofdemoskop Matthias Jung von der Forschungsgruppe „Wahlen“ ein Interview, in dem er äußerte, es hätte nie eine Mehrheit für Lockerungen gegeben. Ein Tag darauf musste der glücklose Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zur Live-Bürgersprechstunde bitten.
Dort äußerte er seinen Wunsch, nach einem Runterfahren des Landes. Am Sonntag gab schließlich ihr Kanzleramtsminister, der der Erfinder der missglückten Osterruhe war, ein Interview, in dem er vor der Supermutante warnte und die Wirksamkeit der Impfstoffe in Frage stellte. Damit war die Bühne für die Kanzlerin bereitet.
Die steigenden Fallzahlen geben der Kanzlerin recht. Aber die Deutschen sind coronamüde und über das Krisenmanagement ihrer Regierung entsetzt.
Die Kanzlerin wies den Vorschlag des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) nach einer weiteren Bund-Länder-Runde zurück. „Wir brauchen keine Ministerpräsidentenkonferenz, sondern wir brauchen Handeln in den Ländern“, betonte Merkel.
“Deshalb war ich nicht so ganz glücklich”, kritisiert Angela Merkel die Ankündigung von Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans, sein Land als Modellprojekt zu öffnen. #AnneWill pic.twitter.com/eYFijRHkkL
— ANNE WILL Talkshow (@AnneWillTalk) March 28, 2021
Die bisherigen Beschlüsse mit den Ministerpräsidenten böten alle nötigen Instrumente, betonte Merkel: schärfere Kontaktbeschränkungen ebenso wie notfalls Ausgangsbeschränkungen und die Verpflichtung der Arbeitgeber, wo immer möglich Homeoffice anzubieten. Die Reaktionen der Ministerpräsidenten dürfte nicht lange auf sich warten lassen.
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Natürlich hat Frau Merkel ihren Machtzenit überschritten. Dennoch müht sie sich redlich. Ich stelle es mir durchaus herausfordernd vor, 16, vor allem männliche Ignoranten unter einen Hut zu bringen.
Gut, daß die Zeit von Angela Merkel beendet ist. Sie wird in Frau Bearbock eine würdige Nachfogerin finden. Frisch machtorientiert und unverbraucht. Im besten Sinne Merkels Erbin.
ignoranti quem portum petat nullus suus ventus est
Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind ein günstiger (Lucius Annaeus Seneca / vor c. 2000 Jahre).
oder
Jeder macht was er will. Keiner was er soll, aber alle machen mit.
(wird Helmut Schmidt zugeschrieben / vor ca. 40 Jahren).
Fast 16 Jahre Kanzlerschaft hinterlassen offenbar Spuren. Wie einst Adenauer und Khol ist auch bei Merkel...
Beitrag von der Redaktion editiert. Bitte beachten Sie unsere Netiquette: „Diskutieren erwünscht – aber richtig.“ https://www.handelsblatt.com/netiquette
Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass wir öffentlich-rechtliches Fernsehen haben, aber kein Staatsfernsehen. Dass Merkel hier eine Plattform bekommt, um für sich persönlich Werbung zu machen und das Volk auf Linie zu bringen, geht entschieden zu weit.
(...) Beitrag von der Redaktion gelöscht. Unterstellungen oder Verdächtigungen ohne Bezug oder glaubwürdige Argument, die durch keine Quelle gestützt werden, sind nicht erwünscht.
@Herr Schenke und @alle: Danke für diesen Kommentar Herr Schenke, in der Tat würde ich mir auch eine durchaus kontroverse Diskussion wünschen, die bei allen Differenzen auf Respekt vor dem Anderen beruht.
Was geht in den Kommentaren ab, da fragt man sich ob wir hier beim Handelsblatt oder bei Tichys Einblick sind. Oder bei Parler. Ekelhafte Hetze, Merkel wird mit Hitler verglichen, die AfD gelobt. Fehlt noch Checker Joe mit der letzten Verschwörungstheorie.
@Hans Schönenberg Es sind nicht nur Politiker wie Christian Lindner FDP, Oskar Lafontaine (der keine Demokratie, sondern nur noch Oligarchie sieht), die die Ausschaltung des Parlamentes kritisch sehen. Verfassungsrechtler, Richter mahnen die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit an. Gleiches Hans-Georg Maaßen am 25.03.2021; ehemaliger Verfassungsschutzpräsident. Wir haben eine massive Erosion unseres Rechtsstaates; dies kann sehr wohl mit den Verhältnissen 1930 ff. verglichen werden. Auf dieser Linie weiter agiert, sehe ich auch sehr wohl die Gefahr eines Bürgerkrieges.
@Wolfgang Stehle Die Impfstoffe sind in der EU nur bedingt zugelassen. Gemäß Verordnung müssen binnen eines halben Jahres die entsprechenden Nachweise über Wirkungsweise und Nebenwirkungen beigebracht werden. Dies können die Herstellfirmen nicht leisten. Deswegen hat man die Periode bis 2024 rechtswidrig ausgeweitet. Albert Bourla CEO von Pfizer hat im Februar ein NBC News Interview gegeben, in dem er inhaltsmäßig darstellte, dass über Wirksamkeit und Nebenwirkungen keine Erkenntnisse vorliegen und man die Studien von Israel und die weltweiten Impfkampagnen erst auswerten müsse.
@Wolfgang Stehle Die Impfstoffe sind in der EU nur bedingt zugelassen. Gemäß Verordnung müssen binnen eines halben Jahres die entsprechenden Nachweise über Wirkungsweise und Nebenwirkungen beigebracht werden. Dies können die Herstellfirmen nicht leisten. Deswegen hat man die Periode bis 2024 rechtswidrig ausgeweitet. Albert Bourla CEO von Pfizer hat im Februar ein NBC News Interview gegeben, in dem er inhaltsmäßig darstellte, dass über Wirksamkeit und Nebenwirkungen keine Erkenntnisse vorliegen und man die Studien von Israel und die weltweiten Impfkampagnen erst auswerten müsse.
Herr Erika Reinke: Ich sehe die Entwicklungen seitens der Bundesregierung, aber auch seitens der Länder_MP kritisch; aber: Frau Merkel in einen Topf mit Adolf Hitler zu schmeißen und derartig mit den damaligen Ermächtigungsgesetzen i, Vergleich zur heutigen Situation umzugehen zeugt von mangelnden Geschichtswissen aus dem 3. Reich und ist einfach unanständig. Bitte machen Sie doch einfach Vorschläge über Lösungsansätze aus Ihrer Sicht, über die man dann wenigstens diskutieren kann.