Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Anstieg der Infektionszahlen Die Angst vor einer zweiten Corona-Welle ist groß – doch der Begriff bleibt diffus

Die Warnungen vor einer zweiten Welle der Pandemie in Deutschland nehmen zu. Eindeutige Kriterien für dieses Szenario gibt es bisher aber nicht.
04.08.2020 - 18:16 Uhr 4 Kommentare
Die bestätigten Infektionszahlen in Deutschland steigen – aber ist das eine „zweite Welle“? Quelle: ddp images/Sven Simon
Hochbetrieb an einem Badesee in München

Die bestätigten Infektionszahlen in Deutschland steigen – aber ist das eine „zweite Welle“?

(Foto: ddp images/Sven Simon)

Berlin In der Pandemiepolitik ist dieser Tage ein Begriff besonders virulent: Es geht um die „zweite Welle“, bei der sich das Coronavirus in Deutschland mit neuer Stärke ausbreitet. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) konstatiert: Die zweite Corona-Welle „schleicht durch Deutschland“. Auch die Chefin des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna, spricht von einer „zweiten, flachen Anstiegswelle“.

Das Robert Koch-Institut (RKI) beobachtet in vielen Bundesländern einen Zuwachs bei den bestätigten Neuinfektionen. Dennoch bleibt bei den Warnungen vor einer zweiten Welle unklar, woran man denn nun konkret festmacht, dass sich das Coronavirus in der Bundesrepublik wieder stärker ausbreiten wird.

Das RKI erklärte auf Nachfrage, es gebe „keine klare Definition“ und somit auch keine Kennzahlen für eine „Welle“ oder „zweite Welle“. Auf der Internetseite des Instituts steht: „Wann eine zweite Welle in Deutschland beginnen könnte und wie stark diese ausfallen würde, lässt sich nicht vorhersagen.“ RKI-Chef Lothar Wieler sagte vergangene Woche, er wisse nicht, ob die steigenden Fallzahlen der Beginn einer zweiten Welle in Deutschland seien. Es könne aber sein.

Bundesweit gibt es nach Angaben der Seuchenschutzbehörde gegenwärtig „viele kleinere Ausbruchgeschehen in verschiedenen Landkreisen“. Die Zahl der Kreise, aus denen über den Zeitraum der vergangenen sieben Tage keine Fälle an das RKI gemeldet wurden, sei von 125 Mitte Juli auf nun 70 zurückgegangen. Auslöser der Infektionsherde waren demnach unter anderem Feiern im Familien- und Freundeskreis. Weitere Ausbrüche passierten in den vergangenen Wochen in Schlachthöfen und bei Gottesdiensten.

Im Fokus sind aktuell auch Reisende, die aus dem Sommerurlaub im Ausland zurückkehren. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reagierte mit einer Testpflicht für Rückkehrer aus internationalen Risikogebieten, andere Reiserückkehrer können sich auf freiwilliger Basis kostenfrei auf das Virus testen lassen. „Eine weitere Verschärfung der Situation muss unbedingt vermieden werden“, mahnt das RKI. Das gelinge nur, wenn die Menschen Abstands- und Hygieneregeln konsequent einhielten.

Keine eindeutige Definition einer zweiten Welle

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagt, dass es unter Epidemiologen zwar keine eindeutige Definition einer zweiten Welle gebe. „Aber es gibt mehrere Kriterien, die von vielen Fachleuten herangezogen werden“, erklärte Lauterbach im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Grafik

Zunächst müsse sich das Virus aus der Bevölkerung eines Landes heraus wieder stärker verbreiten, also nicht von außen hereingetragen werden. „Ein weiteres Kriterium ist, dass das stärkste Aufkeimen in jenen Bevölkerungsgruppen zu beobachten ist, die die meisten sozialen Kontakte haben“, so der SPD-Politiker. „Wir beobachten genau das in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen in Deutschland.“

Drittens sei das Infektionsgeschehen bei einer zweite Welle nicht mehr auf regionale Hotspots begrenzt, sondern trete mehr oder weniger gleichmäßig in der breiten Bevölkerung auf. „Auch das ist in Deutschland mittlerweile der Fall“, sagte Lauterbach mit Blick auf die jüngsten Situationsberichte des RKI.

Schließlich müsse es eine nennenswerte Zahl an Neuinfektionen geben. „In Deutschland liegt die Schwelle für mich bei 1000 neuen Fälle pro Tag“, sagte Lauterbach. „Auf diese Größenordnung bewegen wir uns zu. Für mich befinden wir uns daher am Beginn der zweiten Welle.“

Überlastung des Gesundheitssystems

Allerdings: Der Anstieg bei den bestätigten Neuinfektionen könnte zumindest teilweise auch darauf zurückzuführen sein, dass immer stärker getestet wird und somit mehr Fälle aus der Dunkelziffer ans Licht kommen.

Grafik

Das RKI veröffentlicht jede Woche aktuelle Testzahlen. Von Ende Juni bis Ende Juli erhöhte sich die Zahl der wöchentlichen Tests demnach von knapp 467.000 auf rund 564.000. Die Rate der Menschen, die positiv getestet wurden, blieb in diesem Zeitraum stabil zwischen 0,6 und 0,8 Prozent.

Ein wichtiger Faktor in der Pandemiepolitik ist zudem, ob eine Überlastung des Gesundheitssystems droht. Das Forschungsinstitut der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (ZI) hat ein Modell erstellt, das die Vorwarnzeit bis zur potenziellen Überforderung im Gesundheitswesen berechnet.

Dieser Puffer betrage aktuell 73 Tage. „Die medizinische Versorgung ist durch die aktuelle Entwicklung daher noch nicht betroffen. Gegenüber Anfang Juli gibt es hier kaum Veränderungen“, sagte ZI-Chef Dominik von Stillfried. Ein Anlass für „übereilte politische Maßnahmen“ bestehe derzeit nicht.
Mehr: Das Gesundheitssystem hat dem Coronavirus bisher standgehalten. Ist das der Erfolg der Regierung – oder hat Deutschland einfach Glück gehabt?

Startseite
Mehr zu: Anstieg der Infektionszahlen - Die Angst vor einer zweiten Corona-Welle ist groß – doch der Begriff bleibt diffus
4 Kommentare zu "Anstieg der Infektionszahlen: Die Angst vor einer zweiten Corona-Welle ist groß – doch der Begriff bleibt diffus"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Man braucht kein Hellseher zu sein, um nicht voraussagen zu können, dass mit einer Lockerung der Einschränkungsmaßnahmen, verbunden mit zunehmenden Testaktivitäten, auch ein Anstieg von Infektionen zu erwarten ist. Ein nicht unwsentlicher Faktor dabei ist, dass gerade jüngere Infizierte oft nur wenige, oder gar keine Syymptome zeigen. Sie sind aber für das Virus geeignete Überträger! Es wirkt sich die Infektion zwar besonders bei der älteren Bevölkerungsgruppe schwerwiegend, oft tödlich, aus, aber auch Jüngere, besonders solche mit Vorerkrankungen, können ein solches Schicksal erleiden. Auch wenn es für Viele unverständlich und lästig ist, sind Schutzmaßnahmen bis zur Verfügung einer Impfung unerlässlich. Ein Ignorieren ist nichts anderes als eine Ignoranz gegenüber der lebensbedrohenden Gefährdung der älteren Generation.

  • Vielen Dank - so geht Qualitätsjournalismus - unaufgeregt und sachlich! Da könnten sich andere ehemals renommierte Medien wie z.B. der Spiegel eine Scheibe von abschneiden...

  • Herr O.L., sehr gut auf den Punkt gebracht.
    Die Angst in der Bevölkerung ist natürlich groß, weil in Deutschland mit diffusen "Fakten" operiert wird.
    Hinterfragt man mit gesundem Menschenverstand diese sog. Fakten, gilt man gleich als "Corona-Leugner", AfD-Sympathisant, asozial und wird pauschal diffamiert. Das verstärkt die Spaltung der Bevölkerung, ohne das einmal öffentlich darüber wirklich - auch wissenschaftlich - diskutiert wird.
    Offensichtlich hält die Politik die Bürger für zu dumm, die tatsächlichen Risiken für sich abschätzen zu können.
    Die meisten Menschen brauchen keinen Nanny-Staat und wenn Menschen gegen diese unangemessenen Einschränkungen unserer Grundrechte demonstrieren - sehr gut und wichtig.
    Die Neue Zürcher Zeitung könnte hier wirklich ein Vorbild für deutsche Leitmedien sein.
    Diese Basta-Politik 2.0 ist für aufgeklärte Menschen nichts.
    Für unser politisches Spitzenpersonal ist dies natürlich aufwendiger, sich selbst zu informieren als sich auf selbstgewählte "Spezialisten" zu verlassen.
    Es zählt im Zweifelsfall immer der Blick auf die echten Fakten - und wenn mehr getestet wird dann steigen zwangsläufig auch die Zahl der Infizierten. Das lernt ein angehender Statistiker schon im ersten Semester.

    Warum beschleicht mich ständig das Gefühl, durch Politiker und Leitmedien für dumm verkauft zu werden?

    Allein sich diese Frage zu stellen - und da bin ich vielleicht nicht der einzige - schadet der Demokratie.

  • Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Ein deutsches Leitmedium stellt die richtigen Fragen: Wie verhält sich die Zahl der Positiv Getesteten im Verhältnis zur Zahl der durchgeführten Tests (Antwort: Die Relation ist seit vielen Wochen konstant und sehr niedrig)? Und wie viele Menschen sind tatsächlich krank (Antwort: Die Zahl der Hospitalisationen und Intensivbettbelegungen wegen Covid 19 ist seit Mitte Mai unverändert verschwindend gering)? Mit solchen Kennziffern (leider nur für die Schweiz) zeichnet übrigens eine Neue Zürcher Zeitung Tag für Tag ein umfassendes, transparentes und wahrheitsgemäßes Bild von der tatsächlichen Verbreitung und Schwere der Krankheit, statt anhand inhaltsleerer Infiziertenzahlen über eine ominöse zweite Welle zu schwadronieren. Nicht das schlechteste Vorbild für kritischen Qualitätsjournalismus!

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%