Arbeitsmarkt Bundesarbeitsgericht stuft Crowdworker als Arbeitnehmer ein

In dem vom Bundesarbeitsgericht verhandelten Fall sollte ein Crowdworker prüfen, wie Waren präsentiert werden.
Berlin Erstmals ist in Deutschland ein sogenannter Crowdworker, der sich als Soloselbstständiger auf einer Plattform um Kleinstaufträge bewirbt und diese abarbeitet, höchstrichterlich als Arbeitnehmer eingestuft worden. Das Bundesarbeitsgericht gab am Dienstag einem Kläger, der nicht als Selbstständiger behandelt werden wollte, teilweise recht.
„Das Urteil ist ein Paukenschlag“, sagt Marc André Gimmy, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing. Auch wenn die Entscheidung sich naturgemäß auf den verhandelten Fall beziehe, so werde sie möglicherweise doch „weitreichende Konsequenzen für die Plattformökonomie haben“.
Die Plattform, um die es ging, kontrolliert im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen. Die Arbeit lässt sie dabei durch Crowdworker ausführen, die beispielsweise Fotos von der Warenpräsentation machen und Fragen dazu beantworten. Diese Mikrojobs werden über die Plattform angeboten.
Der Kläger hatte zuletzt über elf Monate fast 3000 solcher Aufträge ausgeführt, etwa 15 bis 20 Stunden in der Woche, und dafür knapp 1800 Euro im Monat verdient. Nach einer Auseinandersetzung, ob die gelieferten Fotos brauchbar seien, deaktivierte die Plattform aber den Account des Crowdworkers und kündigte an, ihm keine weiteren Aufträge zu geben.
Unterstützt von der IG Metall zog der Betroffene vor Gericht. Er wollte feststellen lassen, dass er in Wahrheit als Arbeitnehmer bei der Plattform beschäftigt war und das Arbeitsverhältnis auch nicht beendet ist. Außerdem forderte er eine finanzielle Entschädigung für drei Monate, die Freischaltung seines Accounts und 22 Tage bezahlten Urlaub.
Anwälte pochten auf den Arbeitnehmerstatus
Die Anwälte hatten argumentiert, dass im vorliegenden Fall ein Arbeitnehmerstatus vorliegt. Sie begründeten dies unter anderem damit, dass der Kläger erhebliche Umsätze über die Plattform erzielt habe, in die Arbeitsorganisation eingebunden und an Weisungen gebunden gewesen sei.
Die Vorinstanzen hatten die Klage jedoch abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht entschied nun aber, dass der Kläger als Arbeitnehmer einzustufen sei. Nach Paragraf 611a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) hänge die Arbeitnehmereigenschaft davon ab, ob der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leiste.
Im konkreten Fall habe die Plattform die Zusammenarbeit so gesteuert, dass der Crowdworker Ort, Zeit und Inhalt seiner Tätigkeit nicht frei gestalten konnte. Der Kläger habe vielmehr „in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet“, schreibt das Bundesarbeitsgericht in seiner Presseerklärung zum Urteil.
Bei der Plattform beschäftigt ist der Kläger trotz des Urteils nicht mehr. Denn diese hatte ihm, obwohl kein Arbeitsvertrag bestand, vorsorglich gekündigt – für den Fall, dass der Kläger vor Gericht als Arbeitnehmer eingestuft werden sollte. Ob und in welcher Höhe dem Crowdworker noch Vergütung zusteht, muss nun das Landesarbeitsgericht München entscheiden, an das der Fall zurückverwiesen wurde..
Andrea Panzer-Heemeier, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Arqis in Düsseldorf, betont, dass das Urteil zunächst nur Bedeutung für diesen einen Crowdworker und seine konkreten Arbeitsbedingungen habe, nicht aber für alle Crowdworker. Es gehe nämlich um die alte Abgrenzungsfrage zwischen Arbeitnehmer und Soloselbstständigem – und die müsse immer im Einzelfall entschieden werden.
Anwalt Gimmy erwartet aber, dass Plattformen sich nach der Entscheidung der Erfurter Richter jetzt ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sehr genau ansehen werden. Sollten Crowdworker als Arbeitnehmer eingestuft werden, seien auch die sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen erheblich.
Arbeitsminister Heil will Rechte von Plattformbeschäftigten stärken
Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall und im Vorstand der Gewerkschaft für Crowdworking zuständig, begrüßte das Urteil. „Erstmals hat ein Gericht in Deutschland entschieden, dass ein Crowdworker kein Unternehmer sein muss, sondern Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer sein kann.“ Das sei zwar kein Präzedenzfall für alle Crowdworker. „Aber es sollte noch mehr Crowdworker ermutigen, ihren Status ebenfalls überprüfen zu lassen.“
Die IG Metall begrüße außerdem, dass das Bundesarbeitsministerium es Crowdworkern erleichtern wolle, ihren Arbeitnehmerstatus überprüfen zu lassen. Ressortchef Hubertus Heil (SPD) hatte am vergangenen Freitag entsprechende Eckpunkte vorgelegt.
Er will beispielsweise die Beweislast umkehren, wenn es Streit darüber gibt, welchen Status ein bei einer Plattform Beschäftigter hat. Bringt ein Soloselbstständiger Indizien dafür vor, dass er in Wahrheit wie ein Arbeitnehmer beschäftigt ist, dann liegt es an der Plattform, das Gegenteil zu beweisen.
„Wir werden nicht zulassen, dass die Rechte von online vermittelten Beschäftigten unter die Räder kommen, so wie wir das derzeit in den USA beobachten“, hatte Heil seinen Vorstoß und die Eckpunkte begründet.
Er will auch verhindern, dass Crowdworkern von heute auf morgen gekündigt werden kann – so wie in dem Fall, der jetzt vom Bundesarbeitsgericht entschieden wurde. Nach den Eckpunkten soll es künftig Mindestkündigungsfristen geben, abhängig davon, wie lange ein Beschäftigter schon für die Plattform gearbeitet hat. Auch die Anwendung anderer elementarer Schutzregelungen wie zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder zum Mutterschutz sei „naheliegend“, heißt es in den Eckpunkten.
Gemeinsam mit dem Justizministerium will das Arbeitsministerium zudem dafür sorgen, dass Plattformtätige ihre Vertragsbedingungen auf Augenhöhe mit den Betreibern aushandeln können. Dafür sollen Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die einseitig zulasten der Beschäftigten gehen, unkomplizierter gerichtlich überprüft werden können – beispielsweise, wenn es darum geht, willkürlich Konten zu sperren.
Auch den sozialen Schutz der Beschäftigten will Heil verbessern. Soloselbstständige sollen in die Alterssicherung einbezogen, die Plattformen an den Kosten beteiligt werden. Gleiches sei für weitere Sozialversicherungszweige zu prüfen, etwa eine Einbeziehung in die Unfallversicherung.
Ausgenommen werden sollen Betreiber von Onlinemarktplätzen und Plattformen, die sich auf reine Vermittlungstätigkeiten beschränken und keinen Einfluss auf die Vertragsgestaltung mit den Beschäftigten haben.
Die Plattformökonomie halte mehr und mehr Einzug in unseren Alltag, kommentierte die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe die Entscheidung und die Regulierungspläne ihrer Partei. „Das heißt, dass in Zukunft auch immer mehr Menschen in diesem Bereich arbeiten werden.“
Die Scheinselbstständigkeit, hinter der sich Plattformbetreiber vor ihrer Verantwortung wegduckten, müsse fallen. „Wir brauchen klare Regelungen für eine wirksame soziale Absicherung von Crowdworkerinnen und Crowdworkern.“
Mehr: Gewerkschafterin Christiane Benner: „Auch in der digitalen Welt muss Arbeit ihren Wert haben.“
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