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Arbeitsmarkt Der Mindestlohn wird zum Spielball der Politik

SPD, Grüne und FDP wollen die Lohnuntergrenze auf zwölf Euro anheben. Ökonomen melden Bedenken an – allerdings nicht an der Lohnhöhe.
19.10.2021 - 04:00 Uhr 4 Kommentare
Nach geltendem Recht entscheidet die Mindestlohnkommission alle zwei Jahre über die Lohnuntergrenze. Quelle: imago images/Mike Schmidt
Baerbock, Scholz und Lindner (v. l.)

Nach geltendem Recht entscheidet die Mindestlohnkommission alle zwei Jahre über die Lohnuntergrenze.

(Foto: imago images/Mike Schmidt)

Berlin Die Warnung von Andrea Nahles bei Einführung des Mindestlohns 2015 war eindringlich: Die Große Koalition habe sich bewusst entschieden, über künftige Anpassungen eine unabhängige Kommission entscheiden zu lassen, sagte die damalige SPD-Arbeitsministerin. Die politische Festsetzung der Lohnuntergrenze auf 8,50 Euro sollte eine einmalige Angelegenheit bleiben. Sonst öffne man „Willkür und Populismus Tür und Tor“.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz will davon nun nichts mehr wissen. Eine Ampelkoalition unter seiner Führung werde „den gesetzlichen Mindestlohn im ersten Jahr in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöhen“, heißt es im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP. Danach soll wieder die Mindestlohnkommission übernehmen.

Anders als bei Einführung der Lohnuntergrenze, als viele Ökonomen vor massenhaften Jobverlusten warnten, stoßen sich Kritiker aktuell nicht so sehr an der Lohnhöhe. „Die zwölf Euro wären für die Wirtschaft wahrscheinlich einigermaßen gut verkraftbar“, sagt der Direktor des Freiburger Walter-Eucken-Instituts und Ex-Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Lars Feld.

Er ist als wissenschaftlicher Berater Mitglied der Mindestlohnkommission. Seine Kritik sei eher ordnungspolitischer Natur: „Denn wir erleben genau die Politisierung, vor der wir im Sachverständigenrat damals bei Einführung des Mindestlohns gewarnt haben.“

Auch Ökonom Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) befürchtet, dass der Mindestlohn bei der nächsten Wahl in vier Jahren erneut zum politischen Spielball wird: „Die Linke hat ja jetzt bereits 13 Euro gefordert.“

Mindestlohn sollte ursprünglich bis Juli 2022 auf 10,45 Euro ansteigen

Nach geltendem Recht entscheidet die Kommission, die mit je drei Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, einem unabhängigen Vorsitzenden und zwei Wissenschaftlern ohne Stimmrecht besetzt ist, alle zwei Jahre über die Lohnuntergrenze. Dabei ist sie gehalten, sich „nachlaufend“ an der Tariflohnentwicklung zu orientieren. Ein angemessener Mindestschutz für Beschäftigte, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen und der Schutz vor Jobverlusten sind aber ebenfalls relevante Kriterien.

Bei seiner letzten Entscheidung Ende Juni 2020 hatte das Gremium beschlossen, den Mindestlohn von damals 9,35 Euro in vier Stufen bis Juli 2022 auf 10,45 Euro anzuheben. Aktuell liegt er bei 9,60 Euro brutto pro Stunde. SPD und Grünen war dieses Anpassungstempo nicht hoch genug, sie hatten die zwölf Euro in ihren Wahlprogrammen versprochen.

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Auch die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis, die selbst Mitglied der Kommission ist, hält es für richtig, wenn der Gesetzgeber jetzt erneut eingreift: „Wir sind damals mit den 8,50 Euro zu niedrig gestartet, und wenn wir uns weiter nur am Tariflohnindex orientieren, dann dauert es noch lange, bis wir zu den zwölf Euro kommen“, sagt die Gewerkschafterin.

Doch die ordnungspolitischen Bedenken sind groß. So wollen die möglichen Ampelkoalitionäre zwar den Mindestlohn anheben, bekennen sich in ihrem Sondierungspapier aber gleichzeitig dazu, die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung zu stärken.

Eingriff in gut 190 Tarifverträge

Dabei hat Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger darauf hingewiesen, dass die Politik mit einer Festlegung auf zwölf Euro in mehr als 190 Tarifverträge eingreifen und über 570 tariflich ausgehandelte Lohngruppen überflüssig machen würde.

Eine politische Festlegung auf zwölf Euro sei nicht nur „ein schwerer Eingriff in die Tarifautonomie“, sondern würde auch „eine enorme Lohnspirale nach oben erzeugen und somit den Arbeitsmarkt für Geringqualifizierte unheimlich erschweren“, fürchtet Dulger. Gewerkschafterin Kocsis hält dem entgegen, es sei bedauerlich, „dass die Bindekraft von Tarifverträgen so gering ist, dass wir überhaupt Löhne gesetzlich regeln müssen“.

„Wir dürfen den Mindestlohn nicht für die Sozialpolitik missbrauchen“, mahnt der Ökonom. Quelle: dpa
Lars Feld

„Wir dürfen den Mindestlohn nicht für die Sozialpolitik missbrauchen“, mahnt der Ökonom.

(Foto: dpa)

Kanzlerkandidat Scholz hatte versprochen, „für zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger eine Gehaltserhöhung zu organisieren“ – und sieht dies auch als Beitrag zur Armutsbekämpfung im Erwerbsleben und im Alter. Jeder, der arbeitet, soll von seinem Verdienst auch leben können.

Dieses Konzept des sogenannten „Living Wage“ klinge zwar zunächst nach einer legitimen Forderung, sagt IW-Ökonom Schäfer. „Aber als Instrument der Existenzsicherung ist der Mindestlohn ungeeignet.“ Denn ob ein Beschäftigter mit dem Verdienst über die Runden komme, hänge ja nicht nur vom Stundenlohn ab, sondern beispielsweise auch von den geleisteten Arbeitsstunden oder der Zahl der zu versorgenden Haushaltsmitglieder.

„Wir dürfen den Mindestlohn nicht für die Sozialpolitik missbrauchen“, mahnt auch Ökonom Feld. Er glaubt nicht, dass die Mindestlohnkommission nach der politischen Festsetzung auf zwölf Euro einfach so weitermachen wird wie bisher.

Wenn jetzt Mindestlohnsteigerungen jenseits des Tariflohnindex vorweggenommen würden, verändere das sicher auch die Entscheidungsfindung in der Kommission, erwartet er. „Ich könnte mir vorstellen, dass die Bereitschaft, die Lohnuntergrenze im Jahr 2023 dann erneut anzuheben, deutlich gemindert wird.“

Mehr: „Hier wird der Staat übergriffig“ – Zweifel an Spahns Tariftreue-Gesetz für die Pflege mehren sich.

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4 Kommentare zu "Arbeitsmarkt: Der Mindestlohn wird zum Spielball der Politik"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • 12 Euro sind vor dem Hintergrund der mehr oder weniger schleichenden Enteignung ein Witz.
    Wenn die Löhne nicht merklich anziehen fehlt Kaufkraft für all die Konsumgüter, welche nach 2 Jahren ihrer Sollbruchstelle zum Opfer fallen.

    Was eine schäbige Scheindebatte!

    Hauptsache die Gurken und Bananen haben Einheitsmaß.

  • @Herr O. Sommer
    Die Unternehmen müssen erstmal die hohen CO2 Abgaben schultern, dann die deutlich gestiegenen Rohstoff- und Halbfertigwaren- Preis, dazu kommen noch die eh schon massiven Regulierungen und der damit verbunden bürokratische Aufwand. Fragen Sie doch einfach mal die Chefsekretärin oder einen Milchbauern vor Ort!
    Andererseits ist es inzwischen schon egal, ob 9, 10 oder 12 Euro, die Arbeitsplätze wegen des Standortnachteils Deutschlands werden verschwinden.

  • Für Unternehmen die sich am Mindestlohn orientieren um ihre Beschäftigten zu bezahlen, wird es endlich Zeit diesen auf 12 Euro anzuheben. Ständig das genörgel der AG es sei kein Geld da. Guckt man in die Bilanzen sieht es dann ganz anders aus. Ich spreche hier speziell von dem Unternehmen in dem ich beschäftigt bin.

  • Und, lieber Herr Olaf Scholz, werden dann die Renten auch so sprunghaft steigen?

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