Arbeitsmarkt Einstellungsbereitschaft geht zurück – besonders in Berufen mit Fachkräftemangel

Die Industrie, die laut Statistischem Bundesamt auf dem dicksten Auftragspolster seit Einführung der entsprechenden Statistik im Jahr 2015 sitzt, stellt kräftig ein.
Berlin Die Corona-Unsicherheit und Engpässe bei der Materialversorgung trüben nicht nur die Konjunkturaussichten, sondern dämpfen auch die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen. Das Ifo-Beschäftigungsbarometer ist im Juli auf 102,4 Punkte gesunken, nach 103,8 Zählern im Vormonat. Es basiert auf den Beschäftigungsabsichten von rund 9000 Unternehmen und wird monatlich exklusiv für das Handelsblatt berechnet.
Einen kräftigen Sprung nach oben hat der Indikator für das verarbeitende Gewerbe gemacht. Die Industrie, die laut Statistischem Bundesamt auf dem dicksten Auftragspolster seit Einführung der entsprechenden Statistik im Jahr 2015 sitzt, stellt kräftig ein. Ifo-Experte Klaus Wohlrabe sagte: „Unter anderem die chemische Industrie sucht vermehrt Mitarbeiter.“ Auch der Handel erholt sich langsam von den monatelangen Schließungen und nimmt bei den Neueinstellungen Fahrt auf.
Einen deutlichen Dämpfer zeigt das Barometer dagegen im Dienstleistungsbereich, besonders Personaldienstleister hielten sich mit Einstellungen zurück, erläutert Wohlrabe. Die Entwicklung in der Zeitarbeit gilt als Frühindikator für die Beschäftigungslage insgesamt. Der Ifo-Experte ist aber überzeugt, dass die Erholung auf dem deutschen Arbeitsmarkt weitergeht, wenn auch langsamer.
Am Montag war das Ifo-Geschäftsklima überraschend gesunken. Während die befragten Unternehmen ihre aktuelle Lage als gut bewerten, werden die Zukunftserwartungen durch Lieferschwierigkeiten und die steigenden Neuinfektionen getrübt.
Dennoch hat der Arbeitsmarkt bis heute schon einen guten Teil des Corona-Schocks wettgemacht. Darauf deutet auch der aktuelle Report des beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) angesiedelten Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa) hin, der dem Handelsblatt vorliegt.
Der Zuwachs offener Stellen ist im Gastgewerbe am größten
So lag die Zahl der offenen Stellen im Juni mit 1,17 Millionen saisonbereinigt schon wieder um 27,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats, aber immer noch knapp neun Prozent unter dem Juniwert des Vorkrisenjahrs 2019.
Den größten Zuwachs bei den offenen Stellen gab es zwischen März und Juni mit fast elf Prozent im Bereich „kaufmännische Dienstleistungen, Warenhandel, Vertrieb, Hotel und Tourismus“. Einzelhändler, Gastronomen oder Reiseveranstalter, die lange unter dem Lockdown gelitten hatten, stellen wieder ein. Allerdings liegt die Zahl der offenen Stellen immer noch um 4,3 Prozent unter dem Niveau vom März 2020, als die Coronakrise begann.
Unter den fünf Berufen mit dem größten Stellenzuwachs in den vergangenen drei Monaten sind sowohl auf Fachkräfte- als auch auf Spezialistenniveau gleich mehrere aus dem Bereich Hotellerie und Gastronomie.
Auch in der Verkehrs- und Logistikbranche sowie im Sicherheitsgewerbe ist die Zahl offener Stellen im zweiten Quartal kräftig gestiegen, auch wenn sie noch um knapp zwölf Prozent unter dem Wert vom März 2020 liegt.
In fast allen übrigen Wirtschaftsbereichen ist dagegen das Vorkrisenniveau bereits wieder erreicht oder übertroffen. Die größten Fachkräfteengpässe finden sich weiter im Bereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung.
Für gut jede zweite der offenen Stellen gibt es keinen entsprechend qualifizierten Arbeitslosen. Von den Berufen, in denen seit März die größten Stellenzuwächse verzeichnet wurden, gibt es aktuell nur bei den Mechatronikern und bei den qualifizierten Gastronomie-Servicekräften Engpässe. Hier kommen auf 100 offene Stellen jeweils weniger als 100 entsprechend qualifizierte Arbeitslose.

Barkeeper ist einer der Berufe, in denen im zweiten Quartal der größte Zuwachs an offenen Stellen verzeichnet wurde.
Besonders stark zurückgegangen ist das Stellenangebot zuletzt beispielsweise in der Hörgeräteakustik, der Geburtshilfe, der Medizin- und Rehatechnik oder auch der Technischen Informatik – alles Berufe, in denen schon heute Fachkräftemangel herrscht.
Im Kofa-Report heißt es: „Erwartbare Nachholeffekte in der Zukunft könnten dazu führen, dass sich die Engpassrelation in den Berufen weiter verschärft und eine Stellenbesetzung durch den Mangel an Fachkräften noch schwieriger wird.“
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