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Arbeitsmarkt Leere Versprechung: Scharfe Kritik an Heils EU-Entsenderichtlinie

Der Linken geht die nationale Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie nicht weit genug. Die Arbeitgeber stören sich hingegen an dem nötigen „Bescheinigungswahnsinn“.
16.03.2020 - 01:00 Uhr Kommentieren
Auf dem Bau arbeiten besonders viele aus dem EU-Ausland entsandte Arbeitnehmer. Quelle: dpa
Baustelle

Auf dem Bau arbeiten besonders viele aus dem EU-Ausland entsandte Arbeitnehmer.

(Foto: dpa)

Berlin „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – für alle in Europa: Lohndumping verhindern“ – so hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Mai 2019 seine Eckpunkte zur EU-Entsenderichtlinie überschrieben. Mit seinem Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett Mitte Februar beschlossen hatte, werde Heil diesem Anspruch aber nicht gerecht, kritisiert der Gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion, Pascal Meiser: „Den vollmundigen Ankündigungen, grenzübergreifendes Lohndumping entschieden zurückzudrängen, will die Bundesregierung offenkundig keine Taten folgen lassen“, sagte Meiser dem Handelsblatt.

Die Zahl der EU-Bürger, die von ihren Unternehmen zeitweise zum Arbeiten nach Deutschland entsandt werden, hatte vor allem nach der EU-Osterweiterung stark zugenommen. Wurden 2010 nur gut 250.000 sogenannte A1-Bescheinigungen zur Einreise nach Deutschland ausgestellt, waren es im Jahr 2018 knapp 429.000. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage von Meiser hervor. Mit der A1-Bescheinigung weist ein entsandter Arbeitnehmer nach, dass er in seiner Heimat sozialversichert ist.

Angesichts der stark gestiegenen Zahlen hatte die EU im Jahr 2018 die Revision der Entsenderichtlinie aus dem Jahr 1996 verabschiedet und den Mitgliedstaaten bis Mitte 2020 Zeit gegeben, das nationale Recht entsprechend anzupassen. Bisher haben Entsandte nur Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn in ihrem Zielland. Ziel der Reform ist, sie inländischen Arbeitnehmern mit Blick auf die Entlohnung und anderer Arbeitsbedingungen weitestgehend gleichstellen – ihnen also etwa auch Branchenmindestlöhne zu zahlen oder sie bei Reisekosten gleichzustellen, wenn sie in Deutschland beispielsweise von einer Baustelle zur nächsten fahren müssen.

Aus Meisers Sicht bleibt Heils Entwurf aber weit hinter den Möglichen zurück. So sollen nur bundesweit gültige Tarifverträge, die vom Staat allgemeinverbindlich erklärt wurden, auch für Entsandte Beschäftigte gelten, nicht aber regionale. Nur wenn ein Arbeitnehmer länger als zwölf Monate – oder mit Verlängerungsoption länger als 18 Monate – entsandt wird, sollen alle am Beschäftigungsort geltenden Regelungen greifen.

Bundesregierung muss nachbessern

Solch lange Verweildauern sind aber die Ausnahme. Nach den bisher für 2019 vorliegenden und noch unvollständigen Zahlen über erteilte A1-Bescheinigungen geht das Arbeitsministerium davon aus, dass lediglich 9,8 Prozent der von ihrem Unternehmen nach Deutschland geschickten Beschäftigten für mehr als zwölf Monate und sogar nur 8,8 Prozent für mehr als 18 Monate entsandt werden.

Die Bundesregierung müsse deshalb dringend nachbessern, fordert Meiser. „Für entsandte Beschäftigten müssen in Deutschland von Anfang an die gleichen Arbeitsbedingungen und allgemeinverbindlichen Tarifverträge gelten wie für einheimische Beschäftigte. Alles andere ist Augenwischerei.“

Dagegen kritisiert die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dass durch die Revision der Entsenderichtlinie der grenzüberschreitende Mitarbeitereinsatz innerhalb der Europäischen Union noch komplexer und bürokratischer werde. „Die Entsenderichtlinie steht in unionsrechtlichem Widerspruch zu den europäischen Grundfreiheiten“, schrieb die BDA im Dezember vergangenen Jahres in ihrer Stellungnahme zum geplanten Gesetz. Der Einsatz von Mitarbeitern im Ausland werde dadurch teurer und rechtsunsicherer, da teilweise erhebliche Sanktionen bei Verstößen drohten.

Deutschland ist nicht nur Hauptzielland für entsandte Beschäftigte aus der EU, sondern auch selbst zweitgrößter Entsender. Laut EU-Kommission stellten deutsche Behörden 2018 knapp 476.000 A1-Bescheinigungen aus, die für grenzüberschreitende Entsendungen erforderlich sind. Nur Polen kommt mit mehr als 600.000 auf eine höhere Zahl.

Die Arbeitgeber fordern deshalb schon lange eine Entlastung von bürokratischen Pflichten. Denn nicht nur für längere Auslandsaufenthalte muss bei der Kranken- oder Rentenversicherung elektronisch eine A1-Bescheinigung beantragt werden, sondern auch für Verkaufsgespräche, Messebesuche oder die Teilnahme an Meetings, Trainings oder Seminaren, die oft nur wenige Tage oder manchmal sogar nur Stunden dauern.

Unternehmen und Beschäftigte verunsichert

Außerdem gelten von EU-Land zu EU-Land unterschiedliche Vorschriften, was die Mitführungspflichten und Kontrollen angeht. Besonders streng sind Frankreich und Österreich, die verstärkt kontrollieren und wo hohe Strafen drohen. „Dieser A1-Bescheinigungswahnsinn verunsichert unsere Unternehmen ebenso wie die Beschäftigten“, kritisiert BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. „Es kann doch nicht sein, dass diese praxisfernen Regularien eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union – nämlich den Binnenmarkt – derart einschränken.“

Die Arbeitgeber appellieren deshalb an die Entscheider auf europäischer Ebene, „normale Dienstreisen“ und die meisten kurzzeitigen Tätigkeiten generell von der Beantragung irgendwelcher Bescheinigungen zu befreien. Ein Vorstoß der EU-Kommission, die Pflicht zur A1-Bescheinigung im Rahmen der Überarbeitung der Regeln zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit abzuschaffen, war im vergangenen Jahr gescheitert.

Im Februar hatten sich Arbeitsminister Heil und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) per Brief mit der Forderung an das EU-Parlament gewandt, dass bei einer Tätigkeit von maximal sieben bis 30 Tagen künftig „grundsätzlich auf eine vorherige Beantragung einer A1-Bescheinigung verzichtet werden“ solle.

Mehr: Die Bundesregierung will die kurzfristige Entsendung von Beschäftigten ins EU-Ausland erleichtern – gegen den Widerstand der Gewerkschaften.

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