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Arbeitsmarkt Raus aus der Minijobfalle: So lassen sich Arbeitsanreize erhöhen und Geringverdiener entlasten

Minijobber sind sozial nicht abgesichert, und Mehrarbeit lohnt sich für sie finanziell kaum. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, wie eine grundlegende Reform aussehen könnte.
23.06.2021 - 05:00 Uhr 1 Kommentar
Der Job an der Kasse im Supermarkt ist zwar systemrelevant, wird aber viel zu gering entlohnt. Quelle: dpa
Kassiererin im Supermarkt

Der Job an der Kasse im Supermarkt ist zwar systemrelevant, wird aber viel zu gering entlohnt.

(Foto: dpa)

Berlin Zwei Probleme haben sich in der Coronakrise wie unter dem Brennglas gezeigt. Erstens: Minijobber fallen durch das soziale Netz, weil sie nicht in die Sozialversicherung einzahlen und entsprechend auch keinen Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld erwerben. Rund 870.000 von ihnen haben bis Ende 2020 im Zuge der Pandemie ihre Arbeit verloren.

Und zweitens: Corona hat gezeigt, dass Jobs an der Supermarktkasse oder in der Logistik systemrelevant sind. An der geringen Bezahlung der Kassiererin oder des Paketauslieferers ändert Applaus allein aber noch nichts.

Beide Probleme ließen sich mit einer grundlegenden Reform geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse lösen. Wie das funktionieren kann, zeigen die Ökonomen Tom Krebs von der Universität Mannheim und Martin Scheffel von der Universität Bonn in einer Studie für die Bertelsmann Stiftung.

Für Minijobber lohnt sich eine Ausweitung der Arbeitszeit bisher finanziell kaum

Die Ökonomen schlagen vor, den weitgehend steuer- und abgabenfreien Minijob abzuschaffen; vom ersten verdienten Euro an würden also Sozialversicherungsbeiträge fällig. Außerdem zeigen sie, wie sich durch eine Entlastung unterer Einkommensgruppen zusätzliche Beschäftigungsanreize setzen ließen.

Das Problem beim Minijob ist, dass zwar bis zur Verdienstschwelle von 450 Euro für den Beschäftigten keine Abgaben fällig werden, brutto also gleich netto ist, die Durchschnittsbelastung danach aber sprunghaft von null auf 10,6 Prozent steigt. Dies führt dazu, dass sich eine Ausweitung der Arbeitszeit finanziell kaum lohnt, Beschäftigte stecken in der „Minijobfalle“.

Die Große Koalition hatte deshalb bereits 2019 die sogenannte „Gleitzone“ erweitert, mit der der harte Übergang vom Minijob zum normalen Beschäftigungsverhältnis abgefedert wird. Wurde die volle durchschnittliche Beitragsbelastung von rund 20 Prozent bis dahin schon bei 850 Euro Verdienst erreicht, so liegt die Schwelle aktuell bei 1300 Euro.

Nach den Berechnungen von Krebs und Scheffel werden durch diese Reform rund 13,3 Prozent der Erwerbspersonen entlastet, meist aber nur moderat. Weil der Minijob an sich nicht angetastet wurde, bleibt der sprunghafte Anstieg der Sozialabgaben an der 450-Euro-Schwelle bestehen – und damit der fehlende Anreiz für eine Erhöhung des Arbeitsvolumens. Auch werden Einkommen oberhalb von 1300 Euro kaum entlastet.

Die Reform sei ein Schritt in die richtige Richtung, greife aber zu kurz, schreiben die Autoren. Sie haben deshalb eine erste Variante durchgerechnet, bei der schon ab dem ersten verdienten Euro Sozialabgaben fällig werden. Die Durchschnittsbelastung steigt dabei linear von null auf 20,2 Prozent an, die am Ende des heutigen Übergangsbereichs, also bei einer Verdienstschwelle von 1300 Euro, erreicht werden.

In diesem Modell würden 13,3 Prozent der Erwerbspersonen entlastet und 8,1 Prozent belastet – vor allem geringfügig Beschäftigte mit geringer Wochenarbeitszeit. Der Anreiz, mehr zu arbeiten, würde steigen. Nach der Simulation der beiden Ökonomen könnten so bis 2030 neue Jobs entstehen, die knapp 15.000 Vollzeitäquivalenten entsprechen.

Letzte Reform der Großen Koalition greift zu kurz

Die erwarteten Beschäftigungseffekte wären damit deutlich größer als die der Reform von 2019, die bis 2030 rund 2000 zusätzliche Vollzeitäquivalente erwarten lässt. Mehrausgaben und Mindereinnahmen für die öffentliche Hand halten sich in etwa die Waage.

Zunächst teuer für den Staat würde Variante zwei, bei der die Durchschnittsbelastung ebenfalls linear ansteigt, die volle Höhe aber erst bei einem Verdienst von 1800 Euro erreicht wird. Diese Schwelle entspricht ungefähr der oberen Niedriglohngrenze für Vollzeitbeschäftigte, sodass in diesem Modell fast alle Geringverdiener entlastet würden.

Dies würde den Staat im ersten Jahr rund 4,5 Milliarden Euro kosten. Die Mehreinnahmen wachsen aber stetig an und würden ab 2041 die Kosten übersteigen. Durch die Reformvariante zwei würde mehr als ein Viertel der Erwerbspersonen entlastet, 8,1 Prozent würden belastet.

Mit rund 65.000 Vollzeitäquivalenten wären die Beschäftigungseffekte bis 2030 mit Abstand am größten. Auch würde das Modell – im Gegensatz zum Status quo und zu Variante eins – auch zu einer signifikanten Entlastung von Vollzeitbeschäftigten führen und nicht nur überwiegend von Teilzeitbeschäftigten.

Insbesondere für Geringqualifizierte, Alleinerziehende und Mütter lohnte sich dann eine Ausweitung der Beschäftigung auch über einen Minijob hinaus. Mit einem Monatsverdienst von 1000 Euro würden statt aktuell 187 Euro nur noch gut 112 Euro für Sozialabgaben fällig.

Grüne, SPD und Linke wollen Minijobs abschaffen, Union und FDP die Verdienstgrenzen anpassen

„Wir haben jetzt die Chance, die Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umzuwandeln“, sagt Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung. So entstehe Arbeit mit der Sicherheit und Anerkennung, die alle Beschäftigten verdienten.

Nach der Bundestagswahl wird sich zeigen, ob es eine Mehrheit für „beherzte arbeitsmarktpolitische Reformen“ gibt, wie Dräger und die Studienautoren sie einfordern. Grüne, SPD und Linke wollen Minijobs abschaffen, mit Ausnahmen für bestimmte Gruppen wie Rentner oder Studierende, die sich etwas hinzuverdienen wollen. Nach Vorstellung der Sozialdemokraten sollen zudem Verdienste bis 1600 Euro entlastet werden.

CDU/CSU und FDP halten am Minijob fest, sehen aber Reformbedarf. Die Union will die Minijobgrenze in einem ersten Schritt von 450 auf 550 Euro im Monat erhöhen und sie anschließend mit Blick auf die Entwicklung des Mindestlohns regelmäßig anpassen.

Auch die Liberalen werben dafür, die Grenze von Mini- und Midijobs bis 1300 Euro Verdienst an die Entwicklung des Mindestlohns zu koppeln. Denn mit den bisherigen starren Grenzen verringert sich bei jeder Erhöhung der gesetzlichen Lohnuntergrenze die Zahl der Arbeitsstunden, die Mini- beziehungsweise Midijobber arbeiten dürfen.

Mehr: Blick ins Wahlprogramm: Mit diesen Versprechen will die Union bei den Wählern punkten

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1 Kommentar zu "Arbeitsmarkt: Raus aus der Minijobfalle: So lassen sich Arbeitsanreize erhöhen und Geringverdiener entlasten"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • "Grüne, SPD und Linke wollen Minijobs abschaffen, mit Ausnahmen für bestimmte Gruppen wie Rentner oder Studierende, die sich etwas hinzuverdienen wollen."

    Und ausgerechnet für Rentner und Studierende ist die Minijob-Regelung nachteilig, weil der Arbeitgeber 28 % pauschale Sozialabgaben zahlen muss, die er sich sparen könnte wenn die Minijob-Regelung nicht mehr Vorrang hätte.

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