Hubertus Heil zu Kurzarbeit in Deutschland: Sozialabgaben sollen bis Ende 2021 erstattet werden
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Arbeitsminister im InterviewHeil zu Sozialbeiträgen nach der Krise: „Ich sage jetzt nicht, wir frieren alles ein“
Der Arbeitsminister kündigt an, dass die Erstattung der Abgaben bei der Kurzarbeit verlängert wird. Das hilft den Arbeitgebern. Eine dauerhafte Sozialgarantie will Heil aber nicht abgeben.
Bei der Bundestagswahl gehe es laut Heil nicht um Dankbarkeit für das, was man leistet, sondern um die Frage, wem die Menschen in den nächsten Jahren das Land anvertrauen.
(Foto: Valerie Schmidt für Handelsblatt)
Berlin Arbeitgebern sollen bis Ende des Jahres die Sozialversicherungsbeiträge für Kurzarbeiter in voller Höhe erstattet werden. Das kündigt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Interview mit dem Handelsblatt an. Der Handel, die Gastronomie oder die Veranstaltungsbranche litten weiterhin sehr unter dem Lockdown, sagte Heil.
Und in manchen Betrieben gebe es nach wie vor Schwierigkeiten, weil beispielsweise Halbleiter fehlten. „Ich will deshalb, dass wir die Möglichkeiten der Kurzarbeit in vollem Umfang bis zum Jahresende verlängern. Dazu habe ich einen Verordnungsentwurf erarbeitet, den wir gerade in der Regierung abstimmen“, sagte Heil.
Bislang gilt, dass die Sozialversicherungsbeiträge für Kurzarbeiter in voller Höhe nur noch bis Ende Juni erstattet werden. Für Betriebe, die bis zur Jahresmitte Kurzarbeit eingeführt haben, sah die ursprüngliche Regelung danach nur noch eine hälftige Erstattung bis Jahresende vor. Dies soll nun geändert werden.
Heil bekannte sich zur Selbstverpflichtung der Bundesregierung, die Sozialbeiträge nicht über die Marke von 40 Prozent steigen zu lassen. Diese sogenannte Sozialgarantie gelte „für die Zeit der Krise“, sagte der Arbeitsminister. „Auch darüber hinaus wollen wir die Beiträge stabil halten. Aber ich sage jetzt nicht, wir frieren alles ein.“
Sollte die SPD auch an der künftigen Bundesregierung beteiligt sein, werde er dafür sorgen, dass der Mindestlohn rasch auf zwölf Euro angehoben werde: Die gesetzliche Lohnuntergrenze habe zu einem Anstieg der Löhne im unteren Bereich geführt, aber der Abstand zu den mittleren Einkommen habe sich bisher nicht verringert, sagte Heil.
Lagerarbeiter oder Pflegehelferinnen rackerten sich ab, aber kämen mit dem Geld nicht über die Runden, sagte Heil. „Deshalb ist es konsequent, für den Mindestlohn 60 Prozent des mittleren Einkommens zugrunde zu legen.“ Dieses Kriterium wolle er der Mindestlohnkommission für künftige Entscheidungen mitgeben.
Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Herr Heil, die SPD will sich jetzt auch als Klimapartei etablieren. Sollten Sie Arbeitsminister bleiben, müssen Sie dann nicht den Motorenschraubern und Kohleförderern im Tagebau erklären, dass sie ihren Job jetzt noch früher verlieren? Die ambitionierten Klimaschutzziele stellen die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt vor erhebliche Herausforderungen. Dieser Wandel gelingt nur mit Innovationen und einer aktiven Industriepolitik. Nur so können wir Wohlstand und Arbeitsplätze sichern und gleichzeitig dafür sorgen, dass es nicht zu sozialen Brüchen kommt. Deshalb haben wir beim Kohleausstieg beschlossen, dass wir in den Strukturwandel und zukunftsfähige Arbeitsplätze investieren.
Vita Hubertus Heil
Auch wenn die Umfragen es nicht hergeben, glaubt Hubertus Heil fest daran, dass die SPD mit Olaf Scholz den nächsten Kanzler stellt. Es geht auch um sein eigenes politisches Schicksal. Der 48-jährige Politikwissenschaftler sitzt seit 1998 als direkt gewählter Abgeordneter für den niedersächsischen Wahlkreis Gifhorn-Peine im Bundestag. Der Arbeitsminister, der seit 1988 SPD-Mitglied ist, war zweimal Generalsekretär seiner Partei und ist Vizeparteichef.
Heil hält die Chancengerechtigkeit hoch, für die seine Partei steht. Ihm selbst ist als Sohn einer alleinerziehenden Mutter der Aufstieg aus einfachen Verhältnissen gelungen. Wie auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bildungsministerin Anja Karliczek hat Heil an der Fernuniversität Hagen studiert und dort sein Studium abgeschlossen.
Wird der Kohlekompromiss jetzt wieder aufgekündigt? Es bleibt beim Kohleausstieg, und die Regionen können sich auf die Zusagen verlassen. Wir dürfen Klimaschutz und Arbeitsplätze nicht gegeneinander ausspielen. Wenn die Transformation gelingen soll, müssen wir zudem massiv die erneuerbaren Energien, die Infrastrukturen und die Wasserstofftechnologie ausbauen. Und auf dem Arbeitsmarkt müssen wir den Beschäftigten von heute die Chance geben, die Arbeit von morgen zu machen. Ich will ein Recht auf Weiterbildung schaffen. Es geht um ein Sicherheitsversprechen für alle Beschäftigten, sich neue Qualifikationen aneignen zu können oder im Zweifelsfall auch das Recht, einen neuen Beruf zu lernen. So verhindern wir Arbeitslosigkeit im Wandel, bevor sie entsteht, und sichern die Fachkräftebasis. Die Arbeitslosenversicherung wird so zur Arbeitsversicherung, Deutschland wird damit zur Weiterbildungsrepublik.
All das wollen die Grünen auch … Wollen reicht nicht. Man muss es auch können. Dabei darf man die Herausforderung der Transformation nicht unterschätzen. Es reicht nicht, nur immer Ziele aufzustellen, ohne zu sagen, wie man die erreicht. Deutschland hat eine industrielle Wertschöpfung von fast 23 Prozent. Deutschland muss ein innovatives Industrieland bleiben.
Und die Grünen wollen Deutschland deindustrialisieren? Ich glaube nicht, dass sie das wollen. Aber Theorie und Praxis passen oft nicht zusammen, wenn ich mir etwa anschaue, wie langsam der Windkraftausbau im grün regierten Baden-Württemberg vorangeht. Wenn Deutschland ein klimafreundlicheres Industrieland werden soll, ist der Ausbau von Infrastruktur zentral. Und da kann man nicht jeder Bürgerinitiative hinterherlaufen, die dagegen ist.
Zunächst einmal gilt es, Beschäftigte durch die Coronakrise zu retten. Ende Juni läuft bei der Kurzarbeit die volle Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitgeber aus. Wird sie verlängert? Kurzarbeit hat in dieser Krise dafür gesorgt, über zwei Millionen Arbeitsplätze zu sichern. Viele Industriebranchen laufen bereits wieder sehr gut, auch dank der Auslandsnachfrage. Der Handel, die Gastronomie oder die Veranstaltungsbranche leiden aber nach wie vor sehr unter dem Lockdown. Und in manchen Betrieben gibt es nach wie vor Schwierigkeiten, weil etwa Halbleiter fehlen. Ich will deshalb, dass wir die Möglichkeiten der Kurzarbeit in vollem Umfang bis zum Jahresende verlängern. Dazu habe ich einen Verordnungsentwurf erarbeitet, den wir gerade in der Regierung abstimmen.
Demonstrantin vor dem Kanzleramt in Berlin
Die demografische Herausforderung treffe Deutschland vor allem in den Jahren 2025 bis 2040, wenn die Babyboomer das Rentenalter erreichten, so Heil.
(Foto: Stefan Boness/Ipon)
Die Klimaziele wurden nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verschärft, das mehr Generationengerechtigkeit beim Klimaschutz einfordert. Gibt Ihnen das auch für den Sozialstaat zu denken? Gerade weil wir in den nächsten Jahren einen rasanten digitalen und wirtschaftlichen Wandel erleben werden, brauchen wir einen starken Sozialstaat. Damit die sozialen Sicherungssysteme für alle Generationen tragfähig und leistungsstark sind, brauchen wir wirtschaftliches Wachstum und eine gute Entwicklung am Arbeitsmarkt. Je mehr Menschen arbeiten und je höher die Löhne sind, desto stabiler entwickeln sich auch die Sozialversicherungen. Es gibt aber in der Sozialpolitik einen Unterschied zur Klimapolitik: Der menschengemachte Klimawandel ist irreversibel, wenn langfristige Klimaziele verfehlt werden. In der Sozialpolitik wird es hingegen immer wieder notwendig sein, nachzusteuern.
Ist das wirklich so? Wir pulvern doch immer mehr ins Rentensystem, während die jüngere Generation, Stichwort Bildungssystem, zu kurz kommt. Soziale Sicherheit im Alter gegen bessere Bildungschancen für Jüngere auszuspielen ist der falsche Weg. Alle Generationen brauchen einen leistungsfähigen Sozialstaat, der die Gesellschaft zusammenhält. Ich habe im Übrigen in meinem Zuständigkeitsbereich Beiträge nicht nur stabil gehalten, sondern sogar gesenkt …
Für die Generationsgerechtigkeit weiter blicken
… dafür stützt der Bund die Arbeitslosenversicherung mit Steuermilliarden, und der Bundeszuschuss für die Rentenversicherung hat die 100-Milliarden-Euro-Marke durchbrochen. Wir halten den Arbeitslosenversicherungsbeitrag durch Zuschüsse bei historisch niedrigen 2,4 Prozent, weil es kontraproduktiv wäre, in der Krise den Beitrag zu erhöhen. Gleichzeitig helfen wir Unternehmen und Beschäftigten mit der Kurzarbeit, gut durch die Krise zu kommen. Und der Rentenversicherungsbeitrag liegt niedriger als zu Zeiten Helmut Kohls und ist bis 2025 festgelegt.
Ist denn die Sozialgarantie zu halten, nach der die Sozialbeiträge bei unter 40 Prozent stabilisiert werden sollen? Die Sozialgarantie gilt für die Zeit der Krise. Mit den Zuschüssen in die Arbeitslosenversicherung sorgen wir auch dafür, dass es nach der Krise nicht zu massiven Beitragssprüngen kommt. Auch darüber hinaus wollen wir die Beiträge stabil halten. Aber ich sage jetzt nicht, wir frieren alles ein.
Bei der Rente reicht der Planungshorizont derzeit nur bis 2025. Müsste man – auch im Sinne der Generationengerechtigkeit – nicht darüber hinausblicken? Wir haben jetzt die doppelte Haltelinie beim Rentenniveau und den Beiträgen. Und die Rentenkommission empfiehlt so etwas auch für die Zukunft, auch wenn es über die Höhe unterschiedliche Ansichten gibt. Die demografische Herausforderung trifft uns vor allem in den Jahren 2025 bis 2040, wenn die Babyboomer das Rentenalter erreichen. Wenn in dieser Zeit möglichst viele Menschen arbeiten, bleibt das System stabil.
Aber wäre es nicht an der Zeit, den Menschen reinen Wein einzuschenken? Irgendjemand muss die Rente der Babyboomer ja bezahlen. Sie haben ja kein Füllhorn. Es geht bei der Rente nicht um ein Füllhorn, sondern um die Anerkennung von Lebensleistung und Sicherheit im Alter. In der Vergangenheit sind ja schon harte Entscheidungen getroffen worden. Etwa die, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter auf 67 Jahre steigt. Und wenn Sie mich jetzt fragen, ob es weiter steigen sollte, dann sage ich Nein. Die Vorstellung, dass man mit 70 noch im Krankenhaus arbeiten kann, können nur Menschen haben, die nie im Krankenhaus gearbeitet haben.
Im Krankenhaus vielleicht nicht, im Bürojob schon … Ich bin für flexible Übergänge in den Ruhestand. Dafür haben wir ja schon die Flexirente geschaffen.
Bisher setzte die Rentenpolitik auch auf ergänzende Vorsorge. Die Riester-Rente ist gerade 20 Jahre alt geworden. Aber ist sie nicht eigentlich tot? Das System muss grundlegend reformiert werden. Aber Union und SPD haben da sehr unterschiedliche Vorstellungen. Für mich bleibt die gesetzliche Rente die tragende Säule der Altersvorsorge, ergänzt um betriebliche oder private Vorsorge.
Das Betriebsrentenstärkungsgesetz hat auch nicht viel gebracht. Das Sozialpartnermodell wirkt nicht, es ist bisher nur eines abgeschlossen worden. Ich will, dass wir gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften diesen Weg konsequent weiterentwickeln, weil es gut ist, wenn Menschen neben der gesetzlichen Rente im Alter abgesichert sind.
Die Pandemie stellt den Zusammenhalt auf eine schwere Probe, die Spaltung am Arbeitsmarkt zwischen prekären Beschäftigungsverhältnissen und Gutverdienern droht sich weiter zu verschärfen. Wie kann dem entgegengewirkt werden? Die Pandemie zeigt wie unter einem Brennglas, wo der Sozialstaat gut funktioniert. Kurzarbeit stabilisiert die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, sichert Millionen Arbeitsplätze und hilft Unternehmen, nach der Krise durchzustarten. Aber wir sehen auch Lücken. Etwa bei Soloselbstständigen und Minijobbern. Deren soziale Lebensrisiken müssen wir in Zukunft besser absichern. Bei Soloselbstständigen etwa sollten wir unter dem Dach der Bundesagentur für Arbeit ein Sicherungsgeld aufbauen, damit sie in Krisenfällen besser über die Runden zu kommen.
Demonstrierende Pflegerin
„Pflegerinnen und Pfleger haben mehr als Applaus verdient“, meint der Arbeitsminister.
(Foto: imago images/snapshot)
Ihr Versuch, in der Altenpflege für flächendeckende Tarifverträge zu sorgen, ist an der Arbeitgeberseite der Caritas gescheitert. Können Sie Ihr Versprechen einer besseren Bezahlung trotzdem noch in dieser Wahlperiode einlösen? Pflegerinnen und Pfleger haben mehr als Applaus verdient. Mit einem Tariftreuegesetz für die Pflege sorgen wir für bessere Löhne und begrenzen gleichzeitig die Eigenanteile für zu Pflegende. Ich will, dass wir uns noch in dieser Regierung darauf verständigen.
Mindestlohn erhöhen
Sie wollen, sollte die SPD weiterregieren, gleich im kommenden Jahr den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen. Ist das nicht ein Beschäftigungsrisiko so kurz nach der Krise? Nein. Denn ein höherer Mindestlohn ist in vielerlei Hinsicht richtig. Er sorgt für mehr Leistungsgerechtigkeit und hilft, die Nachfrage anzukurbeln, weil das Geld in der Regel nicht in Luxemburg angelegt wird, sondern in den Konsum geht.
Wenn die Mindestlohnbezieher ihren Job behalten ... Schon bei Einführung des Mindestlohns wurden Horrorszenarien über Jobverluste an die Wand gemalt, die alle nicht eingetreten sind.
Damals hatten wir auch keine Rezession. Ja, deshalb soll die Erhöhung auch in einer Aufschwungphase gemacht werden, mit der wir in diesem und im kommenden Jahr rechnen. Die Einführung des Mindestlohns hat doch dazu geführt, dass Löhne im unteren Bereich gestiegen sind. Aber der Abstand zu den mittleren Einkommen hat sich bisher nicht verringert. Lagerarbeiter oder Pflegehelferinnen rackern sich ab, aber kommen mit dem Geld nicht über die Runden. Deshalb ist es konsequent, für den Mindestlohn 60 Prozent des mittleren Einkommens zugrunde zu legen. Dieses Kriterium will ich der Mindestlohnkommission mitgeben.
DGB-Chef Reiner Hoffmann war kürzlich auf Ihrem Parteitag zu Gast. Die Krisenbewältigungspolitik trage eindeutig eine SPD-Handschrift, sagte er. Warum kommt das beim Wähler nicht an? Bei der Bundestagswahl geht es nicht um Dankbarkeit für das, was man leistet, sondern um die Frage, wem die Menschen in den nächsten Jahren das Land anvertrauen. Mit einem klaren Programm und mit Olaf Scholz macht die SPD den Bürgerinnen und Bürgern ein starkes Angebot.
Und Sie sind optimistisch, sich gegen Union und Grüne durchzusetzen? Wir erleben doch eine CDU, die erkennbar keine Zukunftsideen mehr hat, die konkrete Verbesserungen verhindert, anstatt anzupacken. Sie hat kein innovatives Programm und ist in der Vergangenheit verhaftet. Die Grünen mögen hehre Ziele haben, aber man muss Veränderungen nicht nur wollen, sondern sie auch praktisch umsetzen können.
Aber vielleicht wollen viele Bürger einfach nur den Wechsel, und den verkörpert Annalena Baerbock eben eher als ein Vizekanzler Olaf Scholz. Ich glaube, dass Deutschland eine kräftige Modernisierung braucht, wirtschaftlich, ökologisch und auch sozial. Aber um das zu schaffen, braucht man Ideen, Konzepte und Erfahrung. Olaf Scholz bringt das zusammen. Andere nicht. Herr Heil, vielen Dank für das Interview.
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