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Arbeitsrecht-Anwalt Bauer „Wir brauchen ein System, das der normalsterbliche Arbeitgeber versteht“

Arbeitsrechtler Bauer erläutert, warum er viele Gesetze für unausgegoren hält und Grammatikfehler auch nach 18 Jahren nicht korrigiert werden.
08.06.2018 Update: 08.06.2018 - 18:19 Uhr Kommentieren
Mehr System in die Gesetzgebung zum Arbeitsmarkt bringen. Quelle: Kzenon - Fotolia
Juristen mit Gesetzbuch

Mehr System in die Gesetzgebung zum Arbeitsmarkt bringen.

(Foto: Kzenon - Fotolia)

Berlin Für seine Verdienste um das Arbeitsrecht und seine Verbindungen zur Wissenschaft ist der langjährige frühere Partner der Kanzlei Gleiss Lutz und Handelsblatt-Kolumnist gerade auf dem 69. Deutschen Anwaltstag mit der Hans-Dahs-Plakette des Deutschen Anwaltvereins (DAV) gewürdigt worden, der höchsten Auszeichnung der Anwaltschaft. Jobst-Hubertus Bauer ist Fachanwalt für Arbeitsrecht, Honorarprofessor an der Universität Tübingen und Mitherausgeber mehrerer juristischer Fachzeitschriften.

Herr Bauer, Sie üben scharfe Kritik an der Gesetzgebungspraxis der Bundesregierung. Warum?
Wir haben zu viele handwerklich schlecht gemachte Gesetze. Das jüngste Beispiel ist das Entgelttransparenzgesetz. Es ist sicherlich ein berechtigtes Anliegen der Politik, für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen zu sorgen. Aber in der Praxis ist das Gesetz eine Katastrophe. Das hören Sie durchaus auch von der Gewerkschaftsseite.

Was ist so schlimm daran?
Es ist zum Beispiel nicht abgestimmt auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, man weiß nicht, wie die Vorschriften sich zueinander verhalten. Und der Auskunftsanspruch bezieht sich auf den Medianlohn, der nichts darüber aussagt, ob eine Frau diskriminiert wird. Ich kann mit der Auskunft also gar nichts anfangen. Und deshalb wundern sich viele, was so ein Placebo-Gesetz soll.

Ausgezeichnet für seine Verdienste. Quelle: Gleiss Lutz
Anwalt Jobst-Hubertus Bauer

Ausgezeichnet für seine Verdienste.

(Foto: Gleiss Lutz)

Warum Placebo?
Es wird so getan, als ob mit dem Gesetz die unbereinigte Lohnlücke von gut einem Fünftel geschlossen werden kann. Die rührt aber daher, dass Frauen immer noch häufiger in schlecht bezahlten Dienstleistungsberufen arbeiten, das kann der Gesetzgeber nicht per ordre de Mufti ändern. Eine Diskriminierung gibt es allenfalls bei der bereinigten Lohnlücke, die nach unterschiedlichen Studien bei gut zwei bis knapp sieben Prozent liegt. Dass eine Frau bei gleicher Qualifikation für die gleiche Arbeit weniger verdient, kommt äußert selten vor. Und für diese Fälle haben wir schon das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

Jetzt will die Bundesregierung Frauen mit der „Brückenteilzeit“ aus der Teilzeitfalle holen. Ist das Gesetz, das in der Ressortabstimmung steckt, auch schlecht gemacht?
Die Intention halte ich für richtig. Mich stört aber, dass sich auch ein 40-jähriger Erbe auf das Gesetz berufen kann, der beruflich kürzer treten will, um sein Golf-Handicap zu verbessern. Und das Unternehmen muss das auffangen. Ich habe großes Verständnis, dass man familienpolitisch etwas tut, aber das steht im Gesetz ausdrücklich nicht drin. Darüber hinaus gibt es auch bei diesem Gesetz handwerkliche Schwächen.

Welche?
Im Teilzeit- und Befristungsgesetz gab es bisher den Schwellenwert von 15 Beschäftigten, die Brückenteilzeit greift jetzt erst ab 45 Arbeitnehmern, bei der Pflege- oder Elternzeit greifen zum Teil wieder andere Werte. Der Gesetzgeber müsste da mal ein System reinbringen, das der normalsterbliche Arbeitgeber auch noch versteht. Und dann muss er das Gesetz ja bald schon wieder anfassen.

Weil er sachgrundlosen Befristungen den Kampf ansagt …
Genau. Als verantwortlicher Minister hätte ich gesagt, das machen wir aus einem Guss. Jetzt soll ein neuer Paragraf 9 a im Teilzeit- und Befristungsgesetz zur befristeten Teilzeitarbeit eingeführt und ein halbes oder ein Jahr später Paragraf 14 wegen der sachgrundlosen Befristung geändert werden. Hier hat sich die Union von der SPD in den Koalitionsverhandlungen über den Tisch ziehen lassen, weil wir die sachgrundlose Befristung brauchen. Gerade vor dem Hintergrund unseres sehr rigiden Kündigungsschutzes.

Relativ ruhig geworden ist es um die Reform der Arbeitnehmerüberlassung aus der letzten Wahlperiode. Oder sehen Sie das mit der Brille des Arbeitsrechtlers anders?
Auch da gibt es nach wie vor viele Streitfragen, etwa was alles zum gleichen Entgelt zählt, das Leiharbeitern nach neun Monaten gezahlt werden muss. Oder das Verbot, Leiharbeiter als Streikbrecher einzusetzen. Das ist für mich ein Systembruch. Meine eigenen Arbeitnehmer, die  nicht streiken wollen, darf ich beschäftigen, aber Leiharbeiter nicht? Das passt nicht. Und mich stört auch, dass tarifgebundene Unternehmen bei dem Gesetz privilegiert werden. Das verträgt sich nicht mit der negativen Koalitionsfreiheit, die verfassungsrechtlich verbürgt ist. Es kann nicht Aufgabe der Politik sein, Tarifverträge zu bevorzugen.

Auch die neue Bundesregierung will aber die Tarifbindung stärken und etwa in der Pflege allgemeinverbindliche Tarifverträge durchsetzen…
Wenn ich mir die komplexen und teuren Tarifverträge etwa in der Metallindustrie anschaue, darf sich niemand wundern, wenn hier manche Betriebe ausscheren. Man sollte sich daran erinnern, dass Tarifverträge Mindestarbeitsbedingungen setzen. Dann würde die Tarifbindung auch wieder steigen. Die Allgemeinverbindlichkeit noch weiter zu erleichtern, ist für mich ein No-Go. Aber ich glaube, da wird auch nichts passieren, weil die CDU vielleicht irgendwann zur Besinnung kommt.

Sie beklagen auch, dass viele deutsche Gesetze eklatant dem europäischen Recht widersprechen. Wo hakt es da?
Vorschriften zu Entlassungen im Kündigungsschutzgesetz oder im Bürgerlichen Gesetzbuch oder Urlaubsregelungen im Bundesurlaubsgesetz stehen zum Teil eklatant im Widerspruch zu dem, was europarechtlich gilt. So etwas sollte der Gesetzgeber erst mal bereinigen.  Da kann ich noch eine schöne Anekdote erzählen.

Schießen Sie los.
Es gibt Paragraf 623 des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Da steht drin: „Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.“ Bedürfen, nicht bedarf. Das gilt seit dem Jahr 2000, und seither gibt es diesen Grammatikfehler. Als ich einmal einem hohen Ministerialbeamten sagte, dieser Grammatikfehler müsse endlich behoben werden, bekam ich nur zu hören: „Herr Bauer, Sie verstehen von Gesetzgebung gar nichts. Wenn wir diese Vorschrift anfassen, dann kommen die Arbeitgeber und möchten dieses geändert haben und die Gewerkschaften jenes.“ Bis heute ist nichts passiert. Da verliert man den Glauben an eine vernünftige Gesetzgebung. 

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