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Arbeitszeitverkürzung Modellprojekt oder Zukunftsmodell: Kommt die Vier-Tage-Woche?

Die Metall-Tarifrunde geht auf die Zielgerade. Die Arbeitgeber stehen der Vier-Tage-Woche nicht mehr ganz so ablehnend gegenüber wie zu Beginn. In Spanien soll es ein Pilotprojekt geben.
27.03.2021 Update: 27.03.2021 - 13:01 Uhr Kommentieren
Seit Wochen verhandeln bundesweit die Tarifkommissionen der IG Metall mit den Arbeitgeberverbänden. Quelle: dpa
Warnstreik und Autokorso von IG Metall

Seit Wochen verhandeln bundesweit die Tarifkommissionen der IG Metall mit den Arbeitgeberverbänden.

(Foto: dpa)

Berlin, Madrid Die Idee klingt bestechend: Erlebt ein Unternehmen in einer wirtschaftlichen Krise oder im Strukturwandel eine Auftragsflaute, verkürzt es die Arbeitszeit und kann so die Mannschaft an Bord halten. Das Problem ist nur: Entweder müssen die Beschäftigten Lohneinbußen hinnehmen, oder die Arbeitskosten steigen.

Das ist einer der Knackpunkte in den regional geführten Tarifverhandlungen für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie, in denen die IG-Metall auch für die Option einer Vier-Tage-Woche trommelt.

Inzwischen gibt es eine Annäherung. In Nordrhein-Westfalen haben die Arbeitgeber in der mittlerweile sechsten Verhandlungsrunde für das laufende Jahr eine Einmalzahlung von 350 Euro angeboten und für das kommende Jahr eine Tariferhöhung in Aussicht gestellt.

Die IG Metall fordert ein Volumen von vier Prozent, das nach den Vorstellungen der Gewerkschaft je nach Situation in den Betrieben für Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung und Bewältigung der Transformation oder für Entgelterhöhung genutzt werden kann.

Die Möglichkeit einer Vier-Tage-Woche sehen die Arbeitgeber dabei inzwischen nicht mehr ganz so skeptisch wie noch zu Beginn der Tarifrunde: Beim Thema Arbeitszeitabsenkung mit Teillohnausgleich sehe er die Chance auf ein Modell, „das für beide Seiten einen echten Mehrwert darstellen könnte, wenn es darum geht, in der Transformation Beschäftigung zu sichern, ohne die Betriebe mit zusätzlichen Kosten zu belasten“, sagte der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands Südwestmetall und Daimler-Arbeitsdirektor Wilfried Porth diese Woche nach der fünften Verhandlungsrunde in Baden-Württemberg.

Modelle zur Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitverkürzung gab es auch schon in der Vergangenheit, wie etwa die Vier-Tage-Woche bei Volkswagen in den 1990er-Jahren. Der Autozulieferer ZF Friedrichshafen hat erst im Frühsommer vergangenen Jahres eine Arbeitszeitverkürzung um bis zu 20 Prozent mit teilweisem Lohnausgleich vereinbart.

Ziel der IG Metall ist nun, die Option einer Arbeitszeitverkürzung auf 32 Wochenstunden auch im Flächentarif zu verankern. „Die Vier-Tage-Woche ist sicher kein flächendeckendes Instrument“, sagt Torben Albrecht, der beim IG-Metall-Vorstand den Funktionsbereich Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik leitet. Aber für Betriebe, die auf längere Sicht weniger Auftragsvolumen hätten, sei sie eine gute Möglichkeit, um Beschäftigte zu halten.

Der Gedanke dahinter: Statt für „überzählige“ Mitarbeiter betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen und einen Sozialplan aufzulegen, könnte ein Unternehmen zeitweise die Wochenarbeitszeit reduzieren, bis sich der Personalüberhang durch natürliche Fluktuation oder Renteneintritte selbst erledigt hat.

Bisherige Möglichkeiten zur Arbeitszeitabsenkung werden kaum genutzt

In Baden-Württemberg gibt es bereits tarifliche Möglichkeiten der Arbeitszeitabsenkung auf bis zu 28 Wochenstunden mit Teillohnausgleich. Sie werden aber kaum genutzt, weil Betriebe, die ohnehin in der Krise stecken, für weniger Arbeit nicht auch noch mehr bezahlen wollen.

Die Kunst in den bundesweit laufenden Tarifverhandlungen wird also darin bestehen, die Arbeitszeitverkürzung mit Teillohnausgleich so zu organisieren, dass sie für die Betriebe einigermaßen kostenneutral ist.

Denkbar ist etwa, Geld für solche Lösungen in einem Fonds anzusparen, wie er beispielsweise in der Metall- und Elektroindustrie ab 2003 zum Einsatz kam, um die Angleichung der Arbeiterlöhne an die Angestelltengehälter zu finanzieren. Allerdings braucht es Zeit, so einen Fonds anzusparen.

Eine andere Möglichkeit wäre, die Wahloption zwischen Geld und Freizeit zu erweitern. Bisher können nur Eltern kleiner Kinder, Schichtarbeiter oder Beschäftigte mit Pflegebedürftigen das im Tarifabschluss von 2018 vereinbarte tarifliche Zusatzgeld (T-Zug) in zusätzliche freie Tage umwandeln. Diese Option könnte für andere Beschäftigte geöffnet werden.

Die IG Metall erwartet auf diesem Feld noch weiteres Entgegenkommen der Arbeitgeber: Sie müssten noch deutlich nachlegen, „um Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitverkürzung mit Entgeltausgleich finanzieren zu können“, sagte der nordrhein-westfälische Bezirksleiter Knut Giesler nach rund zwölfstündigen Verhandlungen in der Nacht zu Freitag.

Die Gewerkschaft sieht die Vier-Tage-Woche aber nicht nur als Instrument zur Beschäftigungssicherung, sondern auch als Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zum Klimaschutz. Wer weniger oft ins Büro oder in die Fabrik pendeln muss, hilft, CO2 einzusparen.

Auch in seiner Zeit im Bundesarbeitsministerium sei im Rahmen der Digitalisierungsdebatte über eine Arbeitszeitverkürzung diskutiert worden, sagt Albrecht, der unter Andrea Nahles Staatssekretär war. „Dabei geht es nicht nur um die Wochenarbeitszeit, sondern auch um die Frage, wie sich Arbeitszeit über das Erwerbsleben besser verteilen lässt.“ Und teilweise sei die Vier-Tage-Woche schon heute ein erfolgreiches Modell, zum Beispiel in einigen Start-ups. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hatte Sympathie für den Vorschlag einer Vier-Tage-Woche geäußert, um den Beschäftigten Zeit für Qualifizierung zu verschaffen.

Spanien will Modellprojekt zur Vier-Tage-Woche starten

Ein größer angelegtes Experiment soll bald in Spanien anlaufen. „Wir haben mit der Regierung vereinbart, ein Pilotprojekt zur Arbeitszeitverkürzung zu fördern“, twitterte Ende Januar Íñigo Errejón, Chef der kleinen linken Partei Más País, von der die Initiative ausgeht. Die Details müssen allerdings erst noch verhandelt werden.

Geht es nach Más País, soll in 200 Unternehmen die wöchentliche Arbeitszeit ohne Gehaltseinbußen auf 32 Stunden reduziert werden. Firmen, die die geringere Stundenzahl nicht durch Produktivitätssteigerung kompensieren können, sollen Subventionen erhalten. Insgesamt will die Partei dafür 50 Millionen Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds reservieren.

Mit dem Geld sollen aber beispielsweise auch Investitionen in die Digitalisierung finanziert werden können. „Jedes Unternehmen soll wählen können, was ihm besser passt”, sagte Héctor Tejero, der Verantwortliche des Programms von Más País, der spanischen Zeitung „El Correo“. Ein Expertenteam aus Politik, Gewerkschaften und Arbeitgebern soll das Projekt, das über ein bis drei Jahre laufen soll und an dem bis zu 6000 Mitarbeiter teilnehmen könnten, begleiten.

Spanien gehört zu den Ländern, die am meisten unter der Pandemie leiden. Madrid erhält deshalb 140 Milliarden Euro aus Brüssel – die zweithöchste Summe nach Italien. Ideengeber Errejón argumentiert – ähnlich wie die IG Metall –, Beschäftigte könnten in einer Vier-Tage-Woche Beruf und Arbeit besser miteinander verbinden. Außerdem werde die Umwelt durch weniger Berufspendler entlastet.

Tarifverhandlungen werden am Montag in NRW fortgesetzt

Das spanische Industrieministerium äußerte sich auf Anfrage nicht zu dem Pilotprojekt. Innerhalb der spanischen Regierung war das Echo auf den Plan gemischt, als Errejón ihn im vergangenen Jahr erstmals vorstellte. Der sozialistische Sozialminister José Luis Escrivá glaubt nicht, dass Spanien „ein Land ist, das mit seinem Niveau an Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität einer Vier-Tage-Woche Priorität einräumen müsse“. Spaniens Produktivität liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt.

Pablo Iglesias, Chef von Unidas Podemos, dem Koalitionspartner der Sozialisten in der Regierung, griff die Idee jedoch auf. Auch die Gewerkschaften unterstützen das Vorhaben.
„Für ein Land wie unseres, das dank der EU-Wiederaufbaumittel in eine Phase des beschleunigten technologischen Wandels eintritt, ist das eine große Chance“, sagte der Generalsekretär der größten spanischen Gewerkschaft UGT, Pepe Álvarez, Mitte Februar nach einem Treffen mit Errejón. „Wir müssen anfangen, gründlich daran zu arbeiten, denn es wird eine Quelle für die Schaffung von Arbeitsplätzen sein.“

Ökonomen sind allerdings skeptisch: Beschäftigte in einzelnen Branchen, beispielsweise IT-Programmierer, könnten in weniger Arbeitszeit vielleicht produktiver und kreativer sein, meint etwa Arbeitsmarktexperte Marcel Jansen von der Autonomen Universität Madrid. In einem Restaurant oder einer Bäckerei lasse sich die Produktivität dagegen nur bedingt steigern.

In welcher Form es in der deutschen Metall- und Elektroindustrie zu einer Vier-Tage-Woche kommt, wird möglicherweise schon Anfang kommender Woche entschieden. Die Tarifkommission und der Vorstand der IG-Metall haben noch am Freitagabend den in Nordrhein-Westfalen erzielten Verhandlungsstand bewertet.

Daraufhin entschied der Vorstand, die Verhandlungen am Montag in NRW fortzusetzen. Einen Abschluss gebe es aber nicht um jeden Preis, wird IG-Metall-Chef Jörg Hofmann auf Twitter zitiert. „Insbesondere beim Entgelt müssen die Arbeitgeber noch deutlich nachlegen.“

Damit zeichnet sich ab, dass Nordrhein-Westfalen erneut den Pilotabschluss macht, der dann in den übrigen Tarifbezirken übernommen wird. Aus Gewerkschafts- und Arbeitgeberkreisen heißt es aber, dass es in diesem Jahr durchaus zu größeren regionalen Abweichungen kommen könne.

Mehr: IG-Metall-Chef Jörg Hofmann: „Eine doppelte Null wäre Gift für die Konjunktur.“

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