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AsylbewerberWutbürgerlich
Der Strom der Flüchtlinge reißt nicht ab und erreicht auch die wohlhabenderen Viertel vieler Städte. Die Bewohner dort fürchten um den Wert ihrer Anwesen – und den sozialen Frieden.
Dresden, Berlin, Eschborn Wenn Matthias Schlosser, 47, aus seinem Arbeitszimmer blickt, sieht er seine Mission: Ein gerodetes Grundstück, nur eine Eiche haben die Arbeiter stehen lassen, als sie Platz schufen für das neue Flüchtlingsheim. Schlossers Haus liegt im kleinen Taunusstädtchen Schwalbach, aber das Gartenstück vor seinem Arbeitszimmer ist Teil der Nachbargemeinde Eschborn. Eine vierspurige Schnellstraße trennt das Gelände vom Rest der Stadt, in den umliegenden Häusern wohnen Schwalbacher. Ausgerechnet hier also will Eschborn – die reichste Gemeinde Hessens – 90 Menschen einquartieren: weit weg von den eigenen Bürgen, abgeschoben zu den Nachbarn.
So sehen sie das in Schwalbach. Und regen sich auf darüber.
Schlosser ist Sprecher der lokalen Bürgerinitiative. Ein Heim auf dem Eschborner Grundstück verstoße gegen das Baurecht, meint er. „Aber natürlich fragen wir uns auch, ob hier ein sozialer Brennpunkt entsteht und der Wert unserer Grundstücke sinkt.“
Diese Fragen werden derzeit überall in Deutschland gestellt. Nicht mehr nur die unteren Einkommens- und Bildungsschichten gehen auf die Straße, um ihre Ängste vor vermeintlicher Überfremdung zu artikulieren. Auch das Bürgertum setzt sich gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in ihren idyllischen Kiezen zur Wehr. Ohne Fahnen und Sprechchöre, dafür bewaffnet mit Baurecht und Brandschutzvorgaben. Im wohlhabenden Speckgürtel um Frankfurt ebenso wie im noblen Hamburg-Harvestehude oder im bürgerlichen Dresden-Laubegast.
Verdopplung der Asylbewerber-Anzahl
Es wirkt bigott: Spenden- und hilfsbereit zeigt man sich gerne. Aber Asylbewerber vor der eigenen Haustür? Da erhält das globale Flüchtlingsproblem doch eine völlig neue, persönliche Note.
Die Kommunen indes können ihre gutbürgerlichen Viertel vielerorts nicht länger ausblenden: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechnet dieses Jahr offiziell mit 400.000 Asylbewerbern – fast doppelt so viele wie 2014. Am Freitag treffen sich Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten zum Flüchtlingsgipfel, um sich auf eine „konzertierte Aktion für den Umgang mit steigenden Asylbewerberzahlen“ zu verständigen.Allein: Die Städte sitzen nicht mit am Tisch, obwohl sie die Unterbringung vor Ort organisieren müssen – und dabei auf wachsenden Widerstand treffen.
„Es läuft einfach einiges quer“, sagt Kenneth Köth. Der 39 Jahre alte Dresdener Anwalt ist einer, der seine Meinung gerne sagt und verteidigt. Ende 2014 las er in der Zeitung, dass in seinem Stadtteil Laubegast ein Flüchtlingsheim entstehen sollte: 90 Menschen wollte die damalige Bürgermeisterin im Hotel „Prinz Eugen“ unweit der Elbe unterbringen, das eigens dafür umgewidmet werden sollte. Köth dachte an die ausbleibenden Touristen, an die Flüchtlinge im etablierten Wohngebiet am Elbufer, an die Probleme mit Asylbewerbern in anderen Städten. „Auf einmal kam dieses Thema in die nähere Umgebung. Und wir dachten: Warum soll ich das als Bürger hinnehmen?“ Also gründete er „MeinLaubegast.de“ - und startete eine Petition.
Wer nimmt die meisten Flüchtlinge auf?
Aufgrund von internationalen Krisen rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit einem erneuten Anstieg der Flüchtlingszahlen in 2014. Im ersten Quartal 2014 haben rund 108.300 Flüchtlinge in einem der 28 EU-Staaten um Asyl angesucht. Doch kommen die meisten Asylsuchenden, die derzeit über das Mittelmeer nach Europa kommen, wirklich nach Deutschland?
Quelle: Eurostat/ Mediendienst Integration 2014
Griechenland: 2.440 Antragsteller
Ungarn: 2.735 Antragsteller
Österreich: 4.815 Antragsteller
Belgien: 5.065 Antragsteller
Großbritannien: 7.575 Antragsteller
Italien: 10.700 Antragsteller
Schweden: 12.945 Antragsteller
Frankreich: 15.885 Antragsteller
Deutschland: 36.890 Antragsteller
Bitte wenig Veränderung
Binnen Wochen sammelte Köth 5000 Unterschriften gegen das Vorhaben, auch aus dem rechten Lager. Er selbst will mit NPD und Pegida zwar nichts zu tun haben, aber verhindern ließen sich die „Raufbolzen“ auch nicht. „Wir waren da auch ein Sammelbecken für alles, das da rumläuft“, sagt Köth. Schlimme Kommentare habe es im Forum gegeben, manche habe er löschen müssen. Aber er habe nun mal viele Leute ansprechen wollen.
Am Ende hatte Köth mit der Methode Erfolg. Der Besitzer des Hauses zog sein Angebot an die Stadt zurück, Flüchtlinge in dem Gebäude einzuquartieren. Das Hotel soll nun bleiben – und Dresdens neuer Bürgermeister, der Anfang Juni gewählt wird, muss andere Heimplätze suchen.
Es scheint, als sei in der Kommunikation zwischen Politik und Bürgern einiges durcheinandergeraten im Land. Die Kommunen sind mit dem Ansturm der Flüchtlinge derart überfordert, dass sie vergessen, ihre Einwohner in die Planungen einzubeziehen. Zusehends fühlt sich das Bürgertum missverstanden von seinen Amtsträgern. Veränderung will es – wenn überhaupt – nur peu à peu.
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