Asylrechtler Daniel Thym „Die Obergrenze für Flüchtlinge ist nicht rechtsverbindlich“

Die Union will künftig nur noch 200.000 Flüchtlinge jährlich ins Land lassen.
Berlin Professor Daniel Thym ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Konstanz. Er hat an der Berliner Humboldt-Universität mit einer Arbeit zum Migrationsverwaltungsrecht habilitiert.
Herr Thym, CDU und CSU haben eine Lösung in ihrem Streit um eine Flüchtlingsobergrenze gefunden. Wie bewerten Sie das Kompromisspapier?
Das ist ganz klar ein politisches Papier, das aus rechtlicher Perspektive wenig Überraschendes enthält. Die Union listet Instrumente auf, an denen seit Jahren gearbeitet wird. Neu ist allenfalls die EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen. Aber da ist die Bundesregierung ja auf die Kooperation der europäischen Partner angewiesen.
Werden also künftig nicht mehr als 200.000 Flüchtlinge pro Jahr nach Deutschland einreisen dürfen?
Das Papier definiert keine rechtsverbindliche Obergrenze, sondern es wird klargestellt, dass es um eine politische Zielvorgabe geht. Alles andere wäre auch schwierig. Denn jeder, der an der Grenze mit einem Asylgesuch vorstellig wird, hat auch Anspruch auf ein Verfahren. Als Jurist hätte ich aber auch noch viele andere Fragen an die Unionsparteien.
Welche zum Beispiel?
Das Papier nennt eine konkrete Zahl, bleibt aber ansonsten unkonkret. Nehmen Sie die Forderung nach wirksamer Sicherung der EU-Außengrenzen. Was soll das konkret bedeuten? Schließt das die umstrittene Kooperation mit libyschen Behörden ein oder nicht? Das lassen CDU und CSU bewusst im Unklaren – wohl um Spielraum für die Gespräche mit Grünen und FDP zu haben.
Was halten Sie vom Vorschlag, neu ankommende Flüchtlinge in Entscheidungs- und Rückführungszentren unterzubringen, wo sie bis zur Entscheidung über ihren Antrag bleiben?
Das erinnert doch sehr an die Transitzonen, auch wenn die Union das Wort nun nicht mehr in den Mund nimmt. Bei Asylbewerbern vom Balkan mit geringer Bleibeperspektive haben sich solche zentralen Zentren bewährt, auch wenn sie nicht an den Grenzen liegen. Sollten jetzt also weitere Staaten, etwa aus dem Maghreb, zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, dann könnte man das Modell der bisherigen Zentren direkt übertragen. Aber auch für andere Antragsteller können zentrale Zentren sinnvoll sein, weil wir heute eine andere Ausgangslage haben als vor zwei Jahren.
Was meinen Sie?
Wenn es dem Flüchtlingsamt BAMF wirklich dauerhaft gelingt, über neue Asylgesuche innerhalb von zwei Monaten zu entscheiden und der Rechtsschutz nicht zu lange dauert, dann kann es auch Antragstellern aus anderen Herkunftsländern zugemutet werden, für diese Zeit in einem zentralen Entscheidungszentrum zu bleiben.
Halten Sie die Einigung auf ein Jamaika-Bündnis auf Grundlage dieses Papiers für möglich?
Nehmen sie den Familiennachzug: Die Union will ihn weiter begrenzen, die Grünen wollen ihn erlauben. Beides geht nicht, da muss also eine Seite nachgeben. Auch über die Zielgröße von 200.000 wird man sicher kontrovers verhandeln. Aber davon abgesehen enthält das Papier auch einiges, auf das man sich einigen kann. Viele Instrumente, die die Union aufzählt, um die Zielziffer zu erreichen, gibt es bereits im deutschen und europäischen Recht. Eines der Bearbeitungszentren steht in Heidelberg in einem Bundesland, wo ein Grüner der Ministerpräsident ist. All diese Details sind für die praktische Politik letztlich entscheidend. Viel wichtiger als politische Zahlenvorgaben ist, dass man Instrumente hat, die auch funktionieren.
Wenig konkret wird die Union auch bei der legalen Einwanderung. Sie spricht sich nur für ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz aus, nicht aber für ein von FDP und Grünen gefordertes Punktesystem.
Das Punktesystem ist das linksliberale Äquivalent zur CSU-Obergrenze. Grüne und FDP suggerieren, dass es man mit mathematischer Präzision bestimmen kann, wann eine Zuwanderung sinnvoll ist. Nur wenige Menschen, die jetzt über das Asylsystem kommen, würden nach einem Punktesystem einreisen dürfen. Und es ist auch nicht leicht zu bestimmen, ob jemand, der etwa in Marokko einen Job ausübt, die deutschen Qualitätsstandards erfüllen kann. Bei der legalen Zuwanderung ist es wie beim Asylsystem. Es ist leicht, eine abstrakte Vorgabe politisch vorzugeben, aber schwer, die Instrumente zu entwickeln, dass es in der Praxis auch funktioniert.
Herr Thym, danke für das Gespräch.
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