Aufsteiger des Jahres Jennifer Morgan und Christian Klein erobern die SAP-Spitze

Erinnern Sie sich an das Klischee der Deutschland AG? Alternde Männer, die sich genügsam Vorstands- und Aufsichtsratsposten deutscher Konzerne zuschieben. Eine gewisse Neigung zum Posten-Inzest. Miefige Herrenklubatmosphäre, getragen von überschaubar kreativen Bonmots über Quoten und Kanzlerin. Ein Bollwerk gegen Weiblichkeit und Jugend. Nun, ganz so schlimm war es in den letzten Jahren nicht. Oder nicht mehr.
Und doch war wenig Aufbruchsfantasie in den Führungsetagen der Dax-Kolosse erkennbar. Manchmal ging es zu wie in der Politik: Verharrungsvermögen als maßgeblicher Leistungsausweis. Karrieresprünge nur in unvermeidlichen Notsituationen.
Vielleicht erklärt dies den donnernden Seufzer der Erleichterung in nahezu allen deutschen Medien, als die Softwareschmiede SAP zwei Persönlichkeiten mit der Unternehmensführung betraute, die so gar nicht in das lieb gewonnene Narrativ mancher Nostalgiker passen wollten. Mit Christian Klein, einem 39-jährigen Eigengewächs des Konzerns, und Jennifer Morgan, der ersten Frau an der Spitze eines Dax-Mitglieds, wird aber hoffentlich ein kraftvoller Impuls gesetzt.
Er wäre an der Zeit. Tatsächlich ist der Jubel über die Premiere einer Frau in Führungsverantwortung nur bitterer Ausdruck einer gesellschaftlichen Rückständigkeit. So leidenschaftlich wir in Deutschland Quotendebatten führen und unsere Modernität beschwören, so ernüchternd war bislang das Resultat in „Corporate Germany“.
Anfang des Jahres 2019 standen in Deutschland lediglich drei Frauen an der Spitze einer der 160 börsennotierten Firmen. In zu vielen Unternehmen ist hochqualifizierten Frauen der Weg an die Spitze noch immer mit relativ archaischen Barrieren verstellt.

Karl-Theodor zu Guttenberg hat eine steile politische Karriere hingelegt, die 2011 mit einer Plagiatsaffäre abrupt endete. Der CSU-Politiker war Bundesminister für Wirtschaft und Verteidigung. Heute ist der 47-jährige Jurist Chairman der New Yorker Investment- und Beratungsfirma Spitzberg Partners.
Auch die gefeierte Quote in Aufsichtsräten ist eher Feigenblatt als bereits vollzogener Wechsel. In diesen Gremien finden sich zwar mittlerweile 32 Prozent weibliche Mitglieder. Demgegenüber stellen sie aber lediglich knapp neun Prozent der Vorstände.
Die Berufung von Jennifer Morgan und Christian Klein zu Co-CEOs des wertvollsten deutschen Konzerns ist aber nicht einfach glückliche Fügung, sondern gelebte Unternehmenskultur.
Die Qualifikation ist unbestritten
SAP steht bis heute – bei allen Herausforderungen eines globalen Technologietankers – für den Geist seiner Pioniere, die Innovation stets der Besitzstandswahrung vorgezogen haben. Die SAP-Mitgründer Hasso Plattner und Dietmar Hopp leiden weder an mangelndem Selbst- und Sendungsbewusstsein, noch scheren sie sich allzu sehr um vordergründige (deutsche) Konventionen. Zudem hatte der Vorgänger des neu installierten Führungstandems, Bill McDermott, innovative Köpfe unabhängig von Geschlecht und Alter gefördert. Sein amerikanischer Hintergrund mag dem nicht abträglich gewesen sein.
In den USA wurde der Karriereschritt von Jennifer Morgan und Christian Klein nämlich nur mit einem gelangweilten Schulterzucken quittiert. Bei Fortune-500-Unternehmen wie Cisco, JP Morgan, American Express oder Pfizer finden sich bereits zwischen 40 und 50 Prozent Frauen im Vorstand. Zwar ist auch dort die Zahl weiblicher CEOs noch alles andere als berauschend – sie stieg in den vergangenen 20 Jahren von zwei auf 33 –, aber sie umfasst globale Marken wie General Motors, Oracle, IBM oder Lockheed Martin. Auch ein Vertreter der Generation Y, wie Klein, ist keine Ausnahme in amerikanischen Führungspositionen. Hierfür muss nicht einmal der (angeschlagene) „Poster-Boy“ der Tech-Industrie, Mark Zuckerberg, bemüht werden.
Die Qualifikation der beiden neuen CEOs ist unbestritten: Morgan hat nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium Erfahrungen als Unternehmensberaterin gesammelt, bevor sie 2004 ihre Karriere bei SAP begann. Zuletzt war sie Chefin der Schlüsselregion Nordamerika. Klein erfuhr in seinem Berufsleben zwar „nur“ das Innenleben von SAP, dieses dafür umso intensiver. Er arbeitete bereits während seines Studiums beim Walldorfer Softwarekonzern und wuchs als Chief Controlling Officer und später Chief Operating Officer früh in Verantwortung hinein. 2018 wurde er schließlich in den Vorstand berufen.
Die USA taugen in einigen Bereichen nicht als strahlendes Vorbild. Manchmal wünschte ich mir für unser Land jedoch das Maß an Unverkrampftheit, mit der Jennifer Morgan gewissen Rollenbildern begegnet und mit der Christian Klein seiner gewaltigen Aufgabe entgegentritt. Nicht wenige Deutsche, mit denen ich in den vergangenen Wochen gesprochen habe, fanden Morgans erfrischenden Tweet befremdlich, in dem sie sich als „happy wife + mom“ bezeichnete, bevor sie auf ihre neue Position einging. Für meine Töchter, die in den USA zur Schule gingen, ist dieser Ansatz so sehr Normalität wie die Distanz der neuen SAP-Chefin zu starren Quoten. Es wäre keine Überraschung, wenn wir aufstrebende Frauen an den amerikanischen Arbeitsmarkt verlieren.
Ein Jungspund wie Klein ist in den USA bis zum Beweis des Gegenteils eine Chance für sein Unternehmen, bei uns in Deutschland hingegen gerne ein potenzielles Risiko. Gelegentlich droht unser Land aber in seiner vorauseilenden Skepsis zu erstarren. Während Listen beeindruckender junger Menschen wie „40 unter 40“ in Deutschland eher als Kuriosum gelten, sind sie in den Vereinigten Staaten Ansporn und Inspiration. Zudem: Vertreter der Generation Y, wie Emmanuel Macron oder Sebastian Kurz, tragen heute bereits Regierungsverantwortung in und für Europa.
Ein transatlantisches Signal
Abschließend verbindet sich mit den beiden SAP-Chefs auch ein hoffnungsvolles transatlantisches Signal. Einer jungen Generation erwächst die Verantwortung, den behutsamen Neuaufbau des derzeit erschütterten Verhältnisses zwischen den USA und Europa mitzugestalten. SAP ist als weltweit drittgrößtes börsennotiertes Softwareunternehmen prädestiniert, die geopolitische Relevanz neuer Technologien und der Digitalisierung zu begreifen und zu formen.
Wenige Themen bieten künftig ein vergleichbares Potenzial für transatlantische Friktionen, aber auch gemeinsam genutzte Möglichkeiten. Zumal wir nicht nur in Europa, sondern zunehmend auch in den USA den kalten Atem Chinas im Nacken spüren. Morgan und Klein wächst dabei, ob sie es wollen oder nicht, eine Schlüsselrolle zu. Die weltumspannende Präsenz der Firma muss hierbei kein Nachteil sein.
Es bleibt zu hoffen, dass es sich um CEOs handelt, die den berechtigten Ruf erhören, ihre Stimme zu Themen von globaler Bedeutung zu erheben. Zu viele Führungskräfte deutscher Unternehmen gefallen sich in der Rolle des vorsichtigen Schweigers in großen gesellschaftlichen Debatten. Angesichts der gerne beklagten Schwäche politischer Akteure ist dieser Ansatz selbstgefällig und zukunftsvergessen.
Der SAP-Doppelspitze ist Mut für ein kraft- und verantwortungsvolles Auftreten zu wünschen. Hymnen über den Anfangszauber verklingen in der Regel schnell. Und die meisten Elogen über die neue SAP-Führung kranken daran, dass sie sich lediglich auf das Novum einer Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns konzentrieren.
Wirklich ungewöhnlich ist aber die Kombination in der Führung dieses Tech-Konzerns. Die Deutschland AG hat endlich ihre fleischgewordene Provokation: eine Frau und ein Jüngling! Weniges ist schöner als die Fassungslosigkeit von Traditionalisten.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.